Petershagen. Mit einem Metalldetektor stößt ein Mann in NRW auf ein 1600 Jahre altes Relikt. Archäologen sind begeistert, aber viele Fragen sind noch offen.
Als sich der lizenzierte Sondengänger Constantin Fried 2023 bei den Fachleuten der LWL-Archäologie für Westfalen meldete, hielt er eine Überraschung für die Experten parat: Auf einem Acker in Petershagen-Frille (Kreis Minden-Lübbecke) hatte Fried mit seinem Metalldetektor ein in seiner Art sehr ungewöhnliches und einzigartiges Relikt aus der Römerzeit entdeckt: ein sogenanntes Mini-Dosenschloss aus Gold. Zu dem antiken Stück gibt es aber noch viele offene Fragen: War das Schloss ein Andenken oder Geschenk? Oder war es Raubkunst?
„Ich konnte es selbst kaum glauben, als ich den Fund in der Hand hielt“, berichtet Fried. „Denn solche römischen Schlösser sind normalerweise viel größer und bestehen aus Eisen oder auch bronzenen Teilen.“ Nach tiefgehenden Untersuchungen stellten die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe am 28. Januar 2025 in Münster vor.
„Das nur 1,2 mal 1,1 Zentimeter große goldene Schloss aus dem dritten oder vierten Jahrhundert nach Christus ist nach aktuellem Forschungsstand wohl einzigartig in Europa - kleiner als die Ein-Euro-Münze, aber so viel wertvoller“, sagte Dr. Georg Lunemann, der Direktor des LWL. „Dass wir hier in Westfalen mit so hochkarätigen Funden aufwarten können, begeistert mich“, so Lunemann weiter.
Da der Fund äußerlich baugleich mit regulären römischen Dosenschlössern ist, waren sich auch die Fachleute des LWL schnell einig, dass es sich tatsächlich um die Miniaturausgabe eines solchen Schlosses handelte. „Das Schloss wurde sicher im provinzialrömischen Gebiet hergestellt und kann nach Form, technischem Aufbau und Verzierungsstil in das dritte oder vierte Jahrhundert nach Christus datiert werden“, sagte LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, selbst Archäologin. Diese Schlösser dienten wahrscheinlich dazu, Truhen oder ähnliches zu schützen, ähnlich heutigen Schmuckschatullen.
Der bisher nördlichste Fund eines Dosenschlosses aus der Römerzeit
Doch wie kam das Miniaturschloss nach Westfalen? Möglicherweise als Handels- oder Raubgut? „Vielleicht hat ein Angehöriger einer einheimischen Elite das exquisite Kleinod bei seiner Rückkehr aus dem römischen Militärdienst als Andenken oder Geschenk mit zurück in die Heimat gebracht“, erklärt Prof. Dr. Michael Rind, Direktor der LWL-Archäologie. Sicher war das Miniaturschloss dort ein spektakuläres Objekt, egal, ob es noch funktionierte, denn auch defekt hätte es beispielsweise noch als kurioses, aber kostbares Schmuckstück getragen werden können.
„Das goldene Miniatur-Dosenschloss steht in Europa bisher völlig allein da und ist der bisher nördlichste Fund eines Dosenschlosses in Deutschland“, betont Rind die Relevanz des Fundes. „War es eine Einzelanfertigung oder wurden ähnliche kostbare Miniaturen nur bisher nicht gefunden? Diese und weitere Fragen werden uns noch weiter beschäftigen.“
Für das Gehäuse des mehr als 1600 Jahre alten Schlosses, dessen Schlüssel und Kette fehlen, wurden zwei zylinderförmige Bleche oben und unten mit Deckeln verschlossen und mit drei Nieten gesichert. Das äußere Blech ist mit zwei umlaufenden Reihen gegenübergestellter Durchbrüche fein verziert. Weil bei der ersten genaueren Betrachtung des Stücks in der Restaurierungswerkstatt des LWL ein Ketten-Endglied und ein verrosteter eiserner Kern im Inneren zu erkennen war, stellte sich den Fachleuten die Frage, ob das Schloss trotz seiner geringen Größe einen funktionstüchtigen Mechanismus hatte.
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Um das herauszufinden, setzten die Forschenden eine bisher in der Archäologie selten genutzte Untersuchungsmethode ein. Denn normale Röntgenaufnahmen lieferten zunächst keine brauchbaren Hinweise. „Auch eine 3D-Röntgen-Computertomografie konnte aufgrund der hohen Dichte der goldenen Schlosshülse nur die ebenfalls aus Gold bestehenden Nieten und das Kettenendglied im Inneren zeigen“, erläutert Rind. Daher suchte man nach einer anderen Methode, um dem Innenleben des Schlosses auf die Spur zu kommen.
CT-Untersuchung zeigt: Das Schloss hatte funktioniert
Die Lösung war eine „3D-Neutronen-Computertomografie“ (CT): „Solche CT-Untersuchungen haben wir bereits häufiger im archäologischen Kontext angewendet, insbesondere an metallischen Objekten. Hier bot sich eine auch für uns spannende Möglichkeit, die Methode interdisziplinär zu gebrauchen, mit tollen Ergebnissen“, so Dr. David Mannes vom Paul Scherrer Institut (PSI) in Villingen (Schweiz), der die Messung zusammen mit seinem Kollegen Dr. Eberhard Lehmann durchgeführt hat.
Die Bildqualität des Neutronen-CT bedeutete für das Forscherteam den Schlüssel zum Verständnis des eisernen Mechanismus im Miniaturschloss: Die Schnittbilder zeigen einen Rahmen mit Feder und mutmaßlicher Führungsschiene, einen Riegel, eine Grundplatte sowie einen Dorn. „Sie zeigten auch, dass die Mechanik zwar weitgehend vollständig, aber beschädigt ist, denn offensichtlich hatte man seinerzeit in dem Schloss herumgestochert, wohl um es aufzubrechen oder um eine Blockade zu beheben“, weiß der Finder Constantin Fried, der sich über die fortschreitenden Untersuchungen seines bisher bedeutendsten Fundes auf dem Laufenden hielt.
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„Trotz der Schäden ließen sich die Funktion des Mechanismus und der verlorene Schlüssel gut rekonstruieren, denn Form und Maße der Bauteile ließen Schlüsse zu. Aber auch Vergleichsfunde halfen hier weiter“, erklärte Rind. Ein Restaurator der LWL-Archäologie hat einen voll funktionstüchtigen Nachbau des Schlosses hergestellt, viermal größer als das Original. Rind: „Mit dem noch steckenden Ketten-Endglied ließ sich für das Schloss außerdem eine Gliederkette rekonstruieren, die mindestens sechs Elemente gehabt haben muss, damit das Schloss funktionierte.“
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„Der außergewöhnliche Fund aus Petershagen zeigt die hohe Kunstfertigkeit des provinzialrömischen Kunstschmiede- und Schlosserhandwerks“, so Rüschoff-Parzinger. Zugleich gebe der Fund neue Hinweise auf die Beziehungen zwischen den einheimischen Eliten in Westfalen und dem Römischen Reich sowie auf die mögliche lokale Bedeutung seines Fundplatzes.