Berlin. Auf eine jüdische Gemeinde in Berlin wurde ein versuchter Brandanschlag verübt. Unbekannte zwei Molotow-Cocktails geworfen haben.
Zwei Unbekannte haben in der Nacht zu Mittwoch einen Brandanschlag auf eine jüdische Gemeinde in Berlin verübt. Laut Polizei seien gegen 3.45 Uhr zwei Unbekannte zu Fuß vor dem Gemeindezentrum erschienen und hätten zwei mit Flüssigkeit gefüllte, brennende Flaschen in Richtung der Synagoge geworfen. Die Flaschen seien auf dem Gehweg aufgeschlagen und zerbrochen, wobei die Feuer erloschen seien. Anschließend seien die beiden Vermummten davongerannt. Dort, wo sie sich befunden hatten, sei anschließend ein kleines Feuer ausgebrochen, das ein Mitarbeiter des Zentralen Objektschutzes löschte. Die Täter konnten entkommen. An dem Gebäude entstanden keine Schäden.
Bereits am Morgen hatte die Gemeinde Kahal Adass Jisroel an der Brunnenstraße in dem Bezirk Mitte auf X (vormals Twitter) von dem versuchten Anschlag berichtet.
In dem Gemeindezentrum ist neben einer Synagoge auch eine Oberschule untergebracht, die Schüler seien auf Studienfahrt, allerdings sei der Kindergarten in dem Gebäude geöffnet, sagte ein Gemeindemitglied einer Reporterin der Funke Mediengruppe am Morgen. Manche Eltern brachten ihre Kinder trotz des fehlgeschlagenen Anschlags am Morgen dorthin. Auch eine Kita mit mehr als 100 Kindern befindet sich in dem Gebäude.
Brunnenstraße in Berlin: 30-Jähriger am Morgen vor der Synagoge festgenommen
Noch während die Polizei vor Ort war und ermittelte, ereignete sich ein weiterer Vorfall. Gegen 8 Uhr sei ein 30-Jähriger mit einem E-Scooter die Brunnenstraße entlang gefahren, so die Polizei Berlin. Er habe vor der Synagoge gehalten, habe den Roller weggeworfen und versucht, in Richtung des Gebäudes zu laufen. Dies hätten Einsatzkräfte verhindert und den Mann festgenommen. Dabei habe der 30-Jährige Widerstand geleistet und volksverhetzende sowie israelfeindliche Parolen gerufen. Die Beamten stellten seine Identität fest und entließen ihn anschließend. Der Polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen zum Widerstand gegen und versuchten tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie zur Volksverhetzung aufgenommen.
Ein Gemeindemitglied sagte der Reporterin vor Ort in der Brunnenstraße, der Gottesdienst habe wie jeden Morgen um 7.30 Uhr begonnen. Nach dem Gottesdienst habe jemand auf der anderen Straßenseite Allahu akbar geschrien. Die Polizei habe den Mann festgenommen.
Ebenfalls in der Nacht hatte es Ausschreitungen bei pro-palästinensischen Kundgebungen in Neukölln und am Brandenburger Tor gegeben. Grund für die spontanen Versammlungen soll ein Raketenangriff auf ein Krankenhaus in Gaza sein, bei dem Hunderte Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Israel macht dafür den Islamischen Djihad verantwortlich.
Gemeindemitglieder besorgt – Rabbiner: Viele haben Angst bekommen
In der Brunnenstraße ist durch den versuchten Anschlag die Sorge groß. Natürlich seien alle besorgt, auch vorher schon, aber jetzt deutlich mehr, sagte das Gemeindemitglied. Man hoffe, dass keine Panik ausbreche. Die Gemeinde habe in E-Mails informiert, dass der Betrieb des Kindergartens weiterlaufe.
Shlomo Afanasev, Rabbiner in Hannover, der aber in Berlin wohnt und kurz nach 7 zum Gemeindegottesdienst gehen wollte, steht vor der Absperrung: „Heute Morgen bin ich kurz nach 7 Uhr zum Morgengebet gekommen. Da war bereits alles abgesperrt, BKA und LKA waren bereits hier und haben Beweismittel gesammelt. Auf dem Boden lagen die Glassplitter der Flaschen der beiden Molotowcocktails. Die Polizisten haben mir gesagt, es hat einen Brandanschlag gegeben.“
Die letzten Tage seien schwierig gewesen, viele hätten Angst bekommen. „Letzten Freitag wurden wir von Polizisten nach Hause begleitet nach dem Gottesdienst. Ich wohne seit 22 Jahren in Berlin-Mitte. Es ist nicht normal für mich, dass ich von Polizisten nach Hause begleitet werden muss. Normalerweise trage ich meine Kippa. Aktuell trage ich ein Cappy über der Kippa, damit man mich nicht als Jude erkennt. Wir hatten bisher nie Angst hier. Würden wir im Wedding leben, wäre das vielleicht anders.“ Für alle Gemeindemitglieder sei es selbstverständlich, sich nicht mehr als Jüdin oder Jude zu erkennen zu geben.
Yehuda Teichtal: „Bloße Anteilnahme ist hier nicht genug“
Alle Mitglieder der Gemeinde seien sehr besorgt, so Afanasev weiter. „Viele Kinder wurden zu Hause gelassen und nicht hier in die Kita geschickt. Die Kita ist auf. Auch beim Morgengottesdienst waren weniger Leute.“
Den oder die Täter hat der Rabbiner nicht gesehen. „Als ich nach dem Morgengebet aus dem Fenster blickte, hat ein Mann mit Palästinenserschal auf der Straße geschrien. Ich habe es nicht verstanden, andere sagen, er habe „Allahu akbar“ geschrien. Er wurde sofort festgenommen. Ich denke aber nicht, dass es der Täter war, denn er saß 40 Minuten in Handschellen auf dem Bordstein, dann wurde er freigelassen.“
Auch Yehuda Teichtal, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin, äußerte sich zu dem versuchten Anschlag. „Wir sind entsetzt und bestürzt über den Brandanschlag auf die Synagoge und das Gemeindezentrum der Kahal Adass Jisroel Gemeinde heute Nacht. Bloße Anteilnahme ist hier nicht genug. Jetzt müssen Taten folgen, denn das ist ein Angriff auf das jüdische Leben in Deutschland. Wir alle wollen und brauchen ein starkes und lebendiges jüdisches Leben in Berlin, jetzt muss mehr dafür getan werden.“
Innensenatorin Spranger: Anwesenheit der Polizei verhinderte erfolgreichen Anschlag
Berlins Innensenatorin Iris Spranger verurteilte die israelfeindliche Gewalt und den versuchten Brandanschlag. „Es gibt keine Rechtfertigung, den Hass nach Berlin zu tragen“, betonte die SPD-Politikerin am Mittwoch. „Es gibt keine Rechtfertigung, andere zu beleidigen, zu bedrohen, zu attackieren.“ Dem werde sich der Rechtsstaat mit aller Konsequenz entgegenstellen.
Die Anwesenheit der Polizei habe verhindert, dass die Täter nahe genug an das Gebäude an der Brunnenstraße herangekommen seien, um ihr Ziel tatsächlich zu treffen, erläuterte Spranger. Sie würdigte, dass auch friedlicher Protest möglich sei, so etwa bei der Mahnwache auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor mit 350 Menschen.
„Wir haben unterschiedlichste Szenarien in den Bewertungen der Sicherheitslage vorgedacht“, betonte Spranger. „Genau deshalb haben wir ja die Schutzmaßnahmen erhöht. Genau deshalb waren auch gestern wieder Polizistinnen und Polizisten im Einsatz, haben Straftaten verhindert sowie Straftäter und Straftäterinnen festgenommen.“ Sie fügte hinzu: „Ich appelliere an alle trotz des Konfliktes, der Sorgen und Emotionen, sich ausschließlich an friedlichem Protest zu beteiligen und keine Straftaten zu begehen.“
Steinmeier warnt vor Generalverdacht gegen alle Muslime
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte vor einem Generalverdacht gegen Muslime. „Mein Appell an alle ist, dass wir aufgrund unserer Geschichte alles dafür tun müssen, dass sich Antisemitismus in diesem Land nicht weiter ausbreitet“, sagte Steinmeier am Mittwoch bei einem dreitägigen Besuch im südthüringischen Meiningen. Man sollte aber auch nicht in einen Generalverdacht gegenüber allen Muslimen verfallen, warnte der 67-Jährige.
„Ich will hier in aller Deutlichkeit sagen: Das wollen und werden wir in Deutschland nicht dulden“, sagte Steinmeier mit Blick auf den versuchten Anschlag. Deutschland habe ein besonderes Verhältnis zu Israel. Man sei über eine schreckliche Geschichte miteinander verbunden. „Dieses besondere Verhältnis zu Israel muss jeder kennen, der in Deutschland lebt.“ Jeder müsse die Geschichte von Auschwitz kennen „und die Verantwortung und den Auftrag“, die sich daraus ableiteten.
Innenministerin Faeser: Täter müssen schnell ermittelt werden
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte sich ebenfalls: „Der heute Nacht versuchte Brandanschlag auf die Synagoge in Berlin ist eine abscheuliche Tat. Ich bin sehr dankbar, dass die Berliner Polizei die Synagoge schützt. Die Täter müssen schnell ermittelt und mit aller Härte zur Verantwortung gezogen werden. Wir stehen eng an der Seite der Jüdinnen und Juden in Deutschland. Der Schutz von jüdischen Einrichtungen hat höchste Priorität. Der Schutz wurde nochmals verstärkt, dafür bin ich den Ländern sehr dankbar. Die abscheuliche Tat von heute Nacht zeigt, wie wichtig hohe Wachsamkeit und umfassender Schutz sind. Wir werden weiter mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen Extremisten und Gewalttäter vorgehen, die Angst und Hass gegen Jüdinnen und Juden schüren.“
Antisemitismusbeauftragter fordert volle Härte des Gesetzes gegen Täter
Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für den Kampf gegen Antisemitismus, zeigte sich entsetzt über den Angriff auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Berlin in der Nacht auf Mittwoch. „Wir müssen es klar und deutlich aussprechen: Gestern Nacht gab es den Versuch, eine Synagoge abzubrennen“, sagte Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Mitten in Berlin, im Jahr 2023. Es ist pures Glück, dass weder Gebäude noch Personen zu Schaden gekommen sind. Wenn wir seit Jahren sagen, dass es unsere Aufgabe ist, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen, dann ist spätestens jetzt der Moment gekommen, das mit aller Kraft zu tun.“
Viele Jüdinnen und Juden würden sich momentan nicht sicher fühlen in Deutschland, erklärte Klein. „Das ist ein absolut unsäglicher, unhaltbarer Zustand.“ Er forderte, diejenigen, die antisemitischen Hass verbreiten, müssten die volle Härte des Gesetzes spüren. „Der Schutz für jüdische Institutionen muss nochmal erhöht werden“, sagte Klein weiter. „Und die Gesellschaft muss nun endlich geschlossen aufstehen und sagen: Nein, wir lassen es nicht zu, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland in Angst leben müssen.“
Grünen-Chef Nouripour fordert zügige Konsequenzen
Der Co-Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, forderte zügige Konsequenzen. „Antisemitismus hat keinen Platz in unserer Gesellschaft“, sagte Nouripour den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Die Verantwortlichen dafür müssen schnell identifiziert und zur Rechenschaft gezogen werden.“ Der Grünen-Chef hob hervor, dass er die Angriffe „aufs Schärfste“ verurteile.
Der Anschlag habe erneut gezeigt, dass die Sicherheitslage auch in Deutschland angespannt sei, sagte Nouripour. „Deshalb müssen die Sicherheitsbehörden alles daran setzen, jüdische und israelische Einrichtungen in Deutschland zu schützen – dafür sollten die Sicherheitsvorkehrungen überprüft und bei Bedarf erhöht werden.“ Es gebe eine besondere Verantwortung für jüdisches Leben in Deutschland. „Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden“, sagte er.
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