Essen/Dortmund. Von Gentrifizierung sieht die Stadtsoziologin Susanne Frank das Ruhrgebiet entfernt. Dennoch waren im Städtebau zuletzt Besserverdiener im Fokus.

Der Phönixsee in Dortmund, teure Neubauprojekte in Vierteln wie Essen-Rüttenscheid und Bochum-Ehrenfeld: Viele Jahre richteten die Stadtplaner im Ruhrgebiet ihre Quartiers-Entwicklung vor allem auf die Bedürfnisse der gehobenen Mittelschicht aus. Das jedenfalls sagt die Soziologin Susanne Frank, die an der TU Dortmund den Fachbereich Stadt- und Regionalsoziologie leitet.

Aus ihrer Sicht war diese Planung auch folgerichtig, um den Strukturwandel von der Arbeiter- zur Dienstleistungsstadt zu unterstützen. Jetzt aber sei es an der Zeit, andere Gruppen nicht aus dem Blick zu verlieren. Ein Gespräch über den oft „unorthodox“ genutzten Begriff der Gentrifizierung, den Wunsch nach mehr Bürgerbeteiligung und die Herausforderung der Corona-Pandemie für die Innenstädte.

In manchen Ruhrgebietsstädten gründen sich Bürgerinitiativen, die mit den Bauplänen vor ihrer Haustür nicht einverstanden sind. Wie müsste moderne Stadtplanung aus Ihrer Sicht heute aussehen?

Auch interessant

Susanne Frank: Die Beobachtung ist richtig, dass Bürgerbeteiligung immer häufiger eingefordert wird. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die Städte die Bürger frühzeitig an der Entwicklung ihrer Viertel teilhaben lassen. Aus der Erfahrung heraus wissen wir aber, dass sich in solchen Beteiligungsprozessen vor allem besser gebildete Menschen mit höherem Einkommen einbringen – die ihre persönlichen Interessen oft gut vertreten können. Das kann man zum Beispiel bei den aktuellen „Bürgerdialogen“ zur Entwicklungen am Phoenixsee sehr gut beobachten. Insofern müssen sich die Städte fragen, wie sie möglichst viele Zielgruppen erreichen können, Migranten, Studenten und Familien mit niedrigem Einkommen zum Beispiel.

Projekte wie etwa der Phoenixsee in Dortmund oder Luxus-Neubauten in Essen-Rüttenscheid verstärken bei manchen Menschen den Eindruck, die „alte Nachbarschaft“ würde aus dem Viertel verdrängt. Gibt es das Phänomen der Gentrifizierung auch im Ruhrgebiet?

Susanne Frank ist Leiterin des Fachbereichs Fachbereich Stadt- und Regionalsoziologie an der TU Dortmund.
Susanne Frank ist Leiterin des Fachbereichs Fachbereich Stadt- und Regionalsoziologie an der TU Dortmund. © Privat | Privat

Der Begriff der Gentrifizierung wird in einer Vielzahl von Bedeutungen genutzt. Im klassischen Begriffsverständnis müssten dazu auch im Umfeld von Neubauprojekten wie am Phoenixsee die Mieten überdurchschnittlich steigen. Weitere Indikatoren wären die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, Luxussanierungen, die Veränderung des gewerblichen Angebots und der gesamten Sozialstruktur. All das ist zum Beispiel in Dortmund-Hörde nur in Einzelfällen zu beobachten. Auch in den übrigen Ruhrgebietsstädten können wir bislang höchstens Ansätze für Gentrifizierung im engeren Sinne erkennen. Die Menschen nutzen den Begriff aber häufig, um ihr Unbehagen auszudrücken, wie sich die gesellschaftlichen Strukturen im Viertel wandeln. Das Konzept Gentrifizierung wird vor allem aufgegriffen, um auf die eklatanten sozialen Ungleichheiten hinzuweisen, die sich gerade auch in Neubauprojekten materiell und symbolisch kristallisieren. In diesem Sinne sollte man die Diskussionen um Gentrifizierung ernst nehmen und nicht abtun.

Dennoch lässt sich die Verdrängung alt eingesessener Mieter ja nicht leugnen.

Auch interessant

Ja, und jeder einzelne Fall ist bedauerlich. Und natürlich gibt es etwa mit dem Kreuzviertel in Dortmund, Bochum-Ehrenfeld und Essen-Rüttenscheid Quartiere, die aufgewertet wurden. Das sind insgesamt aber nur einige wenige, und diese Stadtteile waren auch nie klassische Arbeiterviertel. Eine Gentrifizierung findet dort also nicht statt. Dennoch beobachten wir auch im Ruhrgebiet, dass die Mieten überall steigen und der Wohnungsmarkt enger wird. Es ist an den Stadtplanern, hier frühzeitig gegenzusteuern. Das innenstadtnahe Wohnen darf nicht zum Privileg der Besserverdienenden werden, wie es etwa in Frankfurt oder München der Fall ist.

Was können die Städte denn gegen diesen Trend tun?

Die Städte könnten zum Beispiel selbst wieder verstärkt als Bauherren auftreten und das Feld weniger den profitorientierten privaten Wohnungsunternehmen überlassen. Der soziale Wohnungsbau ist ein wichtiges Instrument. Dortmund etwa hat eine verpflichtende Quote von 25 Prozent bei Neubauprojekten eingeführt. Gleichzeitig wurde in vielen Städten jahrelang Wohnungspolitik für die oberen Mittelschichten gemacht. Das war auch richtig, da mit dem Strukturwandel mehr Wohnraum für gehobenere Ansprüche benötigt wurde. Jetzt ist es aber wichtig, umzuschwenken. Denn schon jetzt wird es in Dortmund und anderen Ruhrgebietsstädten immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Vor allem in den Innenstädten dürfte ja bald reichlich Platz sein, nachdem die Coronakrise die Abwärtsspirale des stationären Einzelhandels verschärft hat.

Auch interessant

Corona hat deutlich gemacht, dass man über Innenstädte ganz neu nachdenken muss. Sie müssen Orte von funktionaler Mischung werden, indem sie Platz zum Wohnen und Freiräume bieten, die ohne den lange für Innenstädte typischen Konsumzwang auskommen. Das wird insbesondere für Dortmund und Essen eine große Herausforderung. Unsere fragmentierte Gesellschaft braucht Orte, an denen sie zusammenkommen kann. Am Phönixsee ist das übrigens gelungen. Da sitzen Gymnasiasten ebenso am See wie Rentner oder shisharauchende Jugendliche. Wenn man einmal um den See ‘rum ist, hat man das Gefühl, dass man die Dortmunder Gesellschaft im Querschnitt gesehen hat.