Wetzlar/Frankfurt. Auf der Suche nach günstigen Wohnungen schließen sich immer mehr Menschen zusammen. Ein Beispiel ist eine Initiative aus dem hessischen Wetzlar.

Wohnen in den eigenen vier Wänden, hilfsbereite Nachbarn in der Nähe und das alles zu einem günstigen Preis: Das wünscht sich eine Gruppe Wetzlarer, die zum Erreichen dieses Ziels einen Verein gegründet hat. "Es geht uns darum, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der nachhaltig erhalten bleibt und das über unsere Generation hinaus", sagt Gila Gertz vom Vorstand des Vereins "Sonnensprossen".

Die etwa 30 Mitglieder planen ihr Gemeinschaftsprojekt auch aus der Überzeugung heraus, dass sich generell etwas ändern muss, nicht nur bei den Preisen fürs Wohnen: "Ich lebe in einem wunderschönen Eigenheim", sagt Vorstandsmitglied Willi Jung (52). Er mache aber bei dem Wohnprojekt mit, weil er glaube "dass uns solche Konzepte als Gesellschaft weiterbringen".

Trend zeigt sich auch auf dem Land

Die Wetzlarer sind mit ihren Ideen nicht allein. Das Interesse am gemeinsamen Wohnen steigt. Das sei bundesweit zu beobachten und nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land, sagt Birgit Kasper, die Leiterin der Koordinations- und Beratungsstelle beim "Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen". Das Netzwerk zählte demnach vor zehn Jahren in der Mainmetropole und Umgebung noch 14 solcher Initiativen und Projekte, mittlerweile über 80.

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"Die Nachfrage geht mit verschiedenen Veränderungen der Lebenswelt einher", erläutert Kasper. Dazu gehörten nicht nur ökonomische Zwänge angesichts hoher Mieten, sondern auch soziale Aspekte wie die Angst vor Einsamkeit oder eine neue Kultur des Teilens. Zudem passe die Standardwohnung mit drei Zimmern, Küche, Diele, Bad nicht mehr zum Lebensstil vieler: "Neue Wohnungen werden immer noch so produziert wie vor 40 Jahren mit dem Leitbild der traditionellen Kleinfamilie."

Eigenheime in Ballungsgebieten Mangelware

In Hessen beispielsweise bleiben günstige Wohnungen und Eigenheime insbesondere in den Ballungsgebieten Mangelware. Für mehr bezahlbare Quadratmeter will die wiedergewählte schwarz-grüne Regierung laut Koalitionsvertrag bis 2024 unter anderem 2,2 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen, das Eigentum mit einem Maßnahmenpaket fördern und auch Initiativen für genossenschaftliches und gemeinschaftliches Wohnenunterstützen.

Im sozialen Mietwohnungsbau seien derartige Initiativen grundsätzlich förderfähig, sofern bestimmte Einkommensgrenzen der Bewohner eingehalten werden, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Modellprojekte, die neue Konzepte gemeinschaftlicher Wohnformen testen, erhalten demnach seit 2018 eine erhöhte Förderung. Ziel sei, künftig auch im Eigentumsbereich gemeinschaftliches Wohnen zu unterstützen. "Dafür bedarf es einer Richtlinie, die gerade abgestimmt wird", teilt ein hessischer Ministeriumssprecher mit. Zudem plant das Land die Gründung einer Landesberatungsstelle für gemeinschaftliches Wohnen und ein Förderprogramm zum Erwerb von Genossenschaftsanteilen.

Wachsendes Interesse auch bei Älteren

Tobias Koch vom Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos beobachtet ebenfalls ein wachsendes Interesse an gemeinsamen Wohnformen, auch unter Älteren. Gerade in den Großstädten übersteige die Nachfrage nach preiswerten Wohnungen das Angebot. Daher wählen die Menschen kleinere Wohnungen, machen Abstriche bei der Ausstattung ihrer vier Wände, ziehen ins Umland - oder tun sich mit anderen zusammen. Angesichts der "immensen Herausforderungen" auf dem Wohnungsmarkt könne dieser Ansatz aber nur eine Ergänzung im Maßnahmenkatalog sein, betont der Experte.

Der Verein "Sonnensprossen" in Wetzlar hat bereits einen Kern von Mitstreitern gefunden, sucht aber noch junge Familien. Eine "Alten-WG" wolle man nicht sein. "Wir sind für alle Wohnformen offen", sagt die 67-jährige Gertz, der es auch um Nachhaltigkeit geht, etwa, indem sich die künftigen Nachbarn Haushaltsgeräte teilen. Sie skizziert das Projekt so: Jeder bekommt seine eigene Wohneinheit, denn als Lebensgemeinschaft versteht sich der Verein nicht. Gästezimmer, Büro oder Werkstatt sollen gemeinsam genutzt werden - das spart auch Kosten. Die Finanzierung soll langfristig und wahrscheinlich als Genossenschaft getragen werden. So werde das Risiko minimiert, sagt Jung.

Keine "Insel der Glückseligen"

Und noch etwas wünscht sich der Verein: Das künftige Domizil solle keine "Insel der Glückseligen" sein, sondern die Bewohner wollen sich einbringen und vernetzen. "Wir stellen uns ein offenes Haus in der Nachbarschaft vor", sagt Architekt Stefan M. Eckert (58). Dazu könnten Angebote zur Nachbarschaftshilfe gehören, um zu einem lebendigen Quartier beizutragen.

Zunächst aber muss der Verein noch ein geeignetes Grundstück finden. Mit einer erhofften städtischen Fläche habe es nicht geklappt, berichten die Vereinsmitglieder, die sich generell mehr Unterstützung von der Politik für gemeinsame Wohnformen wünschen. Sie sind gleichwohl optimistisch, bald ihr Projekt in die Tat umsetzen zu können: "Es ist viel Motivation da." (dpa)