Witten. . Eigentlich sieht man ihn nie ohne: Für unsere Serie „So lacht das Revier“ hat der Slam-Poet Sebastian 23 aus Bochum die graue Schiebermütze doch mal kurz abgesetzt. Aber nur, um das Kaufhausmodell gleich wieder zu ersetzen: Im Hutsalon in Witten probierte er Melone und Zylinder.
Er müsste nicht, er tut es trotzdem: Sebastian 23 trägt Hut. Lüftet er ihn, lüftet er kein kreisrundes Geheimnis, wie es viele Männer unter einer Kopfbedeckung zu verstecken versuchen. Das dunkle Haar des 35-Jährigen ist dicht. „Ich habe diese graue Kappe auf den Kopf und denke: Da geht doch mehr! Dieses Gesicht schreit nach einem Farbtupfer!“, erklärt Sebastian 23 seinen Salon-Besuch.
Die erste Schiebermütze hat er sich aus einer Laune heraus gekauft. Das war vor zwölf Jahren, als er auch seine ersten Tricks als Wortakrobat vorführte.
„Ich wollte eine neue Epoche in meinem Leben einläuten, die den Titel tragen sollte: Ich sehe nicht mehr doof aus! Im Zuge dessen habe ich meine Ponchos und die langen Haare entsorgt.“ Sebastian 23 schaltet innerhalb weniger Sekunden von Ernst auf Ironie, intelligente Gedanken enden schon mal mit einem albernen Schluss. Aber das lange Haar und die Ponchos habe es wirklich gegeben, beteuert er: „Ach, ich sah lustig aus! Ich hatte Glück, dass zu der Zeit noch nicht jeder eine Handykamera hatte.“
Ein Moderator wählte den Künstlernamen
So zufällig, wie seine Schiebermütze sein Eigen wurde, bekam er auch seinen Namen: „Bei einem Poetry-Slam sind damals mehrere Sebastians aufgetreten. Und da man zu dieser Zeit immer mit Vornamen anmoderiert wurde, wollte ich mich von den anderen Sebastians unterscheiden – Sebastianen, Sebastiani?“, überlegt der Philosoph mit einer hochgezogenen Augenbraue und fährt dann grinsend fort: Ein Moderator hat die 23 hinter den Sebastian gesetzt. Damals trug er eine hölzerne Kette, die eine 23 zeigte – ein Geschenk zum Geburtstag.
Als Sebastian Rabsahl kam er in Duisburg zur Welt, verbrachte seine ersten Lebensjahre in Duissern, die Jugend am Niederrhein in Sonsbeck, sein Studium der Philosophie in Freiburg, um dann ins Ruhrgebiet zurückzukehren, nach Bochum.
Dem Poetry-Slam-Vizeweltmeister von 2008 gefällt’s im Revier, aber nach außen trägt er die Schönheit an der Ruhr nicht: „Das Gegenteil ist der Fall, ich erzähle immer, dass in Bochum acht neue Hochöfen eröffnet haben, die jetzt aber mit flachen Schornsteinen arbeiten, damit mehr Schwermetalle direkt in die Umwelt gelangen, weil ich einfach nicht möchte, dass die Leute hier herziehen – und so die Mieten niedrig bleiben.“
Im Revier "muss nicht alles Blumenwiese" sein
Auf die Frage, wie das Revier lacht, ruft er: „Muhahaha.“ Und wechselt wieder von albern zu ernst: „Es muss nicht alles freundlich, Sonnenschein und Blumenwiese sein, man kann hier Probleme direkt ansprechen, einen schwarzhumorigen, sarkastischen Witz machen, ohne dass gleich alle beleidigt sind.“
Sebastian 23 nimmt vieles wahr. Und sei es nur ein lustiges Werbeschild beim Vorbeifahren: „Heike Sebastian – Die BH-Beratung, die sitzt.“ Er beobachtet und erkennt, wie skurril das Leben ist. Guter Stoff, aus dem die Texte für den nächsten Dichter-Wettstreit entstehen.
"Ich war der größte Lampenfieber-Patient"
Mit Deutsch hatte er in der Schule nichts am Hut, zu wenig kreativ sei der Unterricht gewesen. Heute geht er selbst in die Schulen, will den Jugendlichen mit Workshops nicht nur das Texten und Vortragen beibringen, sondern auch Selbstbewusstsein geben.
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„Ich war der größte Lampenfieber-Patient, den man sich vorstellen kann. Ich weiß gar nicht, in welchem Anfall von Selbstvergessenheit ich das erste Mal beim Poetry Slam aufgetreten bin.“ Doch wenn er heute die Bühne betritt, fühlt sich das so selbstverständlich an, wie einen Kakao aus der Küche zu holen.
Der Zauber des Hutes
Im Schnitt tritt er jeden zweiten Abend auf, nicht immer solo, meist moderiert er Poetry Slams. Oder die Lesebühne in Dortmund, bei dem ein Team mit einem Gast neue Texte vorträgt. Buchbar ist Sebastian 23 bei seiner eigenen Agentur Wort-Laut-Ruhr.
Das alles müsste er natürlich nicht mit Mütze tun, räumt der Vater eines Zweijährigen ein: „Aber vielleicht habe ich als Kind einmal zu viel Michel aus Lönneberga gelesen. Und will darum immer meine Mütze haben.“ Zurzeit sucht er einen Verlag für ein eigenes Kinderbuch: Zauberkräfte verleiht in der Geschichte natürlich nicht ein Umhang, sondern ein Hut.
Der Hut darf nicht zu warm sein
Die Wahl des richtigen Hutes im Wittener Salon fiel Sebastian 23 nicht leicht: Karierter Schlapphut oder „Prinz Heinrich“ mit geflochtener Kordel am Schirm? „Nee, zu warm für die Bühne.“ Luftige Seemannskappe oder doch lieber eine bunte Strickmütze, die auch Bob Marley gestanden hätte? Welcher Hut die gewünschte Typveränderung brachte, zeigt unser Video im Internet.
An dieser Stelle sei jedoch verraten: Als die Kamera für unseren Dreh aus war, hat sich Sebastian 23 noch einen Hut gekauft mit dem anfangs gewünschten Farbtupfer: Ein sehr dezentes Muster zeigt einen Hauch von Violett. Das hätte aber ein anderer bekannter Hutträger – Sherlock Holmes – mit der Lupe suchen müssen auf der neuen Kopfbedeckung aus feinem Stoff: einer grauen Schiebermütze.