Essen. Dass man oft eine weite Strecke zurückzulegen hat, um zum Chef zu gelangen, ist kein Zufall. Vorgesetzte nutzen die räumliche Distanz, um Macht vorzuführen und zu sichern. Ihre Mittel dabei sind beeindruckend wirkungsvoll und stammen zum Teil noch aus dem Altertum.
Schon sein Büro ist meistens oben, also muss man hoch zum Boss. „In allen Kulturen ist die erhöhte Position ein Zeichen von Dominanz“, sagt der Evolutionspsychologe Harald Euler. Und das soll hübsch so bleiben: Wer erst oben ist, wolle sich „nicht auf dem Kopf herumtanzen lassen; er will sich über die anderen erheben, herausstechen, andere überragen – im übertragenen wie auch im wahrsten Sinne des Wortes“, urteilt der Hamburger Organisationspsychologe Jörg Felfe. Der ganz oben waltende Chef habe „die Kontrolle und die Übersicht, einen freien Blick“.
Dorthin muss man erst einmal vordringen – und nicht schon im Vorzimmer abgewimmelt werden. Wer dort warten darf, von dem hieß es früher, er müsse antichambrieren, also vor dem Raum des Mächtigeren ausharren. Mitarbeiter haben auf so etwas natürlich keine Lust und wünschen sich einen zugänglichen Vorgesetzten oder eine Chefin mit offener Tür. Wer zumindest über einen kurzen Draht nach oben verfügt, darf sich geschätzt fühlen, und mancher, der ihn hat, bildet sich mächtig etwas darauf ein, und das kann auffälliger sein als jedes Chefgehabe.
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Doch seit jeher haben Staatenlenker, Vorstandsvorsitzende oder andere Machthaber Wert darauf gelegt, den Zugang zu sich zu erschweren und mit geschickt gewährten Ausnahmen von der Regel Günstlinge zu erhöhen und an sich zu binden. Ein bewährtes Mittel, Macht zu inszenieren, ist Architektur. In der etwa 1700 Jahre alten Konstantin-Basilika in Trier mussten Besucher des römischen Kaisers lange Wege in Kauf nehmen, bis sie untertänigst vor dem Herrscher niederknien durften. Der Prunksaal misst in der Länge stolze 67 Meter. Nach der Audienz musste der Gast sich rückwärts vom Kaiser entfernen, durfte dem Potentaten also nicht den Rücken zuwenden.
Wie Hitler schon durch Architektur einschüchterte
Auch die von Albert Speer entworfene Neue Reichskanzlei für Adolf Hitler sollte Staatsgäste, Untergebene und Bittsteller beeindrucken – ach was: erschaudern lassen. Die Front des Gebäudes war 421 Meter lang. Vom Ehrenhof betrat man über eine Freitreppe mit Portikus (Säulengang) eine Vorhalle und danach den gut 46 Meter langen Mosaiksaal, der komplett zu durchschreiten war.
Anschließend erreichte der Besucher einen runden Saal. Dann war man noch immer nicht beim größten Verführer aller Zeiten, sondern betrat erst einmal die 146 Meter lange Marmorgalerie, die nur halb zu durchlaufen war, bis man Hitlers Büro erreichte: Das maß fast 400 Quadratmeter und war nahezu 10 Meter hoch. „All das war ganz klar eine Machtdemonstration und diente der Einschüchterung“, sagt die Kunsthistorikern Angela Schönberger, die ihre Doktorarbeit über das Bauwerk und die gewollte Raumwirkung geschrieben hat. Der lange Weg zu Hitler war Teil des baupsychologischen Konzepts.
Der Anmarschweg von Besuchern ist aber nur ein Aspekt. Nicht nur Vorgesetzte, sondern auch viele Angestellte bevorzugen nach Ansicht der Hamburger Architekturpsychologin Antje Flade ein eigenes Büro, „weil es einen höheren Status signalisiert“. Wer sich mit zwei Kollegen einen Raum teilt, von dem nehmen Besucher an, dass er das nicht freiwillig tut. Wer alleine arbeitet, lautet die Botschaft, erledigt Wichtigeres, weil er sich öfter konzentrieren muss und nicht alle sehen sollen, was da an Wegweisendem entsteht.
Zehn Meter durch den Raum, bis man beim Chef ist
Im geteilten oder Großraumbüro ist Flade zufolge das Arbeitsgefühl ein anderes. Den Blicken Anderer ausgesetzt zu sein, mache unzufrieden und mindere das Wohlbefinden. Chefs haben es da besser. Sie müssen sich den Blicken von Untergebenen gar nicht erst aussetzen. Sogar im Detail zeigen ihre Büros, wer das Sagen hat. Um den Raum möglichst groß wirken zu lassen, steht der Schreibtisch von Entscheidern oft weit von der Tür entfernt.
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Der Hamburger Managementtrainer Tom Schmitt kann dazu eine Anekdote aus seiner Zeit als Angestellter beisteuern. „Ich habe mir erlaubt, in der EDV einen Verbesserungsvorschlag zu machen. Wenig später hat der Technische Direktor mich gebeten, nach dem Mittagessen in sein Büro zu kommen.“ Daraus lasse sich eine übliche Status-Regel ableiten: „Wer den höheren Status hat, bestimmt Zeit und Raum eines Treffens.“
Schmitt trat nach dem Anklopfen und dem „Herein!“ ein. „Da stand dann der Eichen-Schreibtisch des Direktors acht bis zehn Meter entfernt in der ganz anderen Ecke des Büros, und dahinter las er in seinen Unterlagen. Da geht man nicht einfach weiter auf ihn zu, sondern wartet erst, bis er aufschaut.“ Das tat der Direktor dann auch und sagte, Schmitt solle doch mal zu ihm herkommen. „Bis ich dann vor seinem Schreibtisch ankam, war ich schon vorgeführt worden.“
Bittsteller vor dem Schalt- und Walt-Pult
Überhaupt der Schreibtisch: Ein großer wirkt als Barriere und erscheint nicht zufällig so, als wolle sich jemand dahinter verschanzen, zumindest solange die Arbeitsplatte nicht aus Glas ist. Wer noch weniger zugänglich erscheinen möchte, kann den Schreibtisch „so hinstellen, dass er andere symbolisch abwehrt“.
Will man Bittsteller vor dem eigenen Schalt- und Walt-Pult zusätzlich verunsichern, stellt man keinen Besuchersessel bereit oder bietet ein Stühlchen an, auf dem in Augenhöhe zu sitzen allerdings nur zwei Meter großen Gästen gelingen würde. Antje Flades Fazit: „Die Macht einer Person spiegelt sich in dem Raum, in dem sie wirkt, sichtbar wider.“ Wer ganz oben vorsprechen muss, erfährt das also am eigenen Leib. Wer das Status-Theater durchschaut, mag es lächerlich finden. Doch Menschen sind halt merkwürdige Leute.