Essen. . Dreieinhalb Jahre hat die Frontfrau der pausierenden Band „Wir sind Helden“ einfach mal nichts getan, was nutzt, wie es in ihrem Song „Nichtsnutz“ heißt. Nun meldet sich Judith Holofernes mit neuem Solo-Album zurück: „Ein leichtes Schwert“. Sie fordert die Menschen auf, einfach mal nichts zu tun.

Sie ist wieder zurück! Die Frau mit der Ukulele und den tiefgehenden oder hochhumorigen Texten: Judith Holofernes, die eigentlich Judith – ganz unbiblisch – Holfelder-Roy heißt. Pola Roy, ihr Mann und der Schlagzeuger der pausierenden, gemeinsamen Band „Wir sind Helden“, hat mit ihr zusammen das neue Solo-Album eingespielt: „Ein leichtes Schwert“. Ein Schwert, mit dem man den Kampf des Lebens besteht. Oder den Alltag als Mutter von einem Jungen und einem Mädchen. Beim Gespräch hat Judith Holofernes viel gelacht und dabei bedacht, nicht wie die perfekte Powerfrau zu wirken. Ob es jemals ein Zurück zu den Helden geben wird, wisse sie nicht. Aber damit sich die nächste Tour nicht wieder wie ein Stress-Parcours anfühlt, bleibt ihr Mann dieses Mal daheim und hütet die Kinder. Ein Gespräch über Müßiggang, realistische Liebe und das wohltuende Bauchrausstrecken.

Wie müde sind Sie gerade?

Judith Holofernes: (lacht) Ich hab noch so einen leichten Überhang an Müdigkeit, weil ich gestern beim Frühstücksfernsehen war. Da muss man so unfassbar früh aufstehen, aber eigentlich bin ich ganz ausgeschlafen.

Wenn ich richtig zähle, hört man auf Ihrem Album siebenmal das Wort „müde“ . . .

Das ist lustig, da ich das Album für aufgeweckt halte. Da ist die Müdigkeit der letzten zwölf Jahre wohl noch mal eingeflossen.

Was hat Sie müde gemacht?

Judith Holofernes erwartet nicht, dass ihr Leben immer rosig verläuft.
Judith Holofernes erwartet nicht, dass ihr Leben immer rosig verläuft. © Sony

Die ständige Spiegelung, immer irgendetwas sein zu müssen. Damit habe ich mich als praktizierende Buddhistin auseinandergesetzt, was sehr hilfreich war. Ob man sich damit identifiziert, was man macht und darstellt. Ich habe das lange nicht ernst genommen. Und dann wird man in diesem Beruf als Person festgeschrieben.

Wie meinen Sie das?

Ich bin ganz viel in den Medien vorgekommen. Es wird da ein Bild gemalt, das auch wichtig ist für die Re­zeption, was aber natürlich sehr wenig mit einer echten, beweglichen Person zu tun hat. Ich habe gestern ein Interview gesehen mit Joni Mitchell, die 70 ist, und die sagt, dass sie Interviews schwierig findet mit ihren Festschreibungen auf bestimmte Rollen, weil sie sich selbst als ständig im Wandel begreift. Und ich dachte: Ja das ist es!

Und dann mussten Sie in der Band Kompromisse machen?

Ich habe mir das ja selber so ausgesucht. Wir hatten selbst für eine Band ein ungewöhnlich demokratisches Konzept. Jetzt kann ich noch genauer nach meinen sehr speziellen Maßstäben handeln, das ist einfacher. Ich verliere viel Energie, wenn ich Sachen mache, die für mich nicht richtig stimmen.

Auf Ihrem Album sind auch wieder kritische Töne zu hören, und trotzdem ist da diese Fröhlichkeit, die Tanzbarkeit – wie wichtig war Ihnen das?

Tanzen war Judith Holofernes schon immer wichtig. Es sei ihr Gegenmittel bei schlechter Laune.
Tanzen war Judith Holofernes schon immer wichtig. Es sei ihr Gegenmittel bei schlechter Laune. © IMAGO

Das war mir sehr wichtig, das hat sich aber auch einfach so ergeben. Ich habe schon immer gerne getanzt. Einer der Beweggründe, warum ich mit Anfang 20 eine Band wollte, war, dass die Leute in meinen Konzerten nicht versonnen rumsitzen und mit dem Kopf nicken sollten, sie sollten singen und tanzen. Ich tanze selbst viel. Wenn es mir nicht gutgeht, tanze ich als Gegenmittel zwanzig Minuten durchs Wohnzimmer.

Wach sein, verführerisch sein, etwas leisten, das sind die Ideale unserer Zeit. Und bei Ihnen hört man dann in dem Lied „Danke, ich hab schon“, dass man den Bauch rausstrecken soll, oder einfach mal nichts tun, wie in dem Song „Nichtsnutz“.

Ich mag Menschen und die komischen Sachen, die sie so machen. Und ich interessiere mich für Freiheit, die Unfreiheiten und Regeln, die man, ohne sie zu hinterfragen, in Kauf nimmt. Ich habe das Gefühl, wie die Gesellschaft gestrickt ist, ist die ultimative Rebellion, den Tag mit dem Rücken zur Welt zu verbringen, den Bauch rauszustrecken und nichts zu tun.

Müßiggang als Rebellion?

Ehemann und Helden-Schlagzeuger Pola Roy hat die neue Platte mit Judith Holofernes eingespielt. Während der Tour bleibt er aber daheim und hütet die Kinder.
Ehemann und Helden-Schlagzeuger Pola Roy hat die neue Platte mit Judith Holofernes eingespielt. Während der Tour bleibt er aber daheim und hütet die Kinder. © picture alliance / dpa

Müßiggang hat etwas von Gesellschaftskritik. Es gab viele Phasen, in denen Müßiggang auch streng geahndet wurde, jeder arbeitsfähige Mann, der nichts zu tun hatte, ist sofort ins Arbeitslager gekommen. Das war bei den Nazis so, aber auch schon früher. Mit dem Beginn der Industrialisierung musste Arbeit als Selbstwert erst einmal im kollektiven Bewusstsein installiert werden. Davor hat niemand gearbeitet, um zu arbeiten. Es ist heute nützlich zu wissen, dass unser Verständnis von Arbeit, die Zeit in Büros abzusitzen, total jung ist. Es ist überhaupt nichts Gottgegebenes.

Mit dem Lied „Nichtsnutz“ sprechen Sie den Menschen aus der Seele, endlich mal nichts tun. Doch viele werden innerlich unruhig, sobald sie dann mal nichts tun.

Ja, aber die Hibbeligkeit verfliegt. Bei mir haben ordentlich die Bremsen gequietscht, als ich in die Pause gegangen bin, aber das muss man einfach mal aushalten. Geschäftigkeit verhindert viel und Geschäftigkeit ist auch dazu da, um etwas zu verhindern. Mit diesem ständigen Machen und Tun, macht man wahnsinnig viel Geräusch, das verhindert, dass man seine innere Stimme hört. Ich glaube, viele Leute haben deshalb auch Angst, nichtsnutzig zu sein. Aber ich kann es nur empfehlen. Weil sich in dieser Stille Sachen zeigen, von denen man vorher nichts wusste.

In dem Video zu „Liebe Teil 2 – Jetzt erst recht“ werfen zwei engelsgleiche Knaben Handy, Xylofon und Zauberwürfel auf Ihren Kopf, bis Sie ein blaues Auge haben und einen Zahn verlieren. Lust aufs Kinderkriegen bekommt man da ja nicht gerade. . .

Judith Holofernes zähmt die Bestie – Das Cover der neuen Platte „Ein leichtes Schwert“.
Judith Holofernes zähmt die Bestie – Das Cover der neuen Platte „Ein leichtes Schwert“. © Sony

Das Schöne ist ja, dass das keine Werbeveranstaltung sein muss (lacht). Ich finde die Realität der Liebe am spannendsten, ich mag es, darauf zu schauen, wie die Liebe einen oft auch verbeult. Und ich finde es romantisch, dass Liebe etwas mit einem Entschluss zu tun hat. Das kommt noch nicht richtig ins Spiel, wenn Verliebte um einander herumtänzeln, sondern, wenn es ernst wird, wenn man merkt, dass der andere keinen Müll runterbringt. Und wenn dann noch Kinder hinzukommen, dann wirkt das wie ein Turbo. Besonders, wenn man da mit der Erwartung rangeht, dass alles die ganze Zeit nur rosig sein darf.

Heute tragen Sie das Haar blond, könnten Sie sich vorstellen – wie viele andere berühmte Frauen –, Werbung zu machen für Tönungen mit perfekter Grauabdeckung?

(lacht) Das Blond war ein bisschen Zufall, weil ich zunächst ein Dolly-Parton-mäßiges Retro-Cover mit aufgesteckten Haaren und der Ukulele machen wollte, so ein bisschen Hawaii und Country. Es ist am Ende nicht so geworden, wie wir es wollten, aber die Haare waren dann halt blond. Und was die Werbung betrifft: Mir fällt einfach kein Produkt ein, für das ich Werbung machen wollte.

Nun zeigt das Cover Sie auf einem feuerspuckenden Fabelwesen – ohne Dolly Parton. Das erschließt sich mir nicht so ganz. . . .

Mir auch nicht (lacht). Es war eine lange Nacht. Ich glaube, ich habe den Drachen mit meinem leichten Schwert gezähmt anstatt ihn zu töten. Das fand ich gut. Aber was das alles soll, weiß ich auch nicht mehr (lacht). Es gefällt mir halt. Das ist einfach mein komischer Humor.

Hier geht es zur Plattenkritik von „Ein leichtes Schwert

  • Ein leichtes Schwert, Four Music. Live: 3.4. Dortmund, FZW;
    17.4. Köln, Gloria.