Luxor. Millionen von Menschen leben in Ägypten vom Tourismus. Doch immer mehr Hotels bleiben leer. Die Reisenden haben Angst vor Unruhen. Die Nachrichten über Demos und Tote im kilometerweit entfernten Kairo machen die Situation noch schlimmer. Die Ägypter warten. Wie lange noch? Ein Ortsbesuch.
Mohammed sitzt auf einem Stuhl, bei dem die Farbe abblättert. Seit Stunden harrt er vor seinem Souvenirladen in Luxor aus. Er wartet auf Touristen. Aber an diesem Septembertag kommt niemand – das geht seit Wochen so. „Es ist hart“, sagt der 25-Jährige. Die T-Shirts, Billig-Zigaretten und Kitsch-Pyramiden bleiben in den Auslagen liegen.
Leere Hotels. Leere Strände. Leere Promenaden. Die zweite Revolution in Ägypten hat die Tourismusbranche schwer getroffen. Aber es ist weniger eine ökonomische Krise, als vielmehr eine soziale. Nicht etwa die Investoren, Hotelbesitzer oder Bauunternehmer leiden unter der Situation. Sie haben in den fetten Jahren des Tourismus Milliarden verdient. Ihre Bauprojekte am Roten Meer treiben sie unermüdlich voran.
Es sind die einfachen Arbeiter, die um ihre Existenz fürchten. Rund vier Millionen Menschen verdienen ihr Geld direkt oder indirekt mit dem Tourismus. Mit ihrem Lohn unterstützt jeder von ihnen fünf bis zehn Verwandte.
Souvenirhändler Mohammed verdient in guten Monaten rund 700 ägyptische Pfund. Das sind etwa 70 Euro. Aber da die Nilkreuzfahrtschiffe am Kai hinter seinem Laden zurzeit nicht mehr ablegen, herrscht auch Flaute in Mohammeds Kasse. „Wenn es so weitergeht, dann weiß ich nicht mehr weiter“, klagt er.
Vor Reisen nach Luxor, der „Stadt der Paläste“, rät das deutsche Auswärtige Amt noch immer ab. Die Reisewarnung für das Rote Meer zog das Ministerium drei Tage nach der Bundestagswahl zurück. Nun steht auf der Internetseite des Amtes: „Für Reisen nach Ägypten einschließlich der Touristengebiete am Roten Meer wird zu besonderer Vorsicht geraten.“
Während Mohammed auf Touristen wartet, landen am Airport des vier Autostunden entfernten Hurghada schon wieder die Flugzeuge. Die großen Reiseveranstalter wie TUI oder Thomas Cook haben Ägypten zurück in ihr Programm geholt.
Hotels an Hotels am Roten Meer
Das einstige Fischerdorf Hurghada steht sinnbildlich für den Bau- und Tourismus-Boom am Roten Meer. So gut wie jeder Quadratmeter der sandigen und felsigen Landschaft ist inzwischen als Bauland ausgewiesen.
Ob man den Tellerwäscher oder Hotelmanager fragt, die Antwort ist immer gleich: „Ohne den Tourismus gäbe es keine Arbeit.“ Fehlt Arbeit, gibt es nichts zu essen. „Niemand redet über Demokratie mit einem leeren Magen“, sagt der linke Politiker Mohamed Sherin. So hängt der Wunsch nach Demokratie mit dem Tourismus zusammen. Beides ist krisenanfällig. Die Regierung will sich deswegen nicht länger auf den Tourismus verlassen. Durch ein Förderprogramm sollen Industrieparks am Roten Meer entstehen. „Allerdings können sich die Früchte dieser Planung erst allmählich zeigen“, sagt Rainer Herret, Geschäftsführer der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer. Ein Generationenprojekt.
Bislang sprechen aber nur wenige Menschen am Roten Meer über Industrie. Hotels. Hotels. Hotels. Das ist stattdessen überall zu hören. Mit den Gewinnen, so sagen die Investoren gerne, lassen sich Krankenhäuser und Schulen in den Hotelstädten finanzieren. Der Campus der Technischen Universität Berlin im Touristenort El Gouna ist ein Beispiel dafür. Aber die Bildung in solchen Einrichtungen ist der ägyptischen Elite vorbehalten: Sie kostet Geld. Die öffentlichen Schulen sind massiv unterfinanziert. Fast die Hälfte der Ägypter kann nicht lesen und schreiben.
Das weiß auch Musa Ibrahim. Sein Arbeitsplatz sind die Hotels am Roten Meer, die in den vergangenen zwanzig Jahren wie Kakteen aus dem sandigen Wüstenboden geschossen sind. Der studierte Germanist arbeitet als Reisebegleiter. Er würde aber lieber als Lehrer unterrichten. Das Problem: In einer Schule würde er weit weniger Geld verdienen. „Bevor ich als Lehrer arbeiten kann, muss ich mich um meine Familie kümmern“, sagt Musa. So wie Musa denken viele hoch qualifizierte Ägypter.
Musa ist 31 und lächelt die ganze Zeit, wenn Hotelgäste mit ihm sprechen. „Ich arbeite gerne hier“, sagt er, „aber das kann ich nicht ewig machen.“ Sein Job ist es, dass die Gäste zufrieden sind. Also lächelt er, selbst wenn ihm gar nicht danach zumute ist. Wenn er über Politik und sein Leben spricht, spricht er von zerstörten Hoffnungen und Existenzangst: Nach der ersten Revolution 2011 versprach er sich wie so viele andere Ägypter eine bessere Zukunft. Schließlich hatte ihnen das Präsident Mursi versprochen. Die Versprechen wurden gebrochen und ins Gegenteil verkehrt. Die Ägypter jagten Mursi Anfang Juli aus dem Amt. Seitdem ist das Land wieder instabil, die politischen Verhältnisse alles andere als klar.
Die Lage im Ferienort blieb weitgehend ruhig
Die Muslimbrüder protestierten in der Hauptstadt Kairo. In Mittelägypten brannten Polizeistationen und Kirchen. Die Lage im Ferienort Hurghada blieb weitgehend ruhig. Nur Mitte August gab es Demonstrationen.
Auch Musa hat die Krise getroffen. Seit September gab es keine Arbeit für ihn. Ohne Touristen braucht auch niemand einen Touristenbegleiter. Er ging daher zurück nach Luxor – in seine Heimat. Dort, nahe des Tals der Könige, leben seine zwei Schwestern und Brüder, seine Neffen und sein Schwager. Sie leben von Musas Geld. Wenn die Touristen nicht fernblieben, könnte er 2000 Pfund im Monat verdienen. Das sind etwa 210 Euro. Gutes Geld.
Musa ernährt sieben Menschen. „Ich bin für sie verantwortlich“, sagt er. Außer seinem Schwager hat keiner in der Familie einen Job. Der eine Bruder studiert, der andere ist Maschinenbauer und findet keine Anstellung. Seine Schwestern dürfen nicht arbeiten. Die Tradition will es so. Und sein Schwager ist Landwirt. Er baut Obst und Gemüse im grünen Nil-Delta an. Aber oft bringt sein Geschäft nur 8000 Pfund im Jahr ein. Das verdient Musa in vier Monaten.
Nachrichten über Demos und Tote
Jetzt kommen die Touristen wieder, hofft Musa. Wobei die Nachrichten vor wenigen Tagen über Demos und Tote im viele kilometerweit entfernten Kairo die Menschen wieder zögern lässt. Wie lange Musa an seiner Hoffnung festhält, weiß er nicht. Wahrscheinlich bis zur nächsten Reisewarnung. So lange arbeitet er in den Hotels, und seine Chefs bauen neue Ressorts. In stillen Momenten, wenn er gerade mit einer Reisegruppe im Bus unterwegs ist, um den Menschen seine Heimat zu zeigen, träumt er von einem Ägypten, in dem er vom Unterrichten leben kann.