Der Berliner Raphael Fellmer hat seit Jahren keinen Cent mehr aussgegeben und ernährt trotzdem seine Familie. Er kritisiert den Überfluss in unserer Konsumgesellschaft und ruft auf, eine andere Kultur zu schaffen – und zu leben.

Raphael Fellmer liebt seine Familie. Aber noch nie hat der 29-Jährige seiner Frau Nieves (27) Blumen gekauft, noch nie hat er sie ins Restaurant eingeladen. Noch nie hat er seiner kleinen Tochter Alma im Laden ein schönes Spielzeug gekauft, selbst jetzt, zu Weihnachten, wird er das nicht tun. Und auch für sich selbst hat Raphael Fellmer seit fast drei Jahren kein Geld mehr ausgegeben. Er hat keins. Genauer: Er braucht keins.

Die Geschichte der Berliner Familie Fellmer beginnt mit einer Weltreise. Im Frühjahr 2010 brach Raphael, der Europawissenschaften in den Niederlanden studiert hatte, gemeinsam mit zwei Kommilitonen auf: von Holland nach Mexiko, lautete der Plan – ohne Geld. Das klingt nach Spinnerei, nach Gutmenschentum, nach Grobstrickpulli-Utopie. Fellmer aber spricht mit einer Begeisterung von all den herzlichen, offenen, freundlichen Menschen, die den dreien auf ihrer Reise halfen, die mitreißend wirkt. „Geld“, sagt Fellmer, „steht immer zwischen den Menschen.“

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Aber ist Geld nicht einfach nur ein Tauschmittel? Für Fellmer steht hinter jedem Euro, der in den Industriegesellschaften für ein Konsumgut ausgegeben wird, ein Berg unsichtbarer Sündenfälle: das weltweite Produktionsnetz, die Transportwege, die Arbeitsbedingungen, der immense Wasser- und Energieverbrauch.

Das alles für Güter, die wir gar nicht brauchen würden: „Wir haben 43 Millionen Autos in Deutschland. Selbst, wenn wir alle Deutschen da hineinsetzen würden, hätten wir immer noch Platz für weitere 70 Millionen Menschen. Wir haben Wohnraum noch und nöcher! Wir schmeißen die Hälfte unserer Lebensmittel weg. Wir leben in dem perversesten Überfluss, den die Welt je gesehen hat.“

Raphael Fellmer mit Familie.
Raphael Fellmer mit Familie. © Raphael Fellmer

Auf der Internetseite http://de.forwardtherevolution.net berichten die drei von ihrer Reise, und tatsächlich: Sie schaffen es bis Lateinamerika. In Guyana stößt Nieves zur Reise dazu, die zuvor auf Mallorca als Pädagogin arbeitete. Sie reisen weiter in die USA, von dort zurück nach Europa – 150 Euro kostet der Flug auf freigebliebenen Sitzen, ein Glücksfall. Die Ausgabe ist eine große Ausnahme, denn: Nieves ist da bereits im vierten Monat schwanger.

Heute ist Alma 14 Monate alt. Ihr Kindergeld geht auf Nieves’ Konto bei einer Öko-Bank, davon bezahlt sie die Krankenversicherung fürs Kind – mehr Geld fließt nicht in die junge Familie. Die Fellmers leben mietfrei in einem Friedenszentrum der Evangelischen Kirche in Berlin-Zehlendorf: „Die WG dort hatte neue Mitglieder gesucht, die sich ums Haus kümmern.“ Dass er und Nieves nun Rasen mähen und Gemüse anbauen, putzen und renovieren, Büro- und Telefondienst leisten, will Raphael Fellmer aber nicht als Tauschgeschäft verstanden wissen. „Das ist doch normal: Wenn ich Gast bin, bringe ich mich ein.“

Fellmer leerte anfangs die Mülltonnen von Bio-Supermärkten

Und das Essen? Die Fellmers sind Veganer, sie verzichten auf Fleisch und alle tierischen Produkte – aber von irgendetwas müssen sie sich ja doch ernähren? Zuerst zog Raphael Fellmer nachts los, um die übervollen Mülltonnen der Bio-Supermärkte zu leeren: Kiloweise „rettete“ er dort Lebensmittel und Kosmetikartikel, die weggeworfen wurden – weil das Haltbarkeitsdatum gerade eben abgelaufen war oder die äußeren Salatblätter welkten. „Einwandfreie Lebensmittel!“

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Inzwischen hat Fellmer eine Kooperation mit einer Biomarkt-Kette, die ihm regelmäßig Aussortiertes zur Verfügung stellt. Seit wenigen Tagen ist die Internet-Seite foodsharing.de online, in der sich Lebensmittelretter aus ganz Deutschland vernetzen, um dort Essen zu verschenken. Menschen, die Fellmers Überzeugung teilen: „Wie weit sind wir gekommen, dass man ohne Geld so leben kann? Nur von dem, was die Gesellschaft nicht mehr will?“

Aber was wird, wenn Alma größer wird, wenn sie ein Eis haben möchte, in den Zoo gehen will? Im Moment, sagt Almas Vater, habe Alma noch keine Wünsche. Später will die Familie eine Community gründen, eine Gemeinschaft, die auf der Idee des Teilens basiert: „Dort werden wir eine andere Kultur schaffen, in der es nicht mehr darum geht, wer die größere Wasserpistole hat – sondern in der es Spielzeug und Bücher für alle Kinder gibt.“

Er schenkt lieber ein Lächeln als ein teures Spielzeug

Aber jetzt mal ehrlich: Hat er nie Lust, sich etwas zu kaufen, etwas Neues, aus einem Laden? Ein T-Shirt, ein Buch? „Nein“, sagt Fellmer. „Nie. Ich denke nicht einmal daran. Es gibt kein Produkt, das ich vor meinem Gewissen vertreten könnte.“

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Und wenn er Nieves zeigen will, wie sehr er sie mag? Dann tut er das mit einem Lächeln, einer Geste – „das ist doch so viel schöner und nachhaltiger, als sich zweimal im Jahr irgendetwas zu kaufen.“