Essen. . Wohlstand bedeutet Lebenszufriedenheit – an dieser Gleichung wachsen jedoch Zweifel. Macht Geld wirklich glücklich? Und macht noch mehr Geld noch glücklicher? Wie wir für unser Leben das richtige Maß finden.
Am 10. August dieses Jahres klopfte das Glück an die Tür von Adrian Bayford. Also Klopfen trifft vielleicht nicht so ganz das, was an diesem Tag in Adrian Bayfords Leben stürmte. Das Glück trat vielmehr mit voller Wucht die Tür ein und umarmte den 41-jährigen Engländer mit so einer Inbrunst, dass dem die Spucke wegblieb. Das Ereignis lässt sich sogar in Zahlen fassen. Adrian Bayford hatte nämlich im Lotto gewonnen. Genau 148 656 000 Pfund sollten auf sein Konto überwiesen werden, umgerechnet rund 190 Millionen Euro.
So viel Geld kann man sich natürlich überhaupt nicht vorstellen, der Riesenhaufen führt aber unweigerlich zur Frage:
Macht Geld glücklich? Und macht viel Geld vielleicht unglücklich?
Adrian Bayford lässt sich zu dieser Frage derzeit nicht einvernehmen. Er presst die Lippen zusammen und schweigt. Am Anfang hatte sich der Lotto-Kaiser noch mit strahlender Gattin und schäumendem Schampus vor dem Ortsschild seiner kleinen Heimatgemeinde im Südosten der englischen Insel ablichten lassen. Nach einem wahren Mediensturm, inklusive zahlloser Lügengeschichten der einschlägigen Boulevardpresse, und nachfolgendem Bittsteller-Tsunami ist jetzt Untertauchen angesagt. Nein, er werde seine Millionen nicht für ein Comeback-Konzert seiner Lieblingsband „Guns N’ Roses“ einsetzen, auch keine Geschenke an Kollegen verteilen, und im Übrigen sei alles gesagt.
Die britische Lottogesellschaft Camelot stellt für solche Glücksfälle professionelle Beratung bereit, Psychologen, Anlageberater, das ganze Programm, und natürlich gibt es auch eine Menge wissenschaftlicher Studien, die das Verhältnis zwischen Geld und Glück ziemlich erschöpfend analysieren. Danach gibt es sogar einen genauen Termin, an dem sich zwar noch nicht das Geld, aber das Glück aus dem Staub macht. Spätestens zwei Jahre nach dem Gewinn, so behauptet die Psychologin Juliane Marie Strack vom portugiesischen Lisbon University Institute (ISCTE), sei der Glückspilz rein gefühlsmäßig wieder da gelandet, wo er vorher stand. Vielleicht ein bisschen drüber, vielleicht ein bisschen drunter, und das wird auch so sein im Hause Bayford, wo ein ehemaliger Postbote und seine angetraute Krankenschwester nun erstmal vor einem Berg von 190 Millionen Euro stehen.
Jeder Mensch hat nämlich einen genetisch festgelegten Normalpegel Glück, den so genannten „Set Point“. Für Professor Dr. Jürgen Schupp, Leiter des German Institute for Economic Research in Berlin, der immer wieder nach der Beziehung zwischen Geld und Glück gefragt wird, ist dieses Grundniveau an Zufriedenheit eine wichtige Erklärung für die Tatsache, dass beispielsweise nicht alle Menschen in gleicher Weise auf Einkommenssteigerungen reagieren und auch Menschen mit gleichem Einkommen kein einheitliches Zufriedenheitsniveau aufweisen.
Keine einfache Beziehung
In China lässt sich das gut beobachten. Dort vervielfachte sich der Wohlstand zwischen 1994 und 2004. Die Lebenszufriedenheit, das Glück, allerdings nicht. Gleichzeitig öffnete sich nämlich die Schere zwischen Arm und Reich. 38 Prozent der Befragten antworteten also, sie seien jetzt unglücklicher als vorher. Und warum? Dafür gibt er ein schönes Beispiel. Der zuvor bettelarme Chinese sitzt in seiner Hütte und freut sich, dass er endlich ein Telefon besitzt. Dann fährt der Nachbar mit seinem neuen Auto vorbei und rums, schon ist es vorbei mit dem Glück.
Geld und Glück führen nämlich keine einfache Beziehung. Alles ist eben relativ. Nehmen wir mal an, und auch das findet sich in der einschlägigen Forschung, man bekommt eine Gehaltserhöhung von 500 Euro. Objektiv gesehen ist das erstmal gut. Man kann sich endlich das neue Auto leisten, vielleicht sogar eine größere Wohnung, freut sich also ganz doll – bis man erfährt, dass alle anderen im Betrieb nicht 500, sondern tausend Euro mehr bekommen. Da ist man umgehend weniger glücklich als vorher.
Freude, wenn ein Reicher Geld verliert
Wir vergleichen uns nämlich, behauptet der Ökonom Bruno S. Frey in seinem emfehlenswerten Buch „Glück. Die Sicht der Ökonomie“, stets mit Mitmenschen, die auf der Einkommensleiter über uns stehen. Und nicht mit denen, die weniger haben. Deshalb freuen wir uns auch manchmal klammheimlich, wenn ein reicher Mensch sein Geld verliert.
Es gibt in diesem Zusammenhang den so genannten „Schickedanz-Effekt“, benannt nach der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz, die vor ein paar Jahren ein Vermögen verloren und danach über ihr schlimmes Los klagte – obwohl sie ja im Vergleich mit den meisten Deutschen immer noch reich ist.
Hier ist es das Tempo, erklärt Professor Jürgen Schupp, das die Beziehung zwischen Geld und Glück merklich belastet. In kurzer Zeit sich mit deutlich weniger Geld an eine neue Lebenssituation gewöhnen zu müssen, führe eben zu besonderen Anpassungsschwierigkeiten.
Dass es aber in der Tat eine enge Beziehung zwischen Geld und Glück gibt, wird heute kaum noch bestritten. Geld macht nicht glücklich und Armut ist sexy – das ist eine These, die von den Wissenschaftlern ins Reich der Romantik verwiesen wird. „Mit höherem Einkommen steigt auch die allgemeine Lebenszufriedenheit, also das, was man gemeinhin mit Glück bezeichnet,“ erklärt Professor Dr. Jürgen Schupp. Allerdings sei es nicht das Geld allein, sondern das, was damit zusammenhängt, etwa höhere Bildung und bessere Gesundheit.
Glück durch gute Freunde
Wenn es schon so viele und so exakte Untersuchungen zum Geld und zum Glück gibt: Kann man denn nicht eine Skala aufstellen, mit Markierungen wie „1000 Euro unglücklich – 2000 Euro glücklich – 4000 Euro doppelt so glücklich“? „Da müssen schon Einkommenssprünge von mehreren tausend Euro auftreten“, behauptet Professor Schupp, „um die 11er-Skala des Glücks um nur einen Punkt zu erhöhen.“ Derselbe Effekt lasse sich „preiswerter“ beispielsweise durch ehrenamtliches Engagement oder enge Kontakte mit Freunden erreichen.
Ein Problem ist nämlich auch, dass wir uns ganz schnell an mehr Geld gewöhnen. Bruno S. Frey spricht in diesem Zusammenhang vom ökonomischen Gesetz des „abnehmenden Grenznutzens“ und liefert für diesen etwas sperrigen Begriff eine griffige Erklärung mit, die sich am Verzehr einer Pizza orientiert. Das erste Stück Pizza stiftet einen hohen Nutzen, das zweite ist ebenfalls noch willkommen, macht aber schon weniger zufrieden, und beim fünften Stück hat man endgültig keinen Hunger mehr, meistens jedenfalls.
Das Unglück sieht man nicht
Das Seltsame ist ja: Es gibt weltweit immer mehr Geld, aber immer weniger Glück. Depression betrifft nach aktuellen Zahlen der Weltgesundheitsbehörde WHO bereits 121 Millionen Menschen. Es stimmt auch nicht, dass der bettelarme Inder, der auf dem Gehsteig von Kalkutta den Passanten anlächelt, glücklich ist. Man sieht ihm sein Unglück nur nicht so an.
Was versperrt uns aber den Weg zum Glück, wenn Geld wohl doch nicht der allein selig machende Faktor ist? Unser übereifriges Streben nach eben diesem Glück, fand die Psychologin Juliane Marie Strack in Lissabon heraus: „Uns wird gesagt, dass jeder glücklich sein kann, dass jeder lernen kann, glücklich zu sein, und dass jeder ein Recht darauf hat, glücklich zu sein. Wenn man also nicht glücklich ist, ist man selber schuld“.
Was hilft also besser als Geld, glücklich zu sein? Auf jeden Fall das Ansehen, das man bei Freunden, Nachbarn, Kollegen genießt, hat eine aktuelle Studie herausgefunden, die nun im amerikanischen Fachjournal „Psychological Science“ veröffentlicht wurde. An mehr Geld gewöhne man sich, an Bewunderung nie. Frauen haben es übrigens gut. Sie zeigen mehr Talent zum Glücklichsein, unabhängig von Geld, Ansehen, Freundschaft, heißt es in der aktuellen Ausgabe des Magazins „Natur“ mit der Titelgeschichte „Lebensglück“. Bei einer kanadischen Studie fand man danach heraus, dass sich Männer eher an unangenehme Erfahrungen erinnern, Frauen dagegen an schöne Erlebnisse. Mach’ es wie die Sonnenuhr, zähl’ die heiteren Stunden nur, wurde den Mädchen nämlich schon während der Schulzeit ins Poesiealbum geschrieben, hätten auch wir Jungs uns merken sollen.
Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität
Glück allein durch Wohlstand – an dieser Gleichung wachsen Zweifel. In einer Umfrage der Bertelsmannstiftung stimmten stramme 90 Prozent der Forderung nach einer neuen Gesellschaftsordnung mit einer sozial ausgeglichenen Gesellschaft und striktem Umweltschutz zu. Der Bundestag hat sogar eine Kommission eingesetzt, die unter dem Titel „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ nach Alternativen sucht.
Ein perfektes Rezept wurde noch nicht gefunden, aber das kommt kaum überraschend. Ein Grund für die Tatsache, dass Lottogewinner so schnell ihr neues Glück wieder verlieren, beinhaltet einen Zeitfaktor. Ein plötzlicher Geldgewinn, so sagt Bruno S. Frey, garantiere zwar anhaltende Behaglichkeit. Der Geldregen raube aber die Notwendigkeit, sich etwas erarbeiten zu müssen und daraus Freude zu schöpfen.
Unbestritten ist, dass ein höheres Durchschnittseinkommen eine Gesellschaft glücklicher macht. „Die Demokratie ist stabiler, die Menschenrechte sind sicherer, die durchschnittliche Gesundheit ist höher und die Einkommensverteilung gleichmäßiger“, schreibt Bruno S. Frey in „Glück. Die Sicht der Ökonomie“. Der „abnehmende Grenznutzen“ sorgt dafür, dass die Effekte schnell kleiner werden, und Glück kaufen, das geht gar nicht. Genauso falsch ist die Behauptung, Geld und Glück seien erbitterte Feinde. Geld macht vielleicht nicht automatisch glücklich – aber es beruhigt ungemein. Wenn auch nur für eine bestimmte Zeit.
Den 190-Millionen-Euro-Mann Adrian Bayford hat man kürzlich wiedergesehen: mit einem neuen Lottoschein in der Hand.