Essen. Armut sollte das Thema lauten, über das Günther Jauch am Sonntagabend mit NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Edmund Stoiber und Bayern-München-Präsident Uli Hoeneß diskutieren wollte. Doch das Gespräch scheiterte: die Diskutanten verkannten das Problem und Jauch stellte die falschen Fragen.

Hannelore Kraft will nicht Kanzlerin werden. Die Frage, auf die Günther Jauch 58 Sendungs-Minuten lang hingefiebert zu haben schien, beantwortete NRWs Ministerpräsidentin mit einem klaren Nein. So hatte Jauchs Polit-Talk zumindest eine Quintessenz – die nur leider gar nicht zum Thema passte.

Eigentlich ging es um Kinder wie den 14-jährigen Kevin, der erst durch die Unterstützung von Arche-Mitarbeitern lernte, warum Schulbildung ganz brauchbar ist und dass Hartz IV nicht seine einzige Perspektive sein sollte.

Mit Hannelore Kraft, Uli Hoeneß, Edmund Stoiber, Katja Kipping und Bernd Siggelkow wollte Günther Jauch „Wohlstand und Aufstiegschancen in Deutschland“ diskutieren. Pastor Bernd Siggelkow, Gründer des christlichen Kinder- und Jugendwerks „Die Arche“, der während der ersten halben Stunde nicht mehr als die obligatorische Höflichkeitsfrage beantworten durfte, brachte es irgendwann auf den Punkt: „Wir kennen das Problem nicht erst seit letztem Mittwoch!“ Denn Aufhänger der Gesprächsrunde war der aktuelle Entwurf des Reichtums- und Armutsberichtes des Bundesarbeitsministeriums, wonach die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht – Reiche werden reicher, Arme ärmer. Doch das, so Bernd Siggelkow, sei nicht neu. Die Bildungschancen der Kinder aus einkommensschwachen Familien würden immer schlechter. Und Anträge für entsprechende Hilfsleistungen seien so kompliziert formuliert, dass selbst seine Sozialarbeiter mitunter Probleme hätten, sie korrekt auszufüllen.

Bayerns Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber spricht lieber von Leistung und Wachstum

Hannelore Kraft pflichtete dem Pfarrer bei und warb in gewohnter Zupackmanier für ihre „Vorbeugepolitik“ als probates Mittel. Heißt: Hilfsstrukturen sollen früher einsetzen, nicht erst dann, wenn das Kind bereits in den Hartz IV-Brunnen gefallen ist.

Mit seinem Frust über die jahrelange Untätigkeit der Politik blieb der Pfarrer in der Runde der wohlhabenden Armutsdiskutanten jedoch ziemlich allein. Alle sprachen nur von „damals, als ich Kind war“ und dem heutigen Ist-Zustand. Die Zeit seit dem Erscheinen des ersten Berichtes 2001 klammerte man lieber aus. Mitgefühl für die chancenlosen Kevins in Deutschland? Fehlanzeige. Edmund Stoiber, ehemaliger bayerischer Ministerpräsident – warum auch immer man ihn aus dem Hut gezaubert hatte – stoiberte von Leistung und Wachstum. „Der Feind des Guten ist das Bessere“, „wir haben unendlich viel erreicht“, „weniger ausgeben, anstatt mehr einnehmen“, so der Tenor seiner Beiträge. Im Grunde sei Deutschland gar nicht so ungerecht, fand Stoiber und sang ein Loblied auf das deutsche Bildungssystem, die Kitas und die ganzen neu eingestellten Erzieherinnen. Trotzdem fand er „Bildungschancen verbessern“ nicht verkehrt, das geht ja irgendwie immer. Reichensteuer hingegen ist seiner Ansicht nach Murks, zu viel Bürokratie – und genau dagegen kämpft er ja gerade in Brüssel. Vielleicht gibt’s dann irgendwann auch verständlichere Formulare. Das „Prekariat“ würd’s ihm sicher danken.

Bayern-Präsident Uli Hoeneß findet eine Reichensteuer ungerecht

Auch Uli Hoeneß, Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des FC Bayern München, blies ins Leistungshorn. Die Reichen leisteten mehr für das Bruttosozialprodukt, eine Reichensteuer sei also ungerecht. Warum aber die Arbeit eines Bundesliga-Fußballers soviel mehr Geld wert ist als die einer Krankenschwester (oder einer Bundesliga-Fußballerin) erklärte er nicht. Staat und Länder sollten wie Unternehmen geführt werden, so sein Aufruf. Was der Staat nicht leisten könne, müssten eben Privatleute über Spenden finanzieren. Er selbst sei glücklich anderen mit seinem Geld helfen zu können.

Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linken, mochte sich nicht auf die Spendebereitschaft der selbstlosen Reichen im Lande verlassen und forderte die Steuer für Großverdiener. Eigentlich wollte sie aber lieber über Arbeitszeitverkürzung reden, denn Armut lasse sich nicht nur an Geld-, sondern vielmehr auch an Zeitmangel festmachen. Doch Günther Jauch behielt zumindest hier die Zügel in der Hand und steuerte zum Thema zurück. Ansonsten blieb er zurückhaltend, ließ die Diskussion zwischendurch minutenlang unmoderiert laufen. Einzig seine an Stoiber gerichtete Frage, ob dieser die „Unterschicht“ denn für Wählerstimmen überhaupt brauche, rief dem Zuschauer ins Gedächtnis, dass hier ein Streitgespräch geführt werden sollte. Was gab es sonst noch? Ein paar Sticheleien zwischen Kraft und Kipping, und ein zurechtweisendes „Uli“ von Edmund Stoiber, als Hoeneß während einer Äußerung Stoibers mit dem Gastgeber plauderte. Und zu guter Letzt die schon erwähnte Kanzlerfrage. Ihr Nein begründete Hannelore Kraft damit, dass sie in NRW gebraucht werde, sie müsse ihr Projekt dort „zu Ende bringen“. Zu Ende waren dann auch 60 Minuten Sendezeit, in denen jeder seinen Standpunkt darstellen durfte, ohne dass ein konstruktiver Austausch stattgefunden hätte. Was von der Sendung im Gedächtnis bleibt: Kinder wie Kevin haben es in Deutschland schwer. Und: Hannelore Kraft will nicht Kanzlerin werden.