Essen. . Wie die Verbindungen mit Gott und zwischen den Menschen die Not und die Einsamkeit aufhellen können. Ein Gastbeitrag von Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck.
Wenn man in diesen Tagen Menschen fragen würde, was für sie die wichtigsten aktuellen Themen sind, so bekäme man sicher viele sehr unterschiedliche Antworten. Für viele sind es die „großen“ Themen wie die Euro-Krise, das schreckliche Attentat von Lüttich, die Konflikte in Syrien oder Afghanistan, die die Menschen verunsichern und bewegen. Ganz gewiß kämen aber auch persönliche Situationen zur Sprache: Hektik im Advent, berufliche Überlastung oder auch familiäre Probleme. Die Jahresrückblicke, die die Fernsehsender oder Zeitungen derzeit bringen, lassen noch viel mehr Ereignisse, die die Welt bewegen, Revue passieren und bestätigen den Eindruck, dass es viele Menschen gibt, die die Schattenseiten des Lebens spüren.
Weihnachten dagegen ist kein Fest des Schattens – im Gegenteil! Mit dem Fest der Geburt Jesu, des Sohnes Gottes, feiern wir, dass Gott der Welt das Licht schenkt. Nun könnte man einwenden, dass Licht allein das Leben nicht besser macht. Adventliche Beleuchtung, geschmückte Bäume, stimmungsvoll angeleuchtete Schaufensterauslagen und Weihnachtsmarktstände sind zwar etwas fürs Herz – aber wie weit reicht das? Diese Frage ist berechtigt, denn die wirklichen Dunkelheiten in den Lebensläufen vieler Menschen können keine noch so festlichen und glanzvollen Beleuchtungen beseitigen.
Erfahrungen der Dunkelheit haben die Menschen zu allen Zeiten machen müssen. Auch das Volk Israel, in das Jesus hineingeboren wird, kannte dies. Im Buch des Propheten Jesaja geht es genau darum: um die Erfahrung, dass nicht alles gut, friedlich und heil ist – und um das feste Vertrauen darauf, dass Gott zur Erde kommt und Licht in die Dunkelheit bringt. Der Prophet schreibt: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, geht ein helles Licht auf“ (Jesaja 9,1). Dieses helle Licht ist Jesus, der Sohn Gottes.
„Die Freude war mit Händen zu greifen“
In diesem Jahr feiert das katholische Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat sein 50. Gründungsjubiläum. Als Vorsitzender des Hilfswerkes, das seine Zentrale in Essen hat, habe ich inmitten eines Elendsviertels am Rande der Megametropole São Paulo in Brasilien mit dem dortigen Erzbischof, weiteren Bischöfen und Priestern und vielen Bewohnern des Stadtviertels einen festlichen Gottesdienst gefeiert.
Schon gleich zu Beginn der Planungen zu den Jubiläumsfeiern kam die Idee auf: Warum nicht das Fest dort feiern, wo die Menschen wohnen, denen Adveniat hilft? Dieser Vorschlag fand sehr schnell Zustimmung und wurde von den Projektpartnern in Brasilien und in den anderen Ländern Lateinamerikas und der Karibik mit großer Freude aufgenommen.
„Wir Christen sind Schwestern und Brüder im Glauben“
Ihre Rückmeldung war: Es ist schön und es macht uns froh, dass wir mit euch bei uns feiern können. Und die Freude am Tag der Feier war mit Händen zu greifen. Das Miteinander vor Ort – dort, wo die Menschen in Armut leben und sich ein Leben in Würde und ohne Not wünschen – ließ uns deutlich spüren: Wir sind miteinander verbunden.
Auch wenn tausende von Kilometern zwischen den Menschen in Essen und São Paulo liegen, sind wir Christen Schwestern und Brüder im Glauben. Dass dieses Bewusstsein mehr ist als ein Lippenbekenntnis und dass Christsein auch heißt, Solidarität und Nächstenliebe nicht nur zu fordern, sondern auch selbst zu leben, ist die eigentliche Verbindungsachse. Sie überwindet Grenzen und lässt Hoffnung schöpfen.
„Der Bund zwischen Himmel und Erde gilt dauerhaft“
Über die Fernseh- und Radiosender wurde der Gottesdienst in die lateinamerikanischen Länder und nach Deutschland live übertragen. Viele, die über diese Medien aus der Entfernung mitfeierten, konnten diese Stimmung auch erleben.
Das hell strahlende Licht, das am Weihnachtstag von der Krippe in Betlehem ausging, war kein einmaliges Ereignis. Durch die Geburt Jesu zeigte Gott den Menschen, dass der Bund zwischen Himmel und Erde dauerhaft gilt. Nichts gibt es mehr, was Gott und Menschen trennen könnte. Das ist wirklich eine Botschaft, die Licht in die Welt bringt und die viel heller strahlt als alle Festbeleuchtungen der Erde.
„Verbindungen zu Menschen können das Dunkel aufhellen“
Helles Licht kann das Dunkel vertreiben, Angst besiegen und Gefahr abwenden. Licht, das ins Dunkel fällt, ist ein Bild dafür, dass Leben gelingt und dass etwas heil wird. Viele Naturforscher haben versucht zu ermitteln, welcher Stern oder Komet es war, der damals über der Krippe in Betlehem stand. Einigkeit darüber besteht unter ihnen nicht.
Wichtiger ist mir das, was die Kunst aus der Erzählung vom Stern gemacht hat: Licht fällt aus der Höhe auf die Erde herab und schafft so die Verbindung zwischen Himmel und Erde.
Verbindungen zwischen den Menschen können das Dunkel der Not und der Einsamkeit aufhellen helfen – so konnte ich es in der Mitte der notleidenden Menschen in der brasilianischen Favela erfahren. Weihnachten erinnert uns daran, dass Gott zu seiner Verbindung mit der Welt steht.
Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass Sie mit all Ihren Sorgen und Hoffnungen am Weihnachtsfest dieses Licht der Verbundenheit mit Gott und mit den Menschen erfahren, und dass Sie dieses Licht an andere weitergeben können.
Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und allen, die zu Ihnen gehören, ein gesegnetes Weihnachtsfest.
Zur Person
Franz-Josef Overbeck ist ein Kind des Ruhrgebiets: 1964 in Marl geboren, wurde er 1989 vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger zum Priester geweiht. Die Doktorwürde erlangte er im Jahr 2000. Er wirkte in Haltern am See und Münster. Im Jahr 2007 wurde er zum Titularbischof des Bistums Matara in Nordafrika ernannt und Weihbischof von Münster. 2009 dann ernannte Papst Benedikt XVI. ihn zum Nachfolger von Ruhrbischof Felix Genn. 2011 übernahm er zudem das Amt des Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr.