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Auf dieses Buch hat keiner gewartet. Und selbst nach dem Erscheinen werden es viele als unappetitlich abtun. Doch Florian Werner hat ein kluges Buch über unser Verhältnis zur eigenen Hinterlassenschaft verfasst.
Wenn die lieben Kollegen ankommen und einem arglosen Schreiber ein Buch in wärmsten Tönen anempfehlen, ist nicht selten Argwohn angebracht. Wenn man dennoch das Angebot akzeptiert und sie unendlich erleichtert wirken, ist das Werk meistens . . .
Aber nein, dieses in apartes Schokobraun gehüllte Druckerzeugnis ist anders, es ist nämlich exzellent. Es heißt „Dunkle Materie“ und widmet sich einer Substanz, die keinem Menschen fremd ist, und von der wir gut 100 Kilo pro Jahr einfach so zurück lassen, meist allein und in einem sehr kleinen Raum, worauf hin die Hinterlassenschaft unter großem Rauschen in die Kanalisation entschwindet.
Ein Kulturgut
Auch ohne tiefere Einsicht in die Sekundärliteratur zu diesem Thema darf man behaupten, dass nie kenntnisreicher, klüger und umfassender über dieses niedrigste (Ja, nennen wir es ruhig so!) Kulturgut geschrieben wurde.
Florian Werner, der Autor, erlangte vor zwei Jahren einige Beachtung dadurch, dass er sich auf ähnliche Weise der „Kuh – Leben, Werk und Wirkung“ gewidmet hat. Nun, von der Kuh bis zum Fladen war es gewiss kein großer Schritt. Und hat man das anrüchige Areal erst einmal betreten, fällt auf, wie vielfältig, ja reich die kulturhistorischen Referenzen zu jenem Produkt sind, mit dem wir doch meist eher verächtlich umgehen.
Von Adam und Eva
Werner zitiert alle möglichen Quellen, von Adam und Eva bis Youtube, von Goethe bis Heinz Strunk, von Luther bis DeSade, von Freud bis Foster Wallace, von Grass bis Enzensberger – und er schildert die Darstellung, den Umgang und die Einsichten, die sich aus all dem ergeben. Werner hat sich gehörig eingearbeitet – und trotzdem einen klaren Kopf behalten. Er geht sogar weiter und berührt die metaphysische Ebene, setzt jenen Akt der täglichen Entleibung mit dem Sterben gleich. Und er findet zahlreiche Referenzen, sei es zu Gott, sei es zum Teufel, angestellt und herbeigezogen von den Kirchenoberen ebenso wie von den Häretikern.
Die zwölf Kapitel lesen sich mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Ekel, was beides, wenn wir dem Autor Glauben schenken, unserem Kulturkreis geschuldete Empfindungen sind. Es geht um Kunst und Komik, um Tod und Psychologie. Deshalb lesen wir dieses Buch auch mit Bewunderung dafür, dass man selbst ein solches Thema auf einem so hohen Niveau behandeln kann, so dass man sich am Ende nicht beschmutzt, sondern belehrt fühlt.
- Florian Werner: Dunkle Materie – Die Geschichte der Scheiße. Nagel & Kimche, 240 Seiten, 18,90 Euro