Essen. . Zwei Bücher erzählen vom Hurrikan, der 2005 New Orleans verwüstete: eine wahre und eine mögliche Geschichte, beide sind gleichermaßen faszinierend und zeigen, dass manche US-Amerikaner den Glauben an ihr Land verloren haben.
Diese Bilder einer gigantischen Zerstörung gingen um die Welt: Reste von Häusern, überflutete Stadtviertel, plündernde Banden, Flüchtende. Als der Hurrikan „Katrina“ 2005 New Orleans verwüstete, kämpfen Tausende um ihr Leben. Zweien von ihnen geben nun Schriftsteller eine Stimme: dem syrischstämmigen Selfmade-Man Abdulrahman Zeitoun und der Schwarzen Zola Jackson.
Entsetzt über Leichen, die im Wasser treiben
„Diese Stadt verlässt man nicht . . . hier bleibt man.“ Dies ist das Mantra Zola Jacksons, die schon vor Jahren ihren Mann und ihren Sohn verlor und nun niemanden mehr hat, zu dem sie flüchten könnte. Dafür aber einen Hund, „Lady“. Mit steigender Flut und steigendem Bierkonsum entgleitet der pensionierten Lehrerin die Gegenwart, sie driftet ab in die Vergangenheit: Wie sie ihren allzu hellen, grünäugigen Sohn Caryl aufzieht, wie er sie immer seltener besucht und nur in Begleitung seines Lebensgefährten Troy. Wie sehr sein Tod schmerzt . . . In den seltenen wachen Momenten entsetzt sie sich über die Leichen, die im Wasser treiben – warum hilft hier niemand? Der französische Schriftsteller Gilles Leroy erfindet in mäandernden Sätzen eine starke Frau, denn eine Erfindung bleibt sie ja doch. Obschon ihre Rettung in letzter Minute, als sie schon bewusstlos in ihrem Haus im Wasser treibt, exakt jenen Aktionen gleicht, von denen Abdulrahman Zeitoun erzählt. Und seine Story ist so unglaublich wie wahr.
Eine doppelte Katastrophe
Der amerikanische Autor Dave Eggers hat das Tagebuch einer doppelten Katastrophe geschrieben, nach langen Gesprächen mit Zeitoun und seiner Familie. Schnörkellos schildert er, wie Zeitoun seine amerikanische, zum Islam konvertierte Ehefrau Kathy mitsamt der vier Kinder fortschickt aus New Orleans, wie er dableibt, weil er sich um seinen Handwerksbetrieb, seine Häuser sorgt. Wie er auf seinem Haus, in dem das Wasser steht, ein Zelt aufschlägt. Wie er mit dem Kanu durch die Straßen gleitet, wie er Nachbarn aus Häusern befreit. Wie er Hunde füttert. Sich kümmert, sorgt.
Keine offizielle Anklage
Am 6. September aber stürmt die Nationalgarde sein Haus. Eine offizielle Anklage gibt es nicht, doch die Soldaten sagen „Taliban“ zu ihm, „Al-Quaida“. Zeitoun sitzt im Busbahnhof von New Orleans in einem Käfig, der Betonboden ist sein Bett. Erst nach 24 Tagen kommt er frei. Zeitoun arbeitet heute wieder, Ehefrau Kathy aber leidet unter psychischen Störungen.
In den USA hat Eggers zurückhaltender Report eine Welle der Empörung ausgelöst, dokumentiert er doch nicht weniger als das Verwässern des Rechtsstaates. Denn Hurrikan Katrina hat mehr zerstört als nur Häuser: für manche Menschen, wie die fiktive Zola und den realen Zeitoun, den Glauben an das Land, in dem sie leben.
- Dave Eggers: Zeitoun.Kiepenheuer & Witsch, 367 Seiten, 19,95 €
- Gilles Leroy: Zola Jackson. Kein & Aber, 176 S., 18,90 €