Essen. Taugt Biogas im Kampf gegen die Energiekrise? Das Ende des russischen Billig-Gases macht es attraktiv. Aber seine Öko-Bilanz ist nicht makellos.

Photovoltaik und Windkraft sind die Vorzeige-Energien unter den Erneuerbaren. Strom aus Sonne oder Wind, das klingt nach zauberhafter, sauberer Verwandlung. Ganz anders, geradezu anrüchig ist der Ruf von Biogas. Denn es ist das Ergebnis von Fäulnis, und es riecht wie ein Produkt aus der Hölle. Dennoch wird in NRW der Ruf nach mehr Biogas lauter.

Wenn in diesen Wochen LNG-Terminals für verflüssigtes Erdgas eingeweiht werden, kommen der Kanzler und die Ministerpräsidenten. Die Unabhängigkeit von russischem Gas ist so wichtig, dass Deutschland inzwischen sogar „gefracktes“ Schiefergas aus Amerika in Kauf nimmt. Kaum vorstellbar, dass Kanzler und Ministerpräsidenten mit vergleichbarem Tamtam eine Biogasanlage einweihen. Denn deren Wert für die Energiewende erschließt sich erst auf den zweiten Blick.

Hier wird gezaubert

Einhart im Brahm gehört zu den Protagonisten dieser etwas anderen Energie. Auf seinem Hof in Essen-Kettwig dampft ein riesiger Misthaufen vor sich hin. Im Brahm greift beherzt ins feuchtwarme Stroh und grinst, als er sagt: „Wir können hier zaubern. Wir nehmen morgens eine Handvoll Pferdemist in die Hand, und abends brennt irgendwo in Essen Licht.“

Landwirt Einhart im Brahm zeigt, was seine Biogasanlage antreibt.
Landwirt Einhart im Brahm zeigt, was seine Biogasanlage antreibt. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Nebenan, in so genannten Fermentern, blubbert, fault und gärt ein Mix aus Schweine- und Pferdemist sowie Küchenabfällen bei etwa 50 Grad zu Biogas heran. Das, was in diesen Behältern geschieht, gleicht den Vorgängen im Inneren einer Kuh. Unter Luftabschluss werden Pflanzenfasern zersetzt. Hinten kommt Gas heraus, mit einem hohem Methananteil. Sehr überspitzt gesagt, ist das eine Art „Pups gegen Putin“. Das Methan, das Russland tief aus der Erde holt, ist allerdings deutlich reiner als Biogas aus NRW.

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Unangenehme Geruchsprobe

Im Brahm öffnet ein Ventil und bittet zur Geruchsprobe. Ein Kuh-Pups dürfte im Vergleich fast angenehm duften. Die unsichtbare Mischung hat es in sich. Dennoch müffelt es in der Umgebung der einzigen Biogasanlage in Essen nicht so, wie man es befürchten könnte. Das liegt an der besonderen Zusammensetzung des „Cocktails“ im Fermenter. Mist und Küchenabfälle seien die „softe“ Variante der Biogaserzeugung. Würde hier, wie in sehr vielen anderen Anlagen, der besonders energiereiche Mais faulen, wäre die Geruchsbelästigung viel größer, erklärt im Brahm. Denn je grober und härter das pflanzliche Material ist, desto wilder müssen die Bakterien wüten.

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In erster Linie wird mit Biogas Strom erzeugt. Im Brahm möchte sein Produkt bald aber auch mit einem aufwendigen Verfahren zu reinerem Methangas veredeln. Nachdem Russland Europa den (Methan-) Gashahn zugedreht hat, giert der Markt nach Gas aus anderen Quellen, und die teure Veredelung könnte sich jetzt lohnen. Außerdem versorgt Im Brahm Teile seiner Nachbarschaft mit Wärme aus einem Blockheizkraftwerk, das mit Biogas betrieben wird. Selbst die Reste der Biogasherstellung erfüllen noch einen Zweck: Sie sind ein hochwertiger Dünger.

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Die im Vergleich mittelgroße Anlage in Essen erzeugt im Jahr rund 2,5 Millionen Tonnen Biogas. Das entspricht 14 Millionen Kilowattstunden Energie oder 1,4 Millionen Liter Diesel. Zum Vergleich: Mit einer Kilowattstunde Strom kann man etwa eine Stunde Staubsaugen oder ein E-Auto sechs Kilometer weit fahren.

Ein Vorteil von Biogas: Biomasse gehört im Gegensatz zu Kohle, Erdöl und Erdgas zu den erneuerbaren Energien, und Bioenergie hat im Vergleich eine viel bessere CO₂-Bilanz: Bei der Verbrennung wird etwa nur so viel CO₂ freigesetzt, wie der Atmosphäre beim Pflanzenwachstum entzogen wurde. Allerdings ist die Bilanz nicht ohne Makel: Methan schadet ja immerhin dem Klima, weitere Biogas-Bestandteile wie Stickstoff, Kohlendioxid und Lachgas sogar noch mehr.

Biogas ist in NRW wegen der Energiekrise inzwischen politisch interessant geworden. Die FDP fordert die Förderung von Biogas und Biomethan. Erst Ende 2021 hat der Landtag auf Initiative der Fraktionen von FDP und CDU einen Antrag beschlossen, der den Anbau von mehrjährigen Wildpflanzen als Energieträger zur Biogasgewinnung fördern soll. Dadurch kann der Anteil von Mais in der Biogasgewinnung reduziert werden. Bei einer Expertenanhörung im Landtag zu Jahresbeginn wurden Forderungen nach mehr Biogas in NRW laut, aber es waren auch warnende Stimmen zu hören.

Riskant für Böden und Gewässer

Laut dem Naturschutzbund Nabu dürfe der Ausbau von Biogas nur unter strengen Auflagen geschehen. Denn zur Produktion riesiger zusätzlicher Mengen Biomasse auf Feldern, zum Beispiel Mais, müssten große Mengen Dünge- und Pflanzenschutzmittel verwendet werden. Biogas-Herstellung ist also potenziell riskant für Böden und Gewässer. Der Landschaftsökologe Prof. Tillmann Buttschardt sagt, man müsse unbedingt darauf achten, dass das, was in den Anlagen vergärt, „biodiversditätsfreundlich, ja sogar biodiversitätsfördernd“ erzeugt wird. Das heißt: Die so schon bedrohte Vielfalt in der Natur dürfe nicht auch noch unter Biogas leiden. Zudem ist der Transport von Mist, Gülle und Pflanzenresten alles andere als umweltfreundlich. Kritiker erinnern auch daran, dass Energie aus Biomasse immer noch relativ teuer sei. Da die Zeit billiger Energie seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine aber vorbei sein dürfte, wird der Preis-Nachteil des Biogases immer kleiner.

Biogas wirft auch eine Gewissensfrage auf: Wer auf Feldern Pflanzen anbaut, die der Energieerzeugung diesen und nicht der Ernährungssicherung, der muss sich dem Vorwurf stellen, ihm sei der Tank wichtiger als der Teller. Aber muss die nötige Biomasse überhaupt auf Feldern erzeugt werden?

Mit einem Radlader wird Maissilage in eine Biogasanlage gefahren.
Mit einem Radlader wird Maissilage in eine Biogasanlage gefahren. © dpa | Philipp Schulze

Isabelle Grudda, Expertin für Biogas beim Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) in NRW, weist auf eine riesige Ressource hin, die viel intensiver als bisher für Biogas genutzt werden und zusätzlichen Pflanzenanbau vermeiden könnte: Küchenabfälle. „Bei den Restabfällen ist noch viel Luft nach oben. Der allergrößte Teil geht derzeit in die Kompostierung, der kleinste Teil in die Biogas-Produktion“, erklärt sie. Thomas Griese, Vize-Vorsitzender des LEE, fordert, in allen Städten in NRW müsse es künftig Biotonnen geben.

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Biogas braucht weder Sonne noch Wind

Der wohl größte Vorteil der erneuerbaren Energie Biogas ist laut dem Bundeslandwirtschaftsministerium die „Grundlastfähigkeit“. Das heißt, Biogas produziert Energie auch dann, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht, und es ist speicherbar. Die berüchtigte „Dunkelflaute“ verliert mit Biogas einen Teil ihres Schreckens.

LEE-Vize Griese fordert die Landesregierung auf, Betreiber von Biogasanlagen, Bauernverbände und Landwirtschaftskammern schnell zu einem „Biogas“-Gipfel einzuladen. Dabei müsse es darum gehen, die Genehmigungen für neue Anlagen und die strengen Regeln für bestehende Anlagen zu erleichtern.

Denn die Bürokratie beim Biogas sei derzeit fast unerträglich, wettert Einhart im Brahm aus Essen. Er möchte in eine Veredelungsanlage für Methangas investieren. Aber von der Planung bis zum Bau dieser nur 150 Quadratmeter kleinen Anlage vergingen locker drei Jahre oder mehr, sagt er. Zum Vergleich: Das LNG-Terminal Wilhelmshaven war nach nur acht Monaten fertig.

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