Wetter. Simone Stiers aus Wetter macht Kindermusik und bricht damit alle Rekorde - niemand ist mit einem Album länger in den deutschen Charts als sie.
„Einfach links die Treppe hoch“, ruft sie von Oben, nachdem sie den Drücker der Eingangstür ihrer Musikschule in Volmarstein betätigt hat. Vorbei an einem halben Dutzend gerahmter Gold- und Platin CDs geht es nach oben in einen kleinen Saal. Und da – zwischen großem Flügel und kleinem Keyboard – steht eine zierliche, blonde Frau in Jeans, weißer Bluse und pinkfarbenem Kurzpulli. Eine Rekordhalterin. Niemand nämlich ist mit einem Album länger in den deutschen Charts als sie: 438 Wochen. Platz 2, falls es jemanden interessiert, geht an Abba Gold, auf den Rängen drei und vier folgen Helene Fischer und Andrea Berg mit ihren Best of Alben. Die Beatles übrigens stehen „nur“ auf Rang 6. „Dauerbrenner“ nennt die Musikindustrie solche Alben.
Platz Eins kommt von Simone Stiers. Nein, sie ist nicht böse, wenn Sie ihren Namen nicht kennen. Die 46-Jährige singt ja meistens auch unter dem Namen Simone Sommerland. Kennen Sie auch nicht? Dann haben sie aller Wahrscheinlichkeit nach keine Kinder oder Enkel. Und Sie arbeiten auch nicht in einem Kindergarten. Aber da kennt man Sommerland. Denn sie macht Musik für Kinder. Über 60 Alben der Serie „Die 30 besten…“ hat sie seit 2010 eingespielt. Lieder zum Einschlafen, zum Mitsingen, für die Party, für den Sommer, den Winter oder Karneval. Eigentlich Lieder für jede Gelegenheit. Und natürlich den Rekordhalter, mit dem alles angefangen hat: „Die 30 besten Spiel- und Bewegungslieder.“ Allein dafür hat sie drei Mal Platin bekommen.
Ein Mix aus Glück und Können
Wie das alles passieren konnte? Stiers überlegt kurz, dann erzählt sie. Und je länger sie erzählt, umso deutlicher wird, dass ihre Karriere ein Mix aus Glück und Zufall ist, aus Können, den richtigen Kontakten und der Bereitschaft weiter zu gehen, wo viele andere stehen bleiben oder einen anderen Weg einschlagen. Und über allem steht von Anfang an ein großes Ziel: „Ich wollte Sängerin werden. Schon im Kindergarten.“ „Ein Plan B“, sagt sie, habe ich nie gehabt.“
Mit zwölf Jahren meldet sie sich heimlich bei einem Talentwettbewerb in ihrem Heimatort an. Als sie ihre Mutter einweiht, lacht die freundlich: „Wer soll dich denn nehmen, Kind?“. Andere erkennen das Talent des Mädchens recht früh. Simone singt Solos im Chor, übernimmt erst das Mikro in Schulbands und dann die Rolle der Columbia, als die örtliche Kleinkunstbühne die „Rocky Horror Show“ auf die Bühne bringt. Dabei sieht sie der Musiker Alex Claus, einst Schlagzeuger der Strandjungs“, die Mitte der 1980er mit eingedeutschten Beach Boys-Songs Erfolge feierte. „Hast du Lust auf einen Studio-Job“, fragt er die damals 17 Jahre. Simone hat – und wird zum Schlumpf.
Sie war auch die Stimme der Tekkno-Schlümpfe
Genauer gesagt, sie wird zur Stimme der Schlümpfe, die zwischen 1994 und 2003 CD um CD mit technisch bearbeiteten und deshalb besonders piepsigen Stimmen Hits aus den Charts mit neuen deutschen Texten nachsingen. Allein Folge Eins verkauft sich rund 1,2 Millionen Mal. „Nein, sagt Simone, noch bevor man fragt, „das hat mich nicht reich gemacht.“ Denn wie in der Branche bei solchen Projekten üblich, wird sie für ihre Studioleistung bezahlt. „Aber das war immerhin so viel, dass ich davon meine Ausbildung zur Sängerin bezahlen konnte.
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Gesangsunterricht nimmt sie damals schon lange, nach dem Abi lernt sie unter anderem an der Jazz-Akademie in Dortmund und der Hochschule für Popmusik in Hamburg. Irgendwann unterrichtet sie selbst, eröffnet schließlich eine private Musikschule in ihrer Heimat Volmarstein. Und natürlich singt sie. Im Background von ESC-Sieger Johnny Logan, oder mit Ireen Sheer. Auf dem Traumschiff, aber auch auf Schützenfesten in der Region. Als Frontfrau von Coverbands, Solistin von Philharmonischem Orchester aber auch auf großen Partys zu runden Geburtstagen. Es geht nicht um Ruhm, es geht darum, vor dem Mikro zu stehen. „Ich brenne für das Singen.“ Und ums Geld, „das manchmal knapp war in jener Zeit“, geht es auch. Vor allem nachdem sie das erste ihrer drei Kinder bekommen hat. Mal an einen anderen Job gedacht? „Nie. Singen ist mein Beruf.“
Kein Glitzer, kein Glamour
AZSimone ist auch nach jeder Babypause schnell wieder im Geschäft. Man kennt sie in der Szene, sie gilt als gute Sängerin und als zuverlässig. Eine, mit der man arbeiten kann. Deshalb kommt 2010 auch das Angebot zu „Die 30 Besten…“. Sie überlegt nicht lange. Auch weil es sie schon immer geärgert hat, dass Kindermusik von vielen in der Branche belächelt wird. „Das ist für viele Künstler unter ihrer Würde“, hat sie festgestellt. „Es gibt kein Glitzer, kein Glamour, keinen Medienrummel. Doch das suche ich auch alles nicht.“
Unter dem Namen Simone Sommerland macht sie mit. Für das erste Album werden von den Produzenten 30 Spiel- und Bewegungslieder zusammengestellt, die in vielen Kindergartengruppen Klassiker sind, aber die es in den meisten Fällen nie zuvor auf CD gegeben hat. Der Erfolg ist so gigantisch, dass die Plattenfirma sofort nachlegt und bis heute im Schnitt vier Alben pro Jahr veröffentlicht. Über 900 Songs sind so zusammengekommen – 50 Prozent traditionelles Liedgut und Coverversionen, 50 Prozent neu geschrieben. Eingängige Melodien, leicht verständliche Geschichten, gerne mit Tieren und mit vielen Reimen und Wiederholungen – Kindergartenhits.
2,3 Millionen Abonnenten bei Youtube
Anders als bei den Schlümpfen gibt es jetzt auch ein Gesicht zur Stimme. Ihr Gesicht. Simone ist in hunderten Musikvideos zu sehen, in denen sie gemeinsam mit Kindergartenkindern singt und tanzt. Denn es gibt einen Youtube-Kanal, der über 2,3 Millionen Abonnenten hat und auf dem ein besonders erfolgreiches Lied auch mal über 60 Millionen Mal geklickt wird. „Mittlerweile“, sagt Sommerland, „werde ich immer öfter erkannt.“ Fanpost gibt es trotzdem eher selten. „Die Kleinen können ja noch nicht schreiben.
Gelegentlich bekommt Simone trotzdem Post. In der wird ihr vorgeworfen, Lieder wie „Die Affen rasen durch den Wald“, „Meine Tante aus Marokko“ oder „Aramsamsam“ seien „rassistisch“, zumindest aber „Aneignung fremder Kultur“. Vorwürfe, die die Sängerin so nicht im Raum stehen lassen will. Klar, Kinder in Karnevals-Videos ihres Youtube-Kanals tragen schon lange kein „Indianer“ oder „Chinesen“-Kostüm mehr. Und bei neu geschriebenen Liedern, sagt sie , denke man im Team schon genau über die Texte nach.
2023 erstmals auf großer Tournee
Bei alten Kinder- und Volksliedern aber wünscht sie sich „Augenmaß“. Beim Affenlied etwa habe sie noch nie an Schwarze Menschen gedacht. Und überhaupt müsse man die Lieder auch im Zusammenhang mit der Zeit sehen, in der sie entstanden sind. „Auf jeden Fall ist das ein Thema, das Diskurs verdient, keine Aburteilung.“
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In diesem Jahr geht Simone Sommerland erstmals auf eine größere Tournee. Gesungen wird auf der Bühne natürlich, aber auch Bewegung ist angesagt. Eine Stunde hüpfen und tanzen, „ein Mitmachkonzert“. Erfahrungen mit Live-Auftritten vor Kindern hat sie in den vergangenen Jahren reichlich sammeln können. Schwieriges Publikum? Simone nickt und lacht: „Eisenhart.“ Nicht weil die Kids immer wieder mal ohne Rücksicht auf geplante Programmpunkte von ihrem Wackelzahn oder dem neuen Glitzer-T-Shirt erzählen wollen. „Das finde ich ja schön.“ Aber die Kleinen sind gnadenlos ehrlich und Konzertanfänger. „Sie klatschen nie nur aus Höflichkeit. Eher warten sie gespannt auf das nächste Lied“ Ein Problem? Simone schüttelt den Kopf und grinst: „Bisher noch nie.“
Simone Sommerland gastiert auf ihrer 2023er-Tour unter anderem in Wuppertal (8. April), Siegen (16. April) und Bochum (15. Oktober). Weitere Infos und Tickets unter www.simonesommerland.live im Internet.
Jüngstes Projekt der Sängerin sind personalisierte Kinderlieder, in denen die 100 aktuell beliebtesten Jungen- und Mädchennamen vorkommen. Die gibt es allerdings ausschließlich als Playlist unter dem Titel „Kinderlied für dich“ auf allen großen Streamingportalen
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung.
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