Essen. Laut einer Studie leiden seit der Corona-Pandemie mehr Jugendliche an einer Essstörung. Ein Essener Experte verrät die Ursachen.

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie entwickeln immer mehr Jugendliche eine Essstörung: Im Vergleich zu 2019 wurden im vergangenen Jahr 40 Prozent mehr Betroffene stationär behandelt. Das ist das Ergebnis einer Analyse aktueller Krankenhausdaten für den „DAK Kinder- und Jugendreport 2022“.

Johannes Hebebrand, Ärztlicher Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am LVR-Klinikum in Essen, hat mit Sophie Sommer über die bedenkliche Entwicklung gesprochen.

Warum hat die Pandemie für viele Jugendliche scheinbar die Gefahr erhöht, eine Essstörung zu entwickeln?

Johannes Hebebrand:Die Pandemie stellt einen Stressfaktor dar. Das Leben der Jugendlichen hat sich grundlegend verändert. Es kam zu einer geringeren Häufigkeit von sozialen Kontakten.

Dabei gehört es gerade in dem Alter zum Alltag, im regen Austausch miteinander zu sein. So hatten die Jugendlichen mehr Zeit und Langeweile – auch, um die sozialen Medien zu nutzen.

Es ist allgemein bekannt, dass diese für die Körperwahrnehmung, gerade bei Mädchen, durchaus Problematiken mit sich bringen. Diese haben sich in der Pandemie wie ein Brennglas ausgewirkt. Viele der betroffenen Mädchen haben auch angefangen, zu überlegen, wie sie sich klimafreundlicher ernähren oder ihre Gesundheit optimieren können. Pandemie und Gesundheit, das liegt schließlich nah beieinander.

Sich gesund und bewusst zu ernähren, ist ja prinzipiell erstmal nichts Schlechtes.

Ja, aber all das kann zu einer Gewichtsabnahme oder Abnahme der Fettmasse führen. Und über diesen Mechanismus stolpern die Betroffenen dann in eine Magersucht rein – bei gegebener Prädisposition, diese Störung zu entwickeln.

Essener Experte: Unerwarteter Kontrollverlust bei Magersucht

Was kennzeichnet diese Prädisposition aus? Was macht junge Mädchen also anfällig dafür, eine Essstörung zu entwickeln?

Betroffene sind tendenziell eher ehrgeizig, zurückhaltend und teilweise ängstlich. Eigenschaften, die nicht hinreichend sind, um eine Essstörung zu entwickeln, aber man findet diese Merkmale gehäuft bei Patientinnen.

Wenn solche strebsamen Mädchen etwas anpacken, dann richtig. Dann reicht es nicht nur, ein paar Mal in der Woche Sport zu treiben, die Ernährungsumstellung wird stringent durchgezogen. Irgendwann kommt dann der Punkt,an dem die Mädchen unerwartet die Kontrolle verlieren.

Was raten Sie Eltern in diesem Fall?

Wenn Eltern merken, dass sich ihre Kinder gesünder ernähren wollen oder auf einmal mehr Sport machen, sollten sie das Gewicht im Auge behalten und mit ihnen das Gespräch suchen. Eltern und Jugendliche sollten die Gefährdung kennen, die eine Gewichtsabnahme mit sich bringen kann. Falls schon Hinweise vorliegen, dass eine Jugendliche die Kontrolle über ihr Gewicht verloren hat, sollten sie sich an einen Arzt wenden.