Ruhrgebiet. Die Corona-Zahlen steigen wieder – und damit das Interesse an den Impfungen. Viele blicken aber nicht mehr durch: Für wen ist wann welche nötig?

Wer über 60 ist, bekommt in diesen Tagen Post von Karl Lauterbach: Der Bundesgesundheitsminister legt den Empfängern darin die vierte Impfung gegen Corona ans Herz. Bei Älteren käme es häufiger zu schweren Verläufen einer Sars-CoV-2-Infektion, schreibt er. Die Impfung schütze davor. Und es sei ihm „ein besonderes Anliegen“, „dass wir alle gut durch Herbst und Winter kommen“. Denn die Infektionszahlen steigen gerade wieder. Rapide. Und nicht wenige erkranken sehr schwer. In der vergangenen Woche starben laut RKI-„Pandemieradar“ bundesweit 885 Menschen an oder mit dem Virus. Doch im dritten Jahr der Pandemie herrscht bei vielen Unklarheit, für wen wann welches Vakzin sinnvoll und wie oft eine Impfung gegen das Sars-CoV-2-Virus nötig ist. Antworten auf die häufigsten Fragen.

Wer gilt aktuell als „vollständig geimpft“?

Laut § 22a des Infektionsschutzgesetzes besteht seit 1. Oktober 2022 ein vollständiger Impfschutz (Grundimmunisierung) bereits nach drei Impfungen (wenn zwischen zweiter und dritter Impfung mindestens drei Monate liegen) sowie nach zwei Einzelimpfungen plus positivem Antikörpertest vor der ersten Impfung oder plus einer mittels PCR-Test nachgewiesenen Sars-CoV-2-Infektion vor oder nach der zweiten Impfung (sofern die Testung mindestens 28 Tage alt ist). Zu kompliziert? Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet einen interaktiven „Online-Impfcheck“ an, mit dessen Hilfe sich der persönliche Status leicht herausfinden lässt.

Dreimal geimpft: Das gilt als Grundimmunisierung. Inzwischen sind viele sogar vier-, einige auch fünfmal schon gegen Corona immunisiert.
Dreimal geimpft: Das gilt als Grundimmunisierung. Inzwischen sind viele sogar vier-, einige auch fünfmal schon gegen Corona immunisiert. © Alamy Stock Photo | Westend61 GmbH / Alamy Stock Photo

Warum haben Impfzertifikate in der Corona-Warn-App ein „Ablaufdatum“?

Mit einem möglicherweise nachlassenden Impfschutz hat das nichts zu tun, versichert das für die App zuständige Bundesgesundheitsministerium (BGM). Digitale Impfzertifikate liefen nur „aus technischen Gründen“ nach 365 Tagen ab. Der QR-Code kann danach nicht mehr gelesen werden – was bei Auslandsreisen unter Umständen für Probleme sorgt. Innerhalb Deutschlands sind die Impfnachweise nach vollständiger Grundimmunisierung unbegrenzt gültig. Nutzer der App erhalten 28 Tage vor dem „technischen Ablaufdatum“ eine Warnung und können das Zertifikat bis zu 90 Tage danach selbst verlängern (auch Genesenen-Nachweise). Wichtig: Es muss nur das aktuell verwendete Zertifikat aktualisiert werden.

Wie viele Menschen sind geimpft?

63,5 Millionen Menschen in Deutschland sind grundimmunisiert (NRW: 14,2 Millionen), 51,8 (11,8) Millionen haben bereits eine erste Auffrischungsimpfung und 9 (2,5) Millionen auch schon den zweiten „Booster“ erhalten. 18,4 Millionen Menschen in Deutschland sind noch völlig ungeimpft, darunter vier Millionen Kinder unter fünf Jahren, für die noch Corona-Impfstoff zugelassen ist. Im Bundesvergleich stehe NRW damit „insbesondere mit Blick auf die älteren Bevölkerungsgruppen (...) recht gut da“, erklärte Miriam Skroblies, Sprecherin des Landesgesundheitsministeriums (MAGS).

Wem konkret wird die vierte Impfung (der zweite Booster) empfohlen?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) rät grundsätzlich allen Menschen ab 60 Jahren dazu, aber auch besonders gefährdeten Jüngeren mit Vorerkrankungen oder einer Immunschwäche, sowie all denen, die etwa in Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen oder Kliniken mit besonders vulnerablen Personen zu tun haben. Davon „abweichende Indikationen“, so das RKI, müssten „unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands und der Gefährdung individuell vor Ort durch den behandelnden Arzt/die behandelnde Ärztin getroffen werden“. „Wer gesund ist und dreimal geimpft, braucht keine weitere Impfung“, sagt Prof. Sebastian Dolff, leitender Oberarzt der Klinik für Infektiologie am Universitätsklinikum Essen. Es gebe keine Daten, die belegten, dass sich durch den zweiten Booster „der Schutz für einen 25-Jährigen Studenten verbessert“

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Wann und mit welchem Vakzin?

Mindestens sechs Monate sollten zwischen dritter und vierter Impfung liegen (oder zwischen überstandener Infektion und Impfung) – bei gesunden Menschen. Personen mit Immunschwäche etwa sollten den zweiten Booster schon nach drei Monaten erhalten, der Arzt berät Betroffene. Die Stiko empfiehlt, wegen der „verbesserten Antikörperantwort“ für die Auffrischung vorzugsweise einen „Omikron-adaptierten bivalenten mRNA-Impfstoff“. Solche Vakzine sind von Biontech/Pfizer(Comirnaty) sowie von Moderna (Spikevax, aber nur für über 30-Jährige) zugelassen. Sie zielen einerseits wie die bisherigen (monovalenten) Vakzine gegen den Sars-CoV-2-Wildtyp – und andererseits gegen die Virus-Varianten, die die letzten Monate dominierten: BA.1 bzw. BA.4/BA.5. Vergleichende klinische Studien zur Wirksamkeit der verschiedenen bivalenten Vakzine kenne er keine, sagt Infektiologe Dolff“. „Sind beide gut!“

Ist ausreichend Impfstoff vorhanden?

Ja. Bundesweit werden laut BMG in diesem Herbst und Winter allein 70 Millionen Dosen des BA.4/5-Impfstoffs zur Verfügung stehen. Viele Patienten und Patientinnen bestünden darauf, den neuesten Impfstoff zu erhalten, weiß Stefan Kuster, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, bestätigt aber: „Die bestellten Impfstoffmengen kommen derzeit pünktlich und vollständig in den Praxen an.“

Wie groß ist die Nachfrage nach Booster-Impfungen?

Täglich werden derzeit bundesweit im Sieben-Tage-Schnitt rund 74.000 Menschen gegen Corona geimpft, das ist beinahe jede Sekunde einer. Tendenz: steigend. Allein am Donnerstag vergangener Woche wurden 121.000 Impfdosen verabreicht; 119.000 davon als Auffrischungsimpfung. Seit der neue Impfstoff zur Verfügung stehe (September 2022) sei die zuvor „eher verhaltene“ Nachfrage „deutlich gestiegen“, sagt auch die KVWL. „Die Menschen haben tatsächlich auf den neuen, an BA.4/BA.5 angepassten Impfstoff gewartet“, glaubt Stefan Kuster.

Wer braucht eine fünfte Impfung?

Die Stiko empfiehlt sie derzeit nicht „regelhaft“. Sagt aber, „bei bestimmten besonders gefährdeten Personen“, Hochbetagten etwa könne sie sinnvoll sein. Die Nachfrage nach Fünftimpfungen steige, berichtet die KVWL, „zum Beispiel in den Altenheimen“. Viele Hausärztinnen und Hausärzte böten sie dort inzwischen aktiv „aktiv und strukturiert“ an. Sebastian Dolff spricht sich zudem für eine fünfte Impfung aus auch bei Patienten „ohne ausreichende oder gar keine Impfantwort“: Transplantierten, Immungeschwächten oder Chemo-Patienten etwa. An der Uniklinik wird deren Antikörper-Titer kontrolliert – und gegebenenfalls ein fünftes Mal geimpft. Für junge, gesunde Menschen bringe ein Antikörpertest dagegen nichts, so Dolff: „Mit den Ergebnissen können Sie nichts anfangen, es gibt keine Richt- oder Grenzwerte.“

Dürfen Grippe- und Corona-Impfung zusammen verabreicht werden?

Grundsätzlich ja, in der Regel wird dabei in unterschiedliche Arme geimpft, so die KVWL. Dr. Volker Schrage, stellvertretender Vorstandsvorsitzender: „In Zeiten von Corona ist und bleibt Impfen unser Ticket zurück in die Normalität.“

>>> INFO: Corona-Tests

Seit Juli sind Bürgertests nicht mehr grundsätzlich kostenlos. Seither, so das MAGS, sei die Zahl der Testungen zurückgegangen. Am 29. Juni wurden demnach 415.009 Tests gezählt, am 1. Juli waren es 187.414. Bis etwa Anfang Oktober sei die Zahlen auf diesem Niveau geblieben, inzwischen stiegen sie wieder leicht an (11. Oktober: 254.481, davon 29.510 positiv).