Solingen. Mit 40 in den Ruhestand? Wie Frugalist Sebastian Voss (27) aus NRW einen Großteil seines Gehaltes spart, um frühzeitig in Rente gehen zu können.

Wenn alles nach Plan läuft, wird Sebastian Voss in 13 Jahren entscheiden können, ob er weiterhin arbeiten oder lieber in Rente gehen will. Dabei ist der Solinger erst 27 Jahre alt, steckt noch mitten im Lehramtsreferendariat. Voss ist ein sogenannter Frugalist. Sein Ziel: die finanzielle Freiheit.

Frugalismus wird abgeleitet vom lateinischen Wort „frugalis“, das mit „sparsam“, „wirtschaftlich“ und „ordentlich“ übersetzt werden kann. Die Lebensweise hat ihren Ursprung in den USA. Dort nennen die Anhänger und Anhängerinnen das Konzept, das sich im Zuge der Finanzkrise der 2000er entwickelte, „FIRE“. Die Abkürzung steht für „Financial Independence, Retire Early“ (Finanzielle Unabhängigkeit und frühzeitiger Ruhestand). Die Idee dahinter ist schnell erklärt: Frugalistinnen und Frugalisten legen in den Jahren, in denen sie arbeiten, so viel Geld zurück, dass sie irgendwann allein vom Ersparten und den Zinsen leben können.

Herr Voss, wann haben Sie sich zum letzten Mal etwas außer der Reihe gekauft?

Zu Weihnachten habe ich mir eine Espresso-Maschine gekauft. Ich habe fünf Monate darüber nachgedacht, ob ich mir den Wunsch wirklich erfüllen möchte.

Sind Sie ein geiziger Mensch?

Der Frugalist ist typischerweise schon ein sehr geiziger Typ, der um des Sparens willen auf vieles verzichtet. Es gibt aber eine viel schönere Definition, nach der ich lebe.

Und die wäre?

Für mich ist Frugalismus kein Geizhals-Lebensstil. Es geht darum, sich und seine Bedürfnisse besser kennenzulernen und nicht jeden Trend unserer Konsumwelt mitzumachen. Das Leben zu genießen bedeutet für mich nicht, besonders viel zu besitzen, sondern etwas mit Freunden zu unternehmen. Seitdem ich vor zwei Jahren den Frugalismus für mich entdeckt habe, habe ich mir zum Beispiel keine neue Kleidung gekauft.

Das klingt sehr nach dem Minimalismus, bei dem es auch darum geht, bewusst zu verzichten.

Für Minimalisten spielt das Finanzielle keine Rolle. Aber Minimalismus ist zwangsläufig eine Folge von Frugalismus, weil man so merkt, dass man viele Dinge nicht benötigt. Das ist meiner Meinung nach auch einer der Hauptgründe, warum sich gerade so viele Menschen für Frugalismus interessieren. Sie haben das Gefühl, dass sie zwar alles besitzen, aber trotzdem nicht glücklich sind.

Wie hängt das mit dem Wunsch, frühzeitig in Rente zu gehen, zusammen?

Wir arbeiten alle sehr viel, aber wissen oft nicht wirklich, wofür. Und ich hatte, wie wahrscheinlich viele andere Menschen meiner Generation, große Ängste und Sorgen rund um das Thema Geld. Frugalismus ist ein ideales Werkzeug, um sich auf die Zukunft vorzubereiten und etwas gegen diese Existenzangst zu tun.

Wie Sie dieses Werkzeug nutzen, teilen Sie auch auf Ihrem Blog. Was sind Ihre wichtigsten Tipps?

Als Erstes sollte man sich ein Haushaltsbuch anlegen, in das man alle Ein- und Ausgaben einträgt. So kann man sich einen Überblick über seine Finanzen verschaffen. Dann muss man sich überlegen, wie viel von seinem Gehalt man sparen kann.

Frugalist: „Finanzielle Freiheit bedeutet, dass man nie wieder arbeiten muss.“

Meist sind das zwischen 30 bis – im Extremfall – 80 Prozent des Gehaltes. Wie hoch ist Ihre monatliche Sparquote?

Ich bin ja noch Referendar, verdiene gerade also noch nicht so viel. Meine Lebenshaltungskosten liegen bei etwa 900 Euro, alles on top spare und investiere ich. Das sind in der Regel 500 bis 600 Euro, also 30 Prozent meines gesamten Einkommens. Sobald ich mehr verdiene, werde ich mehr Geld investieren.

Beim Investieren spielt für Frugalisten und Frugalistinnen das sogenannte passive Einkommen eine große Rolle. Was versteht man darunter?

Finanzielle Freiheit bedeutet, dass man ab einem gewissen Zeitpunkt nie wieder arbeiten muss. Sein Geld anzulegen ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, um dieses Ziel zu erreichen. Ich investiere vor allem in Exchange Traded Funds an. Die sogenannten ETFs sind an der Börse gehandelte Indexfonds. Weil sie so breit aufgestellt sind, ist das Anlagerisiko minimiert. Das hat zur Folge, dass sich das angelegte Geld langfristig eher vermehrt. Irgendwann lässt sich so vielleicht vom Ersparten leben.

Haben Sie nicht Angst, jetzt etwas zu verpassen, das Sie im Alter nicht mehr nachholen können?

Ich habe kaum noch das Bedürfnis, mein Geld für Materielles auszugeben. Und obwohl ich viel Geld spare, verreise ich noch oder gehe mit Freunden essen. Diese Woche war ich gleich zwei Mal im Restaurant. Jetzt achte ich schon darauf, in nächster Zeit erstmal nicht mehr essen zu gehen. Es ist bei mir im Alltag auch nicht so, dass ich stundenlang Zeitschriften nach Rabatten durchforste. Ich bereite aber jeden Wocheneinkauf vor: Was will ich kochen und welche Zutaten brauche ich dafür? Nur die Sachen, die auf der Liste stehen, landen im Einkaufskorb.

Die Sparregel der Frugalisten

Frugalisten und Frugalistinnen greifen oft auf das Prinzip der 4-Prozent-Regel zurück. Sie wurde abgeleitet aus der Trinity-Studie, die Forscher der US-Universität Trinity (Texas) 1998 aufgestellt hatten. Demnach kann – vereinfacht gesagt – ein Ruheständler pro Jahr nur vier Prozent seines Vermögens ausgeben, ohne langfristig in Geldschwierigkeiten zu geraten.Wer pro Jahr 40.000 Euro ausgibt, braucht demnach rund eine Million Euro erspartes Vermögen, um 25 Jahre vor dem eigentlichen Renteneintrittsalter in den Ruhestand zu gehen.

Viele Frugalistinnen und Frugalisten träumen vom Ruhestand mit 40. Wann wollen Sie Ihren Beruf aufgeben?

Ich bin nicht super erpicht darauf, alles hinzuwerfen. Dafür liebe ich den Job zu sehr. Aber ich möchte schon so viel Geld zur Seite legen, dass ich mir ab 40 Jahren die Option schaffe, den Beruf eventuell doch zu wechseln oder eine Pause einzulegen. Mir geht es um dieses Lebensgefühl: Ich kann arbeiten, muss es aber nicht, wenn mich der Job nicht mehr erfüllt.

Eine feste Garantie für den frühzeitigen Ruhestand kann jedoch auch der Frugalismus nicht bieten. Denn die Idee berücksichtig nicht, dass etwas Unvorhersehbares eintritt, wie etwa eine lange Krankheit oder der Jobverlust.

Auch die Familienplanung bringt die Sparpläne einiger Anhänger und Anhängerinnen durcheinander. So gab der bekannteste deutsche Frugalist Oliver Noelting erst vor Kurzem bekannt, seinen Traum von der Rente mit 40 aufzugeben. Er habe seine Arbeitszeit – und damit auch seine Sparrate – runtergeschraubt, um mehr Zeit mit seiner Tochter verbringen zu können.