Essen. Seit 50 Jahren gibt es Playmobil. Wie die Plastikfiguren zu Kultspielzeugen geworden sind, die es in Wohnzimmer auf der Welt geschafft haben.

Was haben alte Römer und moderne Astronauten, Karnevalisten und Köche, Bauern und Bauarbeiter gemeinsam? Dasselbe wie der Dichter Friedrich von Schiller, der Reformator Martin Luther, James Bond oder St. Martin – es gibt sie als mehr oder minder bunte Playmobilfigur. Was heute in kaum einem Kinderzimmer fehlt, wurde vor 50 Jahren erdacht. Als Erfinder von Playmobil gilt der Mustermacher Hans Beck, der die Idee eines neuen Spielsystems auf Wunsch des Firmenchefs Horst Brandstätter realisierte. Beck, geboren im thüringischen Greiz, war damals Chefentwickler bei Geobra Brandstätter in Zirndorf bei Nürnberg.

Nürnberg liegt in Franken – und die Franken sind helle. Einst hatten sie in ihrem Land viele Ritter, die als Helden galten und in der Landschaft viele Trutzburgen hinterließen. Diese Tradition wollte man bei Brandstätter nutzen. Beck und sein Chef kamen auf die Idee, mit Spielrittern den Kinderspielwarenmarkt zu erobern. 1971 erhielt Beck den Auftrag, ein Systemspielzeug zu entwickeln. Er entwarf eine 7,5 Zentimeter große Spielfigur, die gut in Kinderhände passt. Im Februar 1972 wurden die Playmobil-Figuren als Patent behördlich angemeldet.

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1974 brachte Geobra Brandstätter die ersten drei Figuren – Indianer, Bauarbeiter und Ritter – auf den Markt, die innerhalb kürzester Zeit die Kinderzimmer eroberten. Das hat die Erfinder reich gemacht – und beschäftigt bis heute jede Menge Mitarbeiter.

Dank Playmobil entstehen ganze Städte

In den 70er-Jahren spielten Kinder mit Holzfiguren. Plastik galt aber als modern und war zudem weniger schwer für zarte Kinderhände. Und weil Playmobil ein Systemspielzeug war, konnten die Kleinen – und viele Große auch – mit den 7,5 Zentimeter großen, lustig-menschenähnlichen Figuren viel mehr anfangen als mit klobigen Holzklötzen.

Es gab nicht nur Figuren auf Pferden mit Spießen, obwohl die nach wie vor zum festen Bausatz gehören, sondern auch Indianer, die immer noch so heißen (nicht Indigene). Piraten, Soldaten, Polizisten, Feuerwehrmänner und Krankenschwestern. Dazu Baustellen, Tankstellen, Krankenhäuser, Freizeitparks und ganze Städte, die sich stundenlang zusammenbasteln ließen.

Genial, die Jüngsten waren beschäftigt, pädagogisch richtig, sie lernten beim Zusammenstecken als Jungen oder Mädchen manches vom Leben, der Arbeit und der Zukunft. In jeder Sekunde fallen 3,2 Playmobil-Figuren aus dem Maschinenpark, insgesamt bevölkern mehr als 5700 Figurenvarianten weltweit Kinderzimmer.

Playmobil – die Ursache für kleine Familiendramen

Für so manche Eltern hingegen wurde Playmobil auch, nun ja, zum Fluch. Zum einen, weil der Nachschub aus Zirndorf nie versiegt und die Kinder nach immer neuen Bauernhöfen, Polizeistationen, Feuerwehrwachen, Ritterburgen oder Arztpraxen nebst Personal im Kleinformat verlangen. Zum anderen aber auch, weil gerade die manchmal winzigen Zubehörteile wie Stifte, Polizeikellen oder Dolche gern mal im Teppich oder unter der Kommode verschwinden – dann ist das Geplärr groß. So manche vermisste Cowboy-Revolver hat auf diese Weise schon für ein kleines Familiendrama gesorgt.

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Trotz alledem: Playmobil klotzt und klotzt weiter, es gibt bis heute immer neue Erfolge, auch wenn sich das Spielverhalten ins Digitale verändert. Bei Playmobil arbeiten Heranwachsende mit den Händen, streiten und befrieden sich in der Gruppe oder klappern allein ihre Gestaltungsfantasien zusammen. Die gesamte Spielzeugbranche wurde im letzten Jahr um vier Prozent gesteigert. Playmobil als Bauklötzchen-Hersteller kletterte auf 7,5 Prozent.

Unternehmenssprecherin Karen Pascha-Gladyshev sagt zum Sortiment: „Wir betreiben viel Forschung, um zu verstehen, was unsere Zielgruppe zum jetzigen Zeitpunkt interessiert.“ Die Evergreens wie Piraten, Ritter oder Polizisten sind beliebt wie eh und je, zurzeit sind der Arzt und die Krankenschwester die Helden. Die reale Lebenswelt wird im Mini-Format nachgestellt.

Es gibt über 6000 verschiedene Playmobil-Figuren: Bauarbeiter, Ärzte, Krankenschwestern ...
Es gibt über 6000 verschiedene Playmobil-Figuren: Bauarbeiter, Ärzte, Krankenschwestern ... © dpa | Matthias Balk

Seit Oktober 1994 sind die Playmobil-Figuren offiziell auch „Werke der angewandten Kunst“ mit einer „urheberrechtlichen Werksqualität“. So begründete nämlich das Landgericht Nürnberg-Fürth die Aufnahme. Den Schöpfern der Figuren sei es „gelungen, Modelle zu schaffen, die unter teilweiser Verwendung technisch bedingter und/oder bereits bekannter Kombinationselemente einen ästhetischen Gesamteindruck hervorrufen, der im vorbekannten Formenschatz noch nicht vorhanden ist“, wie es dort heißt Jede „Playmobil-Grundfigur“ gilt seitdem als „künstlerische Individualität“.

Ohne Horror und vordergründige Gewalt

Im Spielzeugmuseum Nürnberg wurde im Jahr 1999 die Ausstellung „Winzige Weltmacht – 25 Jahre Playmobil“ gefeiert. In Zirndorf, also sozusagen am Stammsitz, entstand ein „Playmobil Fun Park“, ebenso in Paris, Athen, Malta und Palm Beach in Florida. Es folgten mehrere Ausstellungen in deutschen Städten, alle gut besucht. Auch einen Kinofilm im Playmobil-Stil gibt es inzwischen. Playmobil ist nun eine Instanz, die „naturalistische Darstellung eines Menschen oder Menschentyps“, hieß es. Als Kunstwerk wurde es eingestuft, weil es sich auch unter eine eigene klare Präambel stellt: „Kein Horror, keine vordergründige Gewalt und keine kurzfristigen Trends.“ Playmobil bleibt also solide bürgerlich.

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Und gelegentlich wird Playmobil auch zum Spekulationsobjekt. So sorgte im letzten November ein Playmobil-Männchen des Landesamts für Umwelt in Bayern für Furore. Die eigentlich für die kostenlose Verteilung an Kinder gedachten Figuren fanden sich auf eBay und anderen Webseiten für Preise zwischen 50 und über 80 Euro – pro Stück. „RARITÄT: Playmobil 70620 Hochwasser Sondermodell Bayerische Wasserwirtschaft“, bewarb ein Anbieter die Figur mit weißem Helm und blauem „W“-Logo. Er verlangte 84,99 Euro.

Das war freilich nicht der beabsichtigte Zweck: Die Playmobil-Figuren wurden nach Angaben eines LfU-Sprechers als Werbemittel für die Bayerische Wasserwirtschaft in Auftrag gegeben. So wurden die Figuren etwa bei Veranstaltungen zum Thema Hochwasserschutz an Schulklassen verteilt.

Heute bevölkern nach aktuellen Unternehmensangaben mehr als 3,7 Milliarden Playmobil-Figuren Kinderzimmer auf der ganzen Welt. Mehr als 6600 Figurenvarianten seien seit 1974 entstanden, heißt es weiter. Hielten sich die 3,7 Milliarden Figuren an der Hand, reichten sie über 4,2 Mal um die Erde.

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