Essen. Zur jugendlichen Sexualität gehören auch ansteckende Infektionen, die weltweit stark zunehmen. Wie die Aufklärung laut Expertin gelingen kann.

Wie sage ich es nur? Und wann ist der richtige Zeitpunkt? Die sexuelle Aufklärung der eigenen Kinder ist unbestritten eines der schwierigsten Aufgaben im Leben von Vater und Mutter. Wissen die Kleinen irgendwann im Kindergartenalter die Grundlagen, kommt spätestens zur Pubertät die elterliche Herausforderung hinzu, die Teenager über Verhütung und damit einhergehend über sexuell ansteckende Krankheiten zu informieren.

Eine unangenehme, aber wichtige Aufgabe, zeigen aktuelle Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO doch, dass sexuell ansteckende Infektionen (STI) ansteigen. Idealerweise führen Eltern mit ihren Kindern in einem offenen und kommunikativen Verhältnis öfter Gespräche über die sexuelle Entwicklung oder Pubertät.

Expertin gibt Tipps: So klärt man über Sexkrankheiten auf

Doch gerade in einer Zeit, in der die Scham am größten ist, verweigern sich Jugendliche oft solchen Themen mit den eigenen Eltern. „Gut ist sicher, einen Aufhänger zu finden. Sich einfach hinsetzen und sagen, jetzt sprechen wir über sexuell ansteckende Krankheiten, geht nicht.

Aufhänger kann die HPV-Impfung sein, ein Zeitungsartikel oder der Welt-Aids-Tag von dem man überleiten kann“, rät Brigitte Hauß, Sexualpädagogin der pro familia Beratungsstelle Konstanz. Sie empfiehlt auch das Gespräch nicht zu spät zu suchen: „Lieber ein Jahr zu früh als ein Tag zu spät.“

Denn oft sei es hinderlich, wenn die Jugendlichen glaubten, schon alles zu wissen. „Wenn Pubertierende noch weit weg sind von diesen Themen hören sie sich das eher interessiert an“, ist ihre Erfahrung. Die heutige Generation der Eltern hat wahrscheinlich die eigene Jugend unter der sogenannten „Aids-Angst“ erlebt. Was damals noch als tödlich ansteckende Krankheit galt, ist heute behandelbar, aber dennoch nicht heilbar.

Studie: 90 Prozent der Jugendlichen sprechen mit Partner über Verhütung

Daher zählt das HI-Virus noch immer zu den hoch riskanten Erkrankungen. Die damalige Hysterie nach Aufkommen der ersten Aids-Fälle und die folgende sachliche Aufklärungsarbeit führten dazu, dass der geschützte Geschlechtsverkehr mit Kondom selbstverständlich wurde.

Eine repräsentative Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur Jugendsexualität im Jahr 2015 attestiert dieses Bewusstsein auch heutigen Jugendlichen: „Das Verhütungsverhalten der 14- bis 17-Jährigen ist ausgesprochen umsichtig. Über 90 Prozent der sexuell aktiven jungen Menschen sprechen mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin über Verhütung.“

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) informiert mit Plakaten zum Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen. 
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) informiert mit Plakaten zum Schutz vor sexuell übertragbaren Infektionen.  © Handout | BZgA

HPV-Schutzimpfung gegen Gebärmutterhalskrebs

Doch es muss nicht gleich HIV sein: Chlamydien, Herpes, HPV oder Gonorrhö sind nur einige der weltweit insgesamt 30 verschiedenen sexuell übertragbare Infektionen (STI), die in Deutschland besonders verbreitet sind. Die sogenannten Humanen Papillomaviren (HPV) sind hochansteckend und die am häufigsten sexuell übertragene Infektion.

Da die Viren nach neuester wissenschaftlicher Erkenntnis verantwortlich für Gebärmutterhalskrebs sein können, gibt es seit einigen Jahren eine effiziente Schutzimpfung für Mädchen ab dem 9. Lebensjahr. In diesem Fall sind die Eltern in der Pflicht, ihre Kinder rechtzeitig impfen zu lassen, da die höchste Wirksamkeit der Impfung vor den ersten sexuellen Kontakten gegeben ist.

Die Deutsche STI-Gesellschaft – Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit (DSTIG) – fordert allerdings auch eine von den Krankenkassen bezahlte HPV-Impfung für Jungen: „Wenn wir auch Jungen impfen, dann senken wir gleichzeitig das Infektionsrisiko für Mädchen. Denn, der häufigste Grund einer Neu- oder Wiederansteckung ist für Mädchen der infizierte Partner“, sagt Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer, Präsident der DSTIG.

Beim Küssen mit Chlamydien oder Syphilis infizieren

Als weitere unterschätzte Gefahr sieht die Gesellschaft die Chlamydien-Infektion, die mit einer Urinuntersuchung festgestellt werden kann. Da sie aber relativ symptomlos verläuft, können die Erreger auch unbemerkt in die Gebärmutter und Eierstöcke wandern.

„Der Nachweis einer Infektion ist dann schwierig und Spätfolgen können Schwangerschaftskomplikationen und ungewollte Kinderlosigkeit sein.“ Auch hierzu wird an einem Impfstoff geforscht. Die Entwicklung solcher Impfungen wird immer dringlicher, da schon seit längerem bekannt ist, dass eine Infektion mit Chlamydien und sogar Syphilis schon beim Küssen erfolgen kann.

Ganz neu hingegen ist die Erkenntnis australischer Wissenschaftler, dass auch Gonorrhö – bekannt als Tripper – beim Zungenkuss übertragen wird. Zudem hat die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits 2016 gewarnt, dass viele Krankheiten – allen voran Gonorrhö – aufgrund von Resistenzen immer schwerer mit Antibiotikum zu heilen sind.

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Schutz gegen Geschlechtskrankheiten: Kondome, Femidome oder Dental Dams

Die Verhütung übertragbarer Krankheiten ist daher immer wichtiger: Das Kondom ist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit deutlichem Abstand das Verhütungsmittel Nummer eins beim ersten Mal. 73 Prozent der 14- bis 25-Jährigen gaben dies bei der Umfrage der BZgA 2015 an. Kondome verringern außerdem das Risiko, sich mit einer STI anzustecken.

Doch längst können sich junge Frauen auch mit sogenannten Femidomen, die aus dünnem, reißfestem Kunststoff bestehen, selbst schützen. Das „Kondom der Frau“ ist allerdings nur in Apotheken erhältlich. Beim Oralverkehr kann ein „Dental Dam“ verwendet werden. Das Ansteckungsrisiko für HIV und andere Geschlechtskrankheiten wird durch diese Barriere deutlich vermindert.

Umfrage zeigt: Jungen sind schlechter über Sexkrankheiten informiert

So aufgeklärt Jugendliche heute scheinen, umso überraschender ist das Ergebnis von Urologen des St. Antonius Hospitals in Eschweiler, die mehr als 450 Gymnasiasten einer neunten Klasse befragten: Knapp 70 Prozent der Schüler konnten nur zwei sexuell ansteckende Krankheiten benennen.

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Die Frage „Gegen welche Geschlechtskrankheit kann man heutzutage Mädchen und Jungen gleichermaßen impfen?“ wurde von auch nur wenigen Jungen (11,3 Prozent) richtig beantwortet. Auch bei allgemeinen anatomisch-funktionellen Fragen wurde bei den Jungen ein großes Wissensdefizit deutlich.

Das Problem sehen die Urologen in der Versorgung von Jungen. Pubertierende Mädchen seien meist im Anschluss an die Vorsorgeuntersuchungen des Kinderarztes bei einem Gynäkologen, Jungen hingegen hätten keinen ärztlichen Ansprechpartner. Daher verlangen die Eschweiler Ärzte eine Vorsorgeuntersuchung speziell für Jungen und junge Männer, bei der auch über die Prävention sexuell übertragbarer Erkrankungen oder Optionen zur Impfung gegen HPV gesprochen werden könne.

Expertin: „Das Elternhaus spielt bei der Sexualaufklärung eine wichtige Rolle.“

Gleichzeitig aber unterstreicht das auch die Bedeutung der Aufklärung zu Hause: „Das Elternhaus spielt bei der Sexualaufklärung eine wichtige Rolle. Eltern sind für ihre Kinder wichtige Vertrauenspersonen und eine zentrale Beratungsinstanz in Verhütungsfragen,“ sagt Dr. Heidrun Thaiss, Leiterin BZgA.

Laut Umfrage sprechen allerdings nur 63 Prozent der Mädchen und 51 Prozent der Jungen deutscher Herkunft mit ihren Eltern über Verhütung, und nur 41 Prozent der Mädchen und 36 Prozent der Jungen aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund. Aber auch der Institution Schule kommt eine wichtige Aufgabe zu: Auf die Frage nach der wichtigsten Bezugsperson im Rahmen ihrer Aufklärung gefragt, nennen Jungen Lehrer und Lehrerinnen an erster Stelle.

Wissen ist eben auch in diesem Falle wieder Macht – Macht über den eigenen Körper, damit sexuell übertragbare Infektionen verhindert werden. Aber auch, damit Krankheiten erkannt und beachtet werden und sich Jugendliche nicht schämen, darüber zu sprechen und zum Arzt zu gehen.

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