Essen. Die Corona-Zahlen steigen, es kommt öfter zu Impfdurchbrüchen. Müssen Studierende wieder online lernen? Das sagen Unis und Studierende in NRW.

Im großen Hörsaal Platz nehmen, mit Kommilitoninnen und Kommilitonen diskutieren und in der Bibliothek lernen: An den meisten Universitäten und Fachhochschulen können junge Menschen seit wenigen Monaten wieder vor Ort studieren. Daran haben Hochschulen in NRW bisher festgehalten – trotz der zunehmend kritischen Corona-Lage.

Man wolle die Studierenden „soweit und so lang wie möglich auf ihren Campi betreuen“, heißt es etwa von der Universität Duisburg-Essen. Die Uni habe die Erfahrung gemacht, dass rein virtuelle Formate den Austausch vor Ort nicht ersetzen könnten, sagt Sprecher Arne Rensing. Eva Prost von der Technischen Universität Dortmund stimmt zu: Die Präsenzlehre sei ein „sehr hohes Gut, was man lange schützen sollte“.

Studierende sollen in NRW weiter vor Ort lernen – trotz steigender Corona-Zahlen

Drei Semester lang war das virtuelle Lernen die einzige Chance für junge Menschen in NRW, ihrem Studium nachzugehen. Wegen der Corona-Pandemie sollten sie vor allem von zu Hause aus Vorlesungen zuhören und Seminare besuchen, um so Kontakte und damit das Infektionsrisiko zu minimieren. In der Folge waren gerade Studienanfänger sehr stark auf sich und oft vor Herausforderungen gestellt. Auch deshalb war der Wunsch nach der Rückkehr zur Präsenzlehre groß.

In einer Mitteilung vom Freitag bekräftigt die Landesregierung zwar, es sei ihr erklärtes Ziel, so viel Lehre in Präsenz anzubieten, wie möglich und verantwortbar ist. Die Hochschulen erhalten nun aber mehr Freiräume: Je nach Infektionslage können sie den Anteil der Präsenzveranstaltungen reduzieren. Mindestens ein Viertel der Kurse innerhalb eines Studiengangs sollen sie aber weiter vor Ort anbieten.

Damit wird das Land der Situation gerecht, die an vielen NRW-Unis eingetreten ist. Veranstaltungen werden zunehmend als Hybrid-Formate angeboten. Die Studierenden können sich also aussuchen, ob sie vor Ort sind oder sich digital zuschalten. Für Letzteres entschieden sich immer mehr, berichten die Unis Dortmund und Duisburg-Essen, die Westfälische Hochschule sowie die FH Südwestfalen übereinstimmend – und das offenbar aus Sorge vor einer Ansteckung.

3G-Kontrollen an NRW-Unis funktionieren „besser als gedacht“

Auf dem Uni-Gelände gilt derzeit die 3G-Regel. Studierende müssen nachweisen, dass sie geimpft, genesen oder getestet sind. Kontrolliert wird mittels App, Scanner oder Vignetten auf dem Studierendenausweis meist bereits an den Eingangsbereichen der Gebäude. An der Ruhr-Universität Bochum überprüfen die Dozenten und Dozentinnen den Status ihrer Studierenden. „Das System funktioniert sogar besser als ursprünglich gedacht“, sagt Frank Wissing von der „Taskforce Lehre“.

Dass die Kontrollen so unkompliziert verliefen, liege auch daran, dass ein Großteil der Studierenden, die vor Ort an den Veranstaltungen teilnehmen, geimpft sei. Zwar liegen den Unis keine offiziellen Zahlen vor – der Impfstatus der Hochschulangehörigen darf aus Datenschutzgründen nicht erfasst werden – jedoch zeige die Praxis, dass nur in Einzelfällen Testnachweise vorgelegt werden. Die Uni Duisburg-Essen geht aufgrund der Kontrollen von einer 2G-Quote (geimpft, genesen) von 20:1 aus.

Corona-Pandemie: Immer mehr Studierende bleiben zu Hause

Doch angesichts der steigenden Corona-Zahlen fühlten sich auch viele geimpfte Studierende nicht mehr sicher, sagt Prost von der Dortmunder Uni. „Am Anfang des Semesters haben sich alle für unverwundbar gehalten“, so die Sprecherin. „Jetzt kommt es immer häufiger zu Impfdurchbrüchen. Die Sensibilität dafür ist gestiegen.“

Weniger Studierende in NRW

Die Zahl der Studierenden ist in NRW im Wintersemester 2021/22 mit 756.300 um 14.200 niedriger als ein Jahr zuvor. Auch die Zahl der Studienanfänger ging zurück (−9.300).

Hochschulen und Vertretungen der Studierenden sprechen nicht nur von einem möglichen „Corona-Effekt“, sondern verweisen auch auf geburtenschwächere Jahrgänge und einen angespannten Wohnungsmarkt.

So werde auch die Möglichkeit, auf dem Campus kostenlos einen PCR-Test machen zu lassen, immer öfter wahrgenommen. Zwischen 2000 und 3000 Tests pro Woche zählt die Uni Dortmund. Die Unsicherheit der Studierenden sei insgesamt groß, heißt es auch an der Ruhr-Uni Bochum. Auch bei der Frage, welcher aktuell der richtige Weg ist. „Es gibt Studierende, die auf keinen Fall zurück in die Online-Lehre wollen und solche, die darauf drängen, dass wir noch stärker in die Online-Lehre zurückwechseln“, sagt Wissing von der Bochumer Hochschule.

Rückkehr zur virtuellen Lehre als „letzter Schritt“

Noch können die Bochumer Studierenden dank Hybridlehre oft selbst entscheiden, ob sie vor Ort lernen wollen oder nicht. Doch die Uni in Bochum zieht aus der Corona-Lage bereits jetzt Konsequenzen: Sie wolle zwar grundsätzlich an Präsenzveranstaltungen festhalten, den Umfang ab Mitte Dezember aber deutlich reduzieren. „Wir müssen unser Campus-Leben weiter einschränken“, heißt es in einem offenen Brief. Das Präsenzangebot im Wintersemester galt vor allem Erstsemestern.

Eine Rückkehr zur rein virtuellen Lehre darf aus Sicht des „Freien Zusammenschluss von Student*innenschaften“ (FZS) nur der „letzte Schritt“ sein. Notfalls sollten die Hochschulen in NRW die „2G-Regel“ einführen, die in Baden-Württemberg bereits gilt.

Ruhr-Universität Bochum: Geteilte Meinungen unter Studierenden

Studierende der Ruhr-Universität Bochum haben ganz unterschiedliche Meinungen zum Thema Präsenzlehre. Während sich einige um ihre Gesundheit sorgen, wünschen sich andere mehr Veranstaltungen vor Ort:

Für Justin Götz (25) ist die Motivation die größte Herausforderung im online-Studium
Für Justin Götz (25) ist die Motivation die größte Herausforderung im online-Studium © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Ich hatte bisher kein einziges Modul in Präsenz“

„Ich bin im vierten Semester und hatte bisher kein einziges Modul in Präsenz. Ich bin froh, dass ich zwei, drei Leute noch aus Schulzeiten kenne. Als ich im April 2020 angefangen habe, war ich voll motiviert. Mittlerweile ist die Motivation die größte Herausforderung. Der geregelte Alltag fehlt am meisten. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das Unileben ist. Angesichts der steigenden Infektionszahlen ist es vernünftig, die Präsenzlehre jetzt wieder einzuschränken. Aber im Sommer hätte die Uni früher reagieren müssen.“

Justin Gütz (25) studiert Management and Economics im vierten Semester

Biologie-Studentin Johanna Ahrens (21) hat zweimal in der Woche Präsenzveranstaltungen im Labor.
Biologie-Studentin Johanna Ahrens (21) hat zweimal in der Woche Präsenzveranstaltungen im Labor. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Lerngruppen über Zoom sind nichts für mich“

„Mir fehlt die Motivation, wenn ich zu Hause vor dem Computer sitze. Ich habe erst Bioingenieurwesen in Dortmund studiert, musste das Studium aufgrund der Pandemie aber leider abbrechen. Lerngruppen über Zoom sind nichts für mich. Derzeit habe ich nur montags und freitags Präsenzveranstaltungen im Labor. Alle halten Abstand und tragen auch während des Unterrichts eine Maske. Außerdem haben wir im Kurs beschlossen, dass alle vorher einen Test machen. Ich fühle mich dadurch sicher. Bis vor Kurzem hatte ich noch eine Vorlesung vor Ort, aber die findet jetzt online statt. 100 Leute saßen zu Beginn des Semesters im Hörsaal. Zum Schluss waren es nur noch vier.“

Johanna Ahrens (21) studiert Biologie im ersten Semester

Denise Aktürk (20) hat Sorge, sich während des Seminars mit dem Coronavirus zu infizieren.
Denise Aktürk (20) hat Sorge, sich während des Seminars mit dem Coronavirus zu infizieren. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Ich bin vollständig geimpft und habe dennoch Angst“

„Ich bin vollständig geimpft und habe dennoch Angst. Ich habe derzeit drei Veranstaltungen an der Uni und fünf online. Leider gibt es bei uns keine hybriden Kurse, sodass ich freiwillig zu Hause bleiben könnte. Unser neuer Raum ist viel kleiner. Es ist dementsprechend eng und nicht alle Kursteilnehmer sind geimpft.“

Denise Aktürk (20) studiert Geschichte und Germanistik im ersten Semester

Lisa Kaluza (18) vermisst den Kontakt zu Kommilitoninnen und Kommilitonen.
Lisa Kaluza (18) vermisst den Kontakt zu Kommilitoninnen und Kommilitonen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Uns fehlen die Kontakte“

„Ich finde es ein bisschen schade, dass Unterschiede gemacht werden zwischen Schulen und Universitäten. Wir machen auch einen Abschluss! Mein Kurs fand heute zum letzten Mal vor Ort statt. Ab nächster Woche ist wieder alles online. Uns fehlen die Kontakte. Man hat keinen geregelten Tagesablauf. Ich habe mich sicher gefühlt, bei uns im Kurs sind alle geimpft. Solange Präsenzunterricht nicht verboten ist, hätte ich das Angebot gerne noch genutzt.“

Lisa Kaluza (18) studiert Psychologie im ersten Semester

Gianluca Giera (21) hat im ersten Semester zwei Präsenzveranstaltungen.
Gianluca Giera (21) hat im ersten Semester zwei Präsenzveranstaltungen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

„Große Sorge, mich anzustecken, habe ich nicht“

„Ich habe zwei Präsenzkurse. Große Sorge, mich während der Veranstaltungen anzustecken, habe ich nicht. Es ist schwierig, sich zu Hause zu motivieren. Während der Online-Kurse kann man nur schwer Leute kennenlernen. Es wäre schön, wenn mehr Veranstaltungen vor Ort stattfinden würden. Aber bei der aktuellen Lage kann man da wohl wenig machen.“

Gianluca Giera (21) studiert Management and Economics im ersten Semester