Essen/Düsseldorf/Meschede. Essen vor dem Müll retten und gleichzeitig hungrige Bäuche füllen: In Lockdown-Zeiten standen Rettende vor Hürden. So haben sie sie überwunden.

Ohne Essen an Ausgabenständen oder in übergroßen öffentlichen Kühlschränken bliebe bei vielen Menschen die Küche kalt und der Magen leer. Und das noch gute Essen: würde in die Tonne wandern.

Deshalb setzen sich ehrenamtliche Vereine wie „Essen packt an!“, Foodsharing und die Tafeln wie in Düsseldorf täglich dafür ein, übrig gebliebene Lebensmittel aus Supermärkten, Bäckereien und Restaurants zu retten und sie zu verteilen. In Corona-Zeiten keine einfache Aufgabe.

Betty van Loon unterstützt die Bürgerinitiative „Essen packt an!“ ehrenamtlich und beobachtet: „Die Obdachlosenhilfe während Corona war eine Achterbahnfahrt.“ Die Initiative setzt sich mit dem Projekt Suppenfahrrad dafür ein, dass Bedürftige zweimal in der Woche eine warme Mahlzeit bekommen, die in der Essener Innenstadt ausgegeben wird.

Obdachlose mit Essen versorgen

„Als langjährig helfende Gastrobetriebe schließen mussten, wussten wir zuerst nicht, wie die Menschen dienstags und samstags weiterhin ein warmes Essen bekommen können“, sagt die 53-Jährige. Denn das sei in diesen Zeiten besonders wichtig.

„Während der Lockdowns waren alle Menschen zu Hause, die Stadt war wie ausgestorben. Die Obdachlosen, deren Zuhause die Straße ist, konnten nirgendwo hin. Der Kaffeebecher, wo sich normalerweise ein paar Euro sammeln, blieb leer.“ Deshalb war dem Team von „Essen packt an!“ klar: Sie müssen die Menschen jetzt erst recht mit Essen versorgen.

Selbst aktiv werden

• Auf foodsharing.de können Interessierte Mitglied eines Vereins in der Nähe werden und Lebensmittel vor der Tonne retten.

• Soziale Projekte im Ruhrgebiet unterstützen können Engagierte unter essenpacktan.ruhr.de.

• Wer ehrenamtlich bei der Tafel in der eigenen Stadt aushelfen möchte, findet alles unter tafel-nordrhein-westfalen.de.

Betty van Loon nutzte ihr persönliches Netzwerk: Sie gewann Abholerinnen und Abholer für Lebensmittelspenden und nahm Kontakt zu verschiedenen Restaurants auf, die helfen wollten. Zwölf konnte sie insgesamt gewinnen. Dabei halfen zahlreiche Mitdenker, auch über die Sozialen Medien. „Auch eine Konzernkantine spendete zu viel vorbereitetes Essen.

Sogar eingefrorene Mahlzeiten aus einer Schulkantine wurden uns angeboten“, erinnert sich Betty van Loon. Eine wichtige Stütze waren für sie Lebensmittelretter von Foodsharing. „Wir sind mit vielen außergewöhnlichen Lösungen wackelig ans Ziel gekommen. Es ist keine einzige Ausgabe ausgefallen.“

Gegenseitige Unterstützung

Im Gegenteil: Die Unterstützung sei so groß gewesen, sagt die Ehrenamtliche, dass während der ersten Lockdown-Phase mit dem Sonntag ein zusätzlicher Ausgabetag geschaffen werden konnte. Gab es hingegen zu viele Spenden, wurden andere soziale Einrichtungen in der Stadt mitbedacht. „Ich hatte den Eindruck, dass wir Helfer untereinander mehr zusammengerückt und vernetzter geworden sind.“

Betty van Loon, Ehrenamtlerin: „Die Obdachlosenhilfe während Corona war eine Achterbahnfahrt.“
Betty van Loon, Ehrenamtlerin: „Die Obdachlosenhilfe während Corona war eine Achterbahnfahrt.“ © Foto: Privat

Gerade in dieser engeren Zusammenarbeit sieht Betty van Loon künftige Chancen. „Lebensmittelrettung und Obdachlosenhilfe ergänzen sich gut. Deshalb haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, wie ein noch besserer Austausch stattfinden kann.“

Foodsharerin: „Für mich ist eine Routine weggebrochen“

Julia Gladisch (29) ist eine solche Lebensmittelretterin. Seit Anfang 2019 ist sie Mitglied bei Foodsharing in Essen und rettet regelmäßig krumme Äpfel, Gemüse mit Dellen oder Konserven, die zwar das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, aber noch genießbar sind. Denn ein Tag über dem Mindesthaltbarkeitsdatum und ab in die Tonne – so ist es Vorschrift für Supermärkte. So landen laut einer Studie des WWF weltweit jährlich etwa 2,5 Milliarden Tonnen Lebensmittel im Müll.

Wenn Julia Gladisch mit einem vollgepacktem Kofferraum vom Retten zurückkommt, warten schon Nachbarn und Freundinnen auf sie. Der Rest wandert in die Fairteiler, also in große öffentliche Kühlschränke, die darauf warten, von den Retterinnen und Rettern befüllt zu werden. „Der Bedarf ist hier in Essen-Holsterhausen hoch“, sagt die Retterin, die ihre Ware häufig ins Fachgeschäft für Stadtwandel bringt. Vor der gemeinnützigen Einrichtung würden sich in kürzester Zeit dankbare Abnehmerinnen und Abnehmer finden.

Zu Beginn der Coronapandemie hat Julia Gladisch ihre Fahrten allerdings eingestellt, zu groß sei die Angst vor einer Ansteckung gewesen. „Für mich ist eine Routine weggebrochen.“ Deshalb hat sie fest vor, die Touren bald wieder aufzunehmen.

Aufklärung fehlt

In Meschede ist das Foodsharing erst in Corona-Zeiten angelaufen. „Ein schwieriger Start“, sagt Mitbegründer Uwe Ledermann. Denn im ländlichen Raum sei es ohnehin schwierig, Konzepte dieser Art zu etablieren. „Das Sauerland ist im Gegensatz zum Ruhrpott kein Ballungsgebiet. Es braucht mehr Zeit, das Thema an die Menschen zu tragen, die Uhren ticken hier anders“, sagt der 59-Jährige.

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Notwendige Aufklärungsarbeit konnte das Team in Corona-Zeiten jedoch nicht leisten. Aktionen in der Stadt seien weggefallen und auch die zwölf Retterinnen und Retter konnten sich wegen der Infektionsgefahr eine Zeit lang nicht treffen. „Am Anfang haben wir uns mit einem Auto in die Innenstadt gestellt und die Lebensmittel aus dem Kofferraum verteilt“, erinnert sich Uwe Ledermann.

Mittlerweile gebe es an einigen Standorten die sogenannten Fairteiler. Auch wenn das Angebot am Anfang nur auf wenig Interesse gestoßen ist, merkt Uwe Ledermann jetzt, dass er und sein Team von vielen Menschen gebraucht werden. „Vor allem zu der Zeit, als die Tafel im Lockdown schließen musste, sind viele Menschen zu uns gekommen, und wir haben erlebt, wie hoch die Bedürftigkeit ist“, sagt der Essensretter. „Deshalb werden wir es weiterhin probieren. Vor allem, wenn wir das Thema jetzt wieder durch Aktionen an die Leute bringen können, bin ich optimistisch, dass das gelingen wird.“

Akute und unbürokratische Hilfe

Auch die Düsseldorfer Tafel musste zu Beginn der Pandemie für drei Wochen schließen. „Das war erstmal ein großer Schock“, blickt Eva Fischer, Sprecherin der Düsseldorfer Tafel, zurück. „Wir alle waren frustriert, weil wir natürlich wissen, welche Verantwortung wir für die bedürftigen Menschen haben, die dann vor verschlossenen Türen standen.“ Bedürftig sind in Düsseldorf einige.

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Die Tafel selbst gibt kein Essen aus, sondern beliefert etwa verschiedene Ortstafeln, Tagesstätten für Obdachlose, die Drogenhilfe, Frauenhäuser. In dieser Zeit haben die Ehrenamtlichen hinter den verschlossenen Türen alles in Bewegung gesetzt, um mit geeigneten Hygienekonzepten die Einrichtungen wieder öffnen zu können. „Zusätzlich mussten wir den Bedürftigen akut und unbürokratisch helfen“, sagt Eva Fischer. „Deshalb haben wir Lebensmitteltüten und Supermarktgutscheine in der Innenstadt verteilt.“

Auch junge Menschen holen Essen ab

Mit der Öffnung nach drei Wochen hätten sich sowohl die Gruppe der Ehrenamtlichen hinter der Essensausgabe, als auch die Gruppe an Menschen verändert, die sich nicht täglich eine warme Mahlzeit leisten können. Denn aus Angst vor Ansteckungen seien die überwiegend ehrenamtlichen Senioren der Tafel fern geblieben. „Dafür sind aber viele junge Helfer hinzugekommen, die plötzlich im Homeoffice, in Kurzarbeit oder im digitalen Semester steckten und ihren Nebenjob verloren hatten“, sagt Eva Fischer.

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Durch das Wegbrechen der Jobs hätten allerdings auch jüngere Menschen an den Ausgaben Essen abgeholt. So langsam habe sich die Situation wieder normalisiert. Für die Zukunft wünschen sich die ehrenamtlichen Vereine aber, dass der Helfergeist vieler Menschen auch nach der Pandemie noch erhalten bleibt