Bochum. Mama Alleinverdienerin, Papa Hausmann: In nur zwei von 100 Familien ist das so aufgeteilt. Erinnerungen an eine ungewöhnlich normale Kindheit.
Es gibt so Fragen, die bekommen vorwiegend Frauen gestellt. „Wo ist das Kind jetzt?“ ist so eine. Als ich 2018 nach der Geburt meines Sohnes und zehn Monaten Elternzeit wieder den ersten Tag in der Redaktion war, bekam ich sie sicherlich ein halbes Dutzend Mal gestellt. „Beim Vater“, war die Antwort. Niemand, der mir die Frage stellte, meinte das böse. Aber habe ich schon mal miterlebt, dass junge Väter das nach ihrer (meist zweimonatigen) Elternzeit gefragt wurden? Nein. Die Frage, sie war ein Mosaikstein im Bild von Familie, das auch heute noch überwiegt. Die Mutter geht arbeiten? Ja, Hilfe! Wer kümmert sich denn dann ums Kind?
Annalena Baerbock dürfte die Frage auch nur zu gut kennen. Seit 2013 ist sie Abgeordnete im Deutschen Bundestag, seit 2018 Bundesvorsitzende der Grünen. Sie will Kanzlerin werden – und hat zwei Kinder im Kita- und Grundschulalter. Was ist mit denen? In einem Interview stellte Baerbock unlängst klar, dass sich ihr Mann im Falle ihres Wahlsiegs um die Betreuung der gemeinsamen Töchter kümmern werde. Ein Mann übernimmt in einer Familie die Erziehungs- und Haushaltsarbeit, während die Frau Karriere macht. Im Deutschland anno 2021 ist das noch immer eine Nachricht.
Papa Hausmann, Mama Alleinverdienerin – für mich war das normal
Was hätte wohl mein kindliches Ich dazu gesagt? Vermutlich: Ja, und!? Auch ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der der Vater zu Hause blieb und die Mutter Vollzeit arbeitete. Papa Hausmann, Mama Alleinverdienerin. In den 1980er-Jahren war das nicht weniger ungewöhnlich als heute. Für mich aber war es: normal.
Ich bin 1982 geboren. Meine Mutter war zu diesem Zeitpunkt gerade in den letzten Zügen ihres Germanistik- und Anglistik-Studiums, mitten im Examen. Mein Vater arbeitete als Lagerist bei einem Stahlhandel. Für meine Eltern stand fest: Eine(r) von beiden bleibt zu Hause beim Kind. Der eine, das war mein Vater, die Entscheidung eine pragmatische. Meine Mutter hatte die bessere Ausbildung und die besseren Verdienstaussichten.
Mutter arbeitet Vollzeit, Vater Teilzeit – nur in zwei von 100 Familien
Heute sind die Modelle aufgrund vieler Faktoren vielfältiger, die klassische Aufteilung der bürgerlichen Kleinfamilie – Vati verdient das Geld, Mutti sorgt für Heim, Kinder und Vati – die Ausnahme. Die Mehrheit der Mütter mit minderjährigen Kindern ist berufstätig, immer mehr Väter nehmen Elternzeit. Aber auch heute noch sind es vor allem Frauen, die für die Kinderbetreuung im Job kürzertreten, nicht selten aus finanziellen Gründen.
Im Jahr 2019 waren 67 Prozent aller Mütter mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren berufstätig. Bei den Vätern waren es 92 Prozent. Bei Kindern unter drei Jahren sind nur 37 Prozent der Mütter berufstätig – aber 90 Prozent der Väter. Dass die Mutter in Vollzeit erwerbstätig ist und der Vater gar nicht, kam auch 2019 nur in etwa zwei von 100 Familien vor. Auch der Anteil der Familien, in denen die Mutter Vollzeit und der Mann Teilzeit arbeitet, liegt bei nur etwa zwei Prozent. Das Statistische Bundesamt fasst die Zahlen so zusammen: „Bei den Vätern ist die Beteiligung am Erwerbsleben weitgehend unabhängig vom Heranwachsen der Kinder.“
Mein Vater machte seinen Job, und er machte ihn gut
Mein Heranwachsen in den 80ern wurde maßgeblich von meinem Vater geprägt: Während meine Mutter arbeiten ging, schmiss mein Vater den Haushalt und kaufte ein, wusch die Wäsche und kochte das Essen. Nähte mir Karnevalskostüme und schminkte mich an Rosenmontag zum Piraten. Fragte mich Lateinvokabeln ab, besorgte neue Schulhefte und das Geschenk für den nächsten Kindergeburtstag.
Papa wusste, wann der nächste Arzt- oder Physiotherapietermin anstand, wann die Beiträge zur Musikschule überwiesen werden mussten. „Mental Load“ nennt man die unsichtbare gedankliche Arbeit, die im Alltag einer Familie zu bewältigen ist, inzwischen gemeinhin. Ich bezweifle, dass mein Vater einen Begriff dafür hatte. Er machte seinen Job, und er machte ihn gut.
Vater als Hausmann – „Ja, kann der das denn überhaupt?“
Aber er war auch ein Exot. Mittags vor der Kita oder beim Elternabend in der Schule: weitgehend allein unter Frauen. Wenn er sagte, dass er Hausmann ist, gab es irritiertes Schweigen und ungläubige Blicke. „Ich hätte auch im Bast-Röckchen durch die Stadt laufen können und wäre nicht schräger angeguckt worden“, sagt er heute. Und auch meine Mutter erinnert sich an so manche skeptische Reaktion: „Kann der das denn überhaupt? Kinder versorgen und den ganzen Haushalt…?!“
Ja, er konnte! Mama ging morgens früh aus dem Haus und kam gegen Abend zurück, dann aßen wir gemeinsam. 1992 kam mein Bruder Fritz auf die Welt, ein Nachzügler, hochwillkommen. Die Familienkonstellation blieb, wie sie sich zuvor schon zehn Jahre lang bewährt hatte. Meine Mutter ging nach sechs Monaten wieder Vollzeit als Pressereferentin arbeiten, mein Vater fing zu Hause gewissermaßen noch mal von vorne an: Kleinkind versorgen, Kita-Alltag, Grundschulalltag, mit allem Drum und Dran.
Studie: Jeder fünfte Deutsche findet Haus- und Erziehungsarbeit „unmännlich“
Im Winter 2018/2019 hat das Marktforschungsinstitut Ipsos in einer internationalen Studie die Einstellung zur traditionellen Rollenverteilung in Familien untersucht. Die Teilnehmer sollten unter anderem folgende Aussage bewerten: „Ein Mann, der zu Hause bleibt und sich um die Kinder kümmert, ist nicht wirklich ein Mann.“ 18 Prozent der befragten Deutschen stimmten zu – mit 22 Prozent mehr als jeder fünfte Mann.
Als mein Bruder 2012 Abitur machte, riefen sie in der letzten Unterrichtswoche Mottotage aus, an denen die Schülerinnen und Schüler verkleidet kamen. „Helden der Kindheit“ war eines dieser Mottos. Auf dem Gruppenbild sieht man Harry Potter und Pu-Bär, Hein Blöd und Barbie – und meinen Bruder, in schwarzer Jeans, schwarzem T-Shirt, schwarzer Mehrzweck-Weste und mit aufgemaltem Schnurrbart: unverkennbar, ganz der Papa! Held und Hausmann.
Mehr Väter beziehen Elterngeld – aber meist nur kurz
Rund 462.000 Männer haben im Jahr 2020 Elterngeld bezogen, demgegenüber standen 1,4 Millionen Frauen, die Elterngeld beantragten. Der Anteil der Männer an den Elterngeldbeziehern betrug damit knapp ein Viertel. Im Jahr 2015 lag er nach Angaben des Statistischen Bundesamtes noch bei lediglich 20,9 Prozent.
Immer mehr Männer nehmen also die Lohnersatzleistung nach der Geburt in Anspruch – die meisten von ihnen nehmen aber nur eine kurze Auszeit aus dem Beruf: Während Frauen der Statistik zufolge im Schnitt 14,5 Monate Elterngeld bezogen, waren es bei den Männern 3,7 Monate.
Das Elterngeld wird abhängig vom jeweiligen Nettoverdienst des Empfängers ausgezahlt und beträgt mindestens 300, maximal 1800 Euro im Monat. Frauen erhielten im vergangenen Jahr im Schnitt pro Monat 752 Euro, Männer 1258 Euro.