Berlin. Laut Studien hadern viele Väter mit ihren Aufgaben zwischen Beruf und Kinderbetreuung. Klassisches Familienmodell hält sich hartnäckig.
Es ist so köstlich, dass man es immer wieder erzählen könnte, die Situation, als Tillmann Bendikowski (46) mit seinem damals sechs Wochen alten Sohn in Hamburg einen Babymassagekurs betritt. Bendikowski, ein renommierter Historiker, ist – Wunder, oh, Wunder – der einzige Mann zwischen einem Dutzend Müttern.
Doch seine Gelassenheit verliert er nicht während der Beckenbodenübungen zu Beginn des Kurses, sondern erst dann, als sein Baby weint und die Kursleiterin versucht, ihm den brüllenden Säugling aus dem Arm zu nehmen. „Das Kind braucht jetzt eine Mutter“, sagt sie zu Bendikowski und meint damit sich selbst. Bendikowski ruft reflexartig zurück: „Ich bin die Mutter.“
Nur 35 Prozent der Väter nehmen Elterngeld in Anspruch
Sicher, eine Ausnahmesituation. In jeder Hinsicht, weil tatsächlich auch nur 35 Prozent der Väter in Deutschland laut der neuesten statistischen Erhebung Elterngeld in Anspruch nehmen. „Ein Vater ist in einer Krabbelgruppe unter lauter Müttern ein Exot“, kann der erste kommunale Männerbeauftragte Deutschlands, Matthias Becker in Nürnberg, bestätigen. Väter-Krabbelgruppen gebe es fast keine.
Und da liegt für Becker und viele Experten auch der Kern des Problems: Der alte Rollenkonflikt und die Deutungshoheit über den modernen Mann. Ob verheiratet, Single oder in einer Beziehung – allerorts hadert man(n) mit seinem Selbstverständnis und seinen Aufgaben.
Rückkehr ins traditionelle Rollenbild
„Manche würden gerne ganz aus ihrer Rolle als Haupternährer ausbrechen und sich mehr um Haushalt und Kinder kümmern. Sie wissen nur nicht, wie sie das anstellen sollen“, erzählt der Diplom-Sozialpädagoge Becker. Zehn bis 15 Beratungsgespräche führt der „Ansprechpartner für Männer“ – so Beckers selbst gewählter Titel – pro Woche. Das häufige Anliegen der Ratsuchenden: Mehr Zeit für ihre Kinder zu haben, was oft nicht einfach umzusetzen ist.
Sogar vor einem Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit sieht Carsten Wippermann viele Männer. Nur wenige sähen sich heute noch – wie einst ihre Väter – als „Oberhaupt der Familie“ schreibt er in einer Studie für das Bundesfamilienministerium.
Zumindest zu Beginn ihrer Beziehung träumten sie von „gleichgestellter Partnerschaft und Elternschaft“. Das mit der gerechten Arbeitsverteilung ändert sich nach Wippermanns Untersuchung aber schlagartig beim ersten Kind oder dem vielversprechenden Karrieresprung des Mannes. „Diese Zäsuren führen dazu, dass die gleichgestellte Vision schlagartig in ein traditionelles Rollenmodell kippt.“
Elternzeit bei Vätern wirkt sich nicht auf das Gehalt aus
Die Gründe dafür dürften nach Wippermann keineswegs nur bei den Männern gesucht werden, die in späteren Lebensphasen oft enttäuscht feststellen, dass sie von ihren Kindern „kaum etwas gehabt hätten“. Verstärkt werde das klassische Männer-Rollenbild nämlich auch von manchen jungen Frauen: Viele von ihnen suchten – wie einst schon ihre Mütter – einen beruflich erfolgreichen Mann „mit ausgeprägtem Beschützerinstinkt“, der genug Geld verdient, um eine Familie zu ernähren.
Und die vorherrschenden Unternehmenskultur dränge viele Männer in diese Rolle zurück: „Vor allem Männer müssen nach wie vor für ihren Arbeitgeber – in weit höherem Maße als noch vor zwei, drei Jahrzehnten – flexibel, mobil und jederzeit verfügbar sein.“
Dabei schließt die Karriere das Dasein als Hausmann nicht aus, wie eine Studie des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin (WBZ) belegt. Das Ergebnis: Die Elternzeit wirkt sich nicht negativ auf Löhne aus – unabhängig davon, wie lange Väter zu Hause geblieben sind. Doch es braucht offenbar mehr als Zahlenbelege, um mit alten Rollenmodellen zu brechen.
Männer gehen davon aus, das Frauen die Kinderbetreuung übernehmen
Autor und Regisseur Steffen Weinert, der als Selbstständiger glücklicherweise viel Zeit zu Hause verbringen kann, hat zu diesem Thema gerade den Roman „Die Netten schlafen allein“ (Rowohlt) veröffentlicht. Darin versucht der Kindergartenerzieher Christoph Herrlich mithilfe des elfjährigen Nachbarsjungen eine Freundin zu finden.
„Meine Hauptfigur Christoph fühlt sich in seinem Selbstverständnis sehr wohl – auch mit der Tatsache, dass er einen klassischen Frauenberuf ausübt“, sagt Weinert, der mit seiner Familie in Berlin lebt. „Es ist heutzutage selbstverständlich, denke ich, dass man sich die Erziehung der Kinder teilt“, findet Weinert. Doch was mittlerweile im gesellschaftlichen Selbstverständnis verankert sein mag, kann Experte Carsten Wippermann in seiner Studie für das Bundesfamilienministerium dennoch widerlegen.
Traditionelle Rollenbilder tief verankert
Nach seinen Feststellungen sind die traditionellen Rollenbilder gerade auch bei den Jungen noch tief verankert. Zwar befürworten viele die Gleichberechtigung. „Doch zugleich gehen sie davon aus, dass ihre künftige Lebenspartnerin die Kinderbetreuung übernimmt, irgendwie zusätzlich zur Erwerbsarbeit“, schreibt der Soziologe. Am Ende bleibt jeder Lebensentwurf wohl das Ergebnis langer, zäher Verhandlungen, mit dem Partner, den Kindern, dem Arbeitgeber und sich selbst.
Tillmann Bendikowski, der für seine drei Söhne jahrelang in Elternzeit ging, hat es nach seinem leicht traumatisierenden Besuch im Babymassagekurs übrigens vorgezogen, seine Ausnahmerolle im Privaten zu leben, und ist mit seinem Sohn nach Hause gegangen. Solche Kurse haben Vater und Sohn, wie er es in seinem späteren Buch „Allein unter Müttern“ schreibt, nicht mehr besucht.