Essen. Die Essener Firma „Seads“ lässt Schuhe aus recyceltem Plastik produzieren. Die Idee kam der Gründerin bei einem schockierenden Strandspaziergang.
Agnes Wagter lebt auf großem Fuß, wörtlich gesprochen. Die Niederländerin hat Schuhgröße 43 und wollte ursprünglich immer eine Damenschuhlinie für Frauen entwerfen, denen es so geht wie ihr. „Dann bin ich aber an diesem Morgen vor zwei Jahren am Nordsee-Strand spazieren gegangen und hatte diese Blitzidee“, erinnert sich die 58-Jährige.
Die Nacht zuvor war stürmisch gewesen, die aufgepeitschte See hatte Berge von Plastikmüll an den Strand gespült. „Da muss man doch etwas draus machen können“, habe sie damals gedacht.
Mit dem Zug über die Seidenstraße
Im März hat sie gemeinsam mit ihren Essener Partnern Holger Ambroselli und Michael Curth die ersten drei Schuhmodelle auf den Markt gebracht, die fast vollständig aus recyceltem Plastik bestehen. Die erste Lieferung kam mit dem Zug über die Seidenstraße – „das ist zum einen umweltschonender als per Schiff oder Flugzeug und irgendwie fand ich das romantisch“, sagt Wagter und lacht. „Seads“ haben sie ihre Dachmarke genannt, unter der das Trio gerne weitere Produkte entwickeln will. Der Weg von der Idee bis zur Umsetzung war nicht nur durch die Corona-Krise erschwert. „Ich bin ein ungeduldiger Mensch. Kurz nach der Idee habe ich mich hingesetzt und direkt recherchiert, wie sich ein solcher Schuh realisieren ließe“, erinnert sich Wagter, die zuvor freiberuflich im Bereich Marketing und Kommunikation sowie im Journalismus gearbeitet hatte.
Ambroselli, mit dem sie liiert ist, unterstützt Wagner von Anfang an und holt als Investor schnell seinen Freund Michael Curth mit ins Boot. Der hat in seinem früheren Leben in leitenden Funktionen für Tengelmann, Klöckner und McKinsey gearbeitet, ehe er sich vor über zehn Jahren zu einem radikalen Schritt entschloss. „Ich habe damals viel Geld verdient aber meine Zeit war weg“, erinnert sich Curth. Eine Reise nach Peru und der dramatische Zustand des Regenwalds hätten bei ihm einen Hebel umgelegt. Curth investierte in Immobilien und beschloss, sich fortan für nachhaltige Projekte einzusetzen und seine Arbeitszeit radikal zu reduzieren. So gründete er eine Stiftung zur Rettung des Regenwalds im Amazonas-Gebiet, auf die er in Essen mit dem bekannten „Dschungelhaus“ im Südviertel aufmerksam macht. „Als mir die beiden von der Idee erzählt haben, war ich sofort überzeugt“, sagt Curth.
Garn besteht aus Meeresplastik und Haushalts-Verpackungsmüll
Ambroselli und Wagter lieben den spanischen Stil und gehen in Südeuropa auf die Suche nach Schuhdesignern, die sie für ihr Projekt begeistern können. „Wir hatten schnell die Form von Espandrilles im Kopf, die man ja auch direkt mit einem Spaziergang am Meer verbindet“, sagt Agnes Wagter. Ein begeisterter Designer habe sich schnell gefunden, schwieriger war es, einen Produzenten für das Material aufzutreiben. Im Internet wird Wagter auf die in Spanien beheimatete „Seaqual Initiative“ aufmerksam.
Das Unternehmen produziert Garn aus recyceltem Plastik. Die Rohstoffe für das Garn bestehen zu zehn Prozent aus upgecyceltem Meereskunststoff, der nach eigenen Angaben „aus unseren Ozeanen, Stränden und Flüssen wiedergewonnen wird“. Die restlichen 90 Prozent kommen aus recyceltem PET-Verpackungsmüll aus Haushalten. „Im Schnitt bestehen jedes Paar unsere Schuhe aus etwa acht recyclten Plastikflaschen“, erklärt Agnes Wagter.
Teil des Profits fließt in Meeresschutz
Designer und Material waren gefunden, fehlte nur noch ein Produzent. „Die Suche wurde durch die Corona-Krise enorm erschwert, wir konnten uns die Fabriken ja nicht einfach anschauen“, bedauert die umtriebige Unternehmerin. In China wird das Trio schließlich fündig – bei einem Hersteller, der auch für Luxusmarken wie Gucci oder Michael Kors produziert und über alle Zertifikate verfügt, die eine nachhaltige und humane Produktion belegen. Damit waren nicht alle Schwierigkeiten aus der Welt. „Der Faden ist anfangs immer gerissen. Zum Glück hat der Garnproduzent weiterhelfen können, die Nähmaschinen müssen für das Material einfach anders eingestellt werden. Aber dieses Auf und Ab bei dem Projekt war mitunter schon brutal“, sagt Agnes Wagter.
Wer den Meeresschutz laufend unterstützen will, muss für das Paar Espandrilles allerdings etwas tiefer in die Tasche greifen: 139 Euro kostet das einfache Modell, der Schnürer ist für 149 Euro zu haben. Das Start-up begründet das mit den vergleichsweise hohen Produktionskosten – und der Tatsache, dass zehn Prozent des Profits an Organisationen gespendet, die dem Plastikmüll den Kampf angesagt haben.
Wenn die Schuhe getragen sind, nimmt „Seads“ sie zurück und recycelet sie erneut komplett: „Wir haben ein zirkuläres Modell geschaffen – landeten die Schuhe einfach im Müll, wäre die ganze Mühe schließlich nicht notwendig“, erklärt Agnes Wagter. Als Markenzeichen hat sich das Trio eine Sohle aus natürlichem Gummi überlegt – in einer Farbe, die für das steht, was die Drei gern retten würden: „Living Coral“.
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