Wie wichtig sind Karikaturen heute? Ein Gespräch - und ein paar der besten Zeichnungen Karikaturisten Heiko Sakurai und Jürgen Tomicek.
Sie sind so wichtig wie ein politischer Kommentar – aber ungleich knackiger und einprägsamer: Politische Karikaturen gehören heute unverzichtbar zur Meinungsbildung in einer Demokratie. Sie sind ein Stachel im Fleisch der Mächtigen – und helfen dabei, viele Themen mit dem gebührenden Abstand zu betrachten. Dass pointierte Zeichnungen für ihre Schöpfer manchmal sogar lebensgefährlich werden können, hat bedauerlicherweise nicht zuletzt 2015 der Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo wegen der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen gezeigt. Georg Howahl sprach mit dem vielfach ausgezeichneten Karikaturisten Heiko Sakurai (49) über seinen Job und seinen Blick auf den Politikbetrieb.
Karikaturist zu sein, heißt ja, dass man sich ganz ernsthaft mit den Themen auseinandersetzen muss, um dann einen humorvollen Abstand dazu einzunehmen. Wie gelingt so etwas im Tagesgeschäft?
Sakurai Ich schaue morgens in die politischen Teile der überregionalen Zeitungen, die ich abonniert habe, dann in die regionalen – und anschließend auf die einschlägigen Nachrichtenportale im Netz, Spiegel, ARD und wo auch immer aktuelle Informationen kommen. Ich schaue, welche Nachrichten mit Priorität nach oben kommen. Und natürlich entwickelt man ein Gespür dafür, welches die Themen des Tages werden. Dann schaue ich noch etwas Phoenix und höre Deutschlandfunk… Und um 11 Uhr fange ich mit der ersten richtigen Skizze des Tages an…
Im Nachrichtengeschäft ist der Aktualitätsdruck durchs Internet in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Eigentlich finde ich, dass das Internet in dieser Hinsicht nicht noch einen zusätzlichen Druck erzeugt hat. Zum einen, weil ich auch vorher schon immer wusste, dass die Karikatur, die ich zeichne, am nächsten Morgen um acht Uhr auf dem Frühstückstisch immer noch Bestand haben muss. Sie sollte halt nicht um 20 Uhr schon von der Tagesschau widerlegt werden oder am nächsten Morgen um 7.30 Uhr im Radio. Also so gesehen kann mir das relativ egal sein. Und das Internet ist zwar schnell, aber auch nicht unbedingt schneller als zum Beispiel eine Radiosendung.
Wie schafft man es, trotzdem nicht der Aktualität hinterherzulaufen, wenn zwischen der Zeichnung der Karikatur und der Veröffentlichung eine ganze Nacht liegt?
Wenn es bestimmte Themen gibt, die erst im Tagesverlauf kommen, muss ich überlegen, ob ich die noch berücksichtige. Also wenn es jetzt gerade um die Ministerpräsidenten-Konferenzen geht, wo neue Corona-Maßnahmen beschlossen werden, dann ist das sehr unsicher. Da kann man aber am Tag zuvor auf den Termin hin schon etwas produzieren.
Wie viele Karikaturen schaffen Sie am Tag?
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Meist biete ich den Zeitungen drei Skizzen an. Und wenn ich die habe, dann habe ich natürlich meinen Favoriten, von dem ich weiß: Den will ich auf jeden Fall im Repertoire haben. Und danach richte ich mich danach, welchen der Entwürfe die Zeitungen von mir wünschen…
Zeichnen Sie mittlerweile eigentlich digital?
Die Skizzen gibt es immer noch auf Papier, die Reinzeichnungen und die Kolorierung werden dann digital angefertigt. Es war schon eine Umstellung, um die ich mich auch erst gedrückt habe. Aber jetzt, wo ich es mache, ist es eine Erleichterung.
Ein Karikaturist schöpft ja auch aus einem immer wiederkehrenden Personal, das er zeichnet. Ist es in dieser Hinsicht bedauerlich für Sie, dass Donald Trump abgewählt wurde?
Das ist natürlich zeichnerisch ein Verlust. Andererseits ist man so froh, dass er weg ist, dass ich auch gerne darauf verzichte. Joe Biden habe ich auch schon ein paar Mal gezeichnet. Aber wenn Trump noch da wäre, hätte ich wahrscheinlich das Thema USA doppelt so häufig zeichnen können, weil halt von ihm immer was kam. Jo Biden ist ja eher damit beschäftigt, alles zu reparieren, was sein Vorgänger kaputt gemacht hat. Er ist von der Persönlichkeit her nicht ganz so gut geeignet für Karikaturen wie Trump, aber den Preis muss man zahlen.
Schwieriger wird’s vermutlich bei Angela Merkel, die ja mit der nächsten Bundestagswahl verschwinden wird und der sie mehrere Karikaturenbände gewidmet haben…
Bei Merkel ist das so. Ich glaube, ich werde sie ziemlich vermissen, wenn sie bald weg sein wird. Schon rein zeichnerisch, vor allen Dingen, wenn man dann ganze 16 Jahre lang die eine Kanzlerin gezeichnet hat. Meine älteren Kollegen kennen das Phänomen ja noch von Helmut Kohl. Bei Merkel hätte ich am Anfang gar nicht gedacht, dass es irgendwie geht. Aber die Leute entwickeln sich im Amt, man selber entwickelt sich aber eben auch und kriegt sie besser in den Griff.
Wobei Sie am Anfang bekannt waren für Ihren Kanzler Gerhard Schröder.
Schröder war super von seinem Naturell her. Das war so ein krawalliger Typ, der hat sich gut geeignet.
Fehlt Ihnen noch ein anderer Politiker aus zeichnerischer Sicht?
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Den Münte hätte ich schon gerne noch ein bisschen länger gezeichnet. Aber auch jemand wie Stoiber oder Joschka Fischer, wenn die plötzlich weg sind, ist das irgendwie traurig.
Gab’s bei Stoiber denn immer größere Sprechblasen?
Wie er halt so war mit seinem enormen bayerischen Selbstbewusstsein einerseits und seiner Zauderhaftigkeit auf der anderen Seite. Aber er hat ja mit Söder auch einen ganz guten Nachfolger gefunden. Der wird uns bestimmt noch ein bisschen länger beschäftigen, vielleicht ja später auch als Kanzler, das wissen wir ja nicht…
Wie viel Anteil hat die deutsche Politik unter Ihren Karikaturen, wie viel die internationale?
Ich würde normalerweise sagen 80 zu 20 Prozent. 80 Prozent Innenpolitik. Ich glaube aber, durch Trump hat sich das ein bisschen verschoben, weil man halt überdurchschnittlich oft USA gezeichnet hat.
Muss man sich als Karikaturist auch nach der eigenen Relevanz fragen? Also hinterfragen, wie viel man verändern kann?
Ich mache mir da keine so großen Illusionen. Ich glaube nicht, dass ich allzu viel verändern kann. Aber wenn Leute meine Karikaturen sehen und dann fünf Sekunden über das Thema nachdenken oder vielleicht ein bisschen länger, das ist eigentlich schon ein Erfolg.
Aber die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ in Paris 2015 haben leider gezeigt, dass manche mörderisch auf Karikaturen reagieren...
Durch das Attentat ist die Konfrontation zwischen Islamismus und westlicher Welt deutlich näher an unseren Berufsstand herangerückt. Die Stellung und die Position von uns deutschen Karikaturisten kann man aber nicht vergleichen mit „Charlie Hebdo“, die hatten schon eine herausgehobene Position, auch was die Schärfe ihrer Kritik angeht. Aber natürlich hat man sich… ich will nicht sagen: Solidarisch gefühlt, weil das dann so groß klingt. Aber das waren Kollegen.
Haben denn auch deutsche Karikaturisten manchmal Feinde?
Anfeindungen sind eher selten, aber das ist auch schon passiert. Also eine Morddrohung habe ich jetzt noch nie gekriegt. Aber ein Kollege von mir, dem ist das schon passiert.
Gibt es Reaktionen von Politikern?
Es gibt ganz wenige – und das ist klug. Und ich finde, im Vergleich zu Kommentaren im Netz sind Karikaturen ja fast noch sachliche Kritik.
Wie haben Sie denn den Hass im Netz zu spüren bekommen?
Ich stelle viele meiner Sachen online, denn am Ende zeichnen wir ja, damit es veröffentlicht wird. Im Netz kann es sein, dass da der Hass entladen wird – was oft noch nicht einmal mit der Zeichnung selbst zusammenhängt. Da ist es schon ein Unterschied, ob eine Zeichnung in der Zeitung erscheint oder im Netz steht. Und mit den Reaktionen muss man irgendwie klarkommen.