Essen. Wer krabbelt, läuft, spricht schneller und warum klappt das mit dem Töpfchen nicht? Der Rat lautet: bei Kindern nicht so Defizit-orientiert sein.
Frau Allgaier, haben Sie wirklich alle Erziehungs-Ratgeber gelesen, um daraus eine Universalanleitung zu filtern?
Uta Allgaier: Na ja, alle sind sehr viele – aber drei Meter Regal sind es bestimmt. Das meiste, das auf den Markt kam, hab ich auf Alltagstauglichkeit getestet. Erziehung findet ja immer in Wellenbewegungen statt, wobei wir den autoritären Stil zum Glück hinter uns haben. Im Moment ist Bedürfnis-Orientierung sehr populär – dass man sich überwiegend von den Signalen des Kindes leiten lässt: beim Stillen, Tragen, Co-Schlafen… Ich prognostiziere da aber einen Eltern-Burn-out.
Oh, wie können Eltern den verhindern?
Klare Strukturen schaffen. Hausarbeit muss ja auch sein zum Beispiel, da kann man Kinder ruhig mit einbinden. Die sollen den Alltag mitbekommen. Wenn Eltern sich stressen, weil sie ihre Kinder zu viel bespaßen, steigert sich der Frust, wenn sie ihren eigenen Kram nicht schaffen.
Uta Allgaier: Eigene Erfüllung überträgt sich auf das Kind
Wie lässt sich denn das Dilemma des schlechten Gewissens auflösen?
Wichtig ist, sich klar zu machen: Was sind meine Vorstellungen, was wird gesellschaftlich gelenkt? Es gibt so viele Erwartungen von außen. Aber was möchte ich für eine Mutter sein, was ist mir wichtig, was macht mir Freude? Wenn man selbst erfüllt ist, überträgt sich das auch aufs Kind. Das sagt sich natürlich einfacher, als es ist. Das ist mir auch klar.
Fängt der Leistungsdruck nicht viel zu früh an?
Die Entwicklungsschritte werden verglichen, doch das Sprechen, die Motorik, das ist nun mal bei jedem Kind unterschiedlich. Erfahrene Kinderärzte sehen intuitiv, in welchen Fällen es wirklich Not tut, irgendetwas zu unternehmen – und sollten ansonsten die Eltern bestärken, nicht so Defizit-orientiert zu sein, sondern ihr Kind auch genießen zu können.
Mit einem vertrauensvollen Elternblick die Erfolge feiern
Und die Erfolge zu feiern. Man will natürlich nur das Beste, aber Kinder haben feine Antennen, die spüren es, wenn wir nur ihre vermeintlichen Fehler im Blick haben. Ein vertrauensvoller Elternblick dagegen, das stärkt sie.
Ist die Erziehungsansprache im Ruhrpott eigentlich eine andere?
Ich habe da keine Untersuchung zu gemacht, aber wenn ich besonders schwierige Coaching-Fälle habe, rufe ich eine gute Bekannte an. Die ist seit 30 Jahren im Ruhrgebiet im Jugendamt tätig, mit viel Kenntnis, Erfahrung und vor allem Pragmatismus sowie dem Herz auf dem rechten Fleck – so hilft sie mir immer, wenn ich mal nicht mehr weiter weiß.
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Eine letzte Frage: Eltern haben doch nie Zeit – und jetzt bloggen Sie auch noch?
Ach, das ist ja mehr wie Tagebuch schreiben im Internet und hilft bei der Problembewältigung. Gerade mit dem ersten Kind ist man manchmal doch sehr allein. Es wird ja immer über die Latte-macchiato-Muttis gelästert. Aber man braucht den Austausch, den man vorher hatte, im Büro beispielsweise. Im Netz findet man die Gemeinschaft, die man vielleicht sonst nicht mehr hat. Das macht Mut und tut gut.
Weitere Tipps – etwa, den aktuell fehlenden Kita-Alltag zu kompensieren, hat der Digitale Sonntag in der Rubrik Wochenende aufgeschrieben. Hier geht es lang.