Die beliebtesten Plus-Texte: Heute zum Tatort, der gerade 50 Jahre alt geworden ist. Wir blicken auf die größten Skandale zurück.

Dieser Artikel ist zum ersten Mal am 28. November erschienen.

Was ist die Aufregung groß damals. „Reifezeugnis“ heißt 1977 der sechste Fall für Kommissar Finke. Der 32-jährige Lehrer Helmut Fichte hat eine sexuelle Beziehung zur 16-jährigen Schülerin Sina Wolf, gespielt von Nastassja Kinski. Süß, hübsch und mit der Angewohnheit, sich in freier Natur zügig ihrer Kleidung zu entledigen. Um 20.15 Uhr. Zur besten Sendezeit also. Was ältere TV-Zuschauer mehr empört als die Tatsache, dass sie einen Mitschüler tötet, der von der Affäre erfährt.

Geplante Fortsetzung wurde nicht realisiert

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Einen völlig anders aufgebauten Tatort bekommt man zu sehen, bei dem die Täterin schnell bekannt ist. Mit dem von Klaus Schwarzkopf stets ruhig und nüchtern gespielten Ermittler, mit Christian Quadflieg und Judy Winter als liberalem Pädagogen-Ehepaar Fichte hochkarätig besetzt und von Wolfgang Petersen sensibel in Szene gesetzt. Kein klassischer Krimi, fast ein Lehrstück darüber, wie sich Leben innerhalb Sekunden ändern können. Aber aus heutiger Sicht weit weg von einem Skandal.

Tatort: Reifezeugnis: Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) befragt Sina Wolf (Nastassja Kinski). Foto: NDR
Tatort: Reifezeugnis: Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) befragt Sina Wolf (Nastassja Kinski). Foto: NDR © NDR/obs | Arte

Trotzdem ist die Folge in Erinnerung geblieben. So sehr, dass vor einigen Jahren sogar einmal eine Fortsetzung geplant war. In ihr, meldete der Boulevard damals, sollte Sina Wolf, die nach der Verbüßung ihrer Jugendstrafe nach New York ausgewandert war, nach Deutschland zurückkehren und dort wieder auf die mittlerweile getrennt lebenden Fichtes treffen. Als Sina den Sohn des Lehrepaars kennenlernt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Quadflieg und Winter hatten angeblich schon zugesagt, Ersatz für den Hollywood abgewanderten Petersen war gefunden, nur Frau Kinski reagierte anscheinend nicht. Ende der Geschichte.

Manche Episoden wandern in den „Giftschrank“

In 50 Jahren und mehr als 1000 Folgen aber hat es natürlich immer wieder Ärger um den Tatort gegeben. Manche Episoden wandern sogar in den „Giftschrank“ der ARD und dürfen nicht gezeigt werden.

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Dazu zählt zum Beispiel der „Tod im U-Bahnschacht“, in dem es 1975 um Geschäfte mit illegal eingereisten Türken in Berlin geht und in der die Zuschauer in Großaufnahme miterleben können, wie einer dieser Arbeiter von einer Dampfwalze platt gefahren wird. Das ist dann selbst für den ansonsten nicht als zimperlich geltenden CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß zu viel. Noch während der Krimi im TV läuft, schickt er – Twitter gibt es ja noch nicht – ein Telegramm an den Intendanten des SFB. Das sei, zürnt der Mann aus Bayern, wie „ein Banditenfilm aus Montevideo mit Bordelleinlage“. Weil zahlreiche Zuschauer zumindest ähnlich denken und protestieren, wird der Film daraufhin bis 1992 nicht wiederholt.

Mainzer Narren gehen auf die Barrikaden

Regt die Mainzer Narren auf: Der Tatort mit dem Titel „Der gelbe Unterrock
Regt die Mainzer Narren auf: Der Tatort mit dem Titel „Der gelbe Unterrock © SWR/Wolfgang Pankoke

Auch „Der gelbe Unterrock“ ist nach seiner Erstausstrahlung 1980 mehr als 35 Jahre lang nicht zu sehen. Es geht – verkürzt gesagt – um einen psychisch gestörten Kleiderfetischisten mit perversen Gewalt- und Sex-Fantasien. Mancher Zuschauerin ist das zu viel. Die meisten Beschwerden soll es allerdings aus einer ganz anderen Ecke gegeben haben. Im Film, beschweren sich die Mainzer Narren, sei durchweg vom „Karneval“ die Rede. Dabei wisse doch jeder, dass das in der Region „Fastnacht“ heiße. Skandal, so etwas.

Ernster wird es nach der Ausstrahlung des Charlotte-Lindholm-„Tatorts“ „Wem Ehre gebührt“, in dem eine junge Alevitin vom eigenen Vater ein Kind bekommt. Kurz vor Weihnachten 2007 versammeln sich 30.000 Menschen zu einer Protestkundgebung in Köln. Der Dachverband der Aleviten in Deutschland erstattet Strafanzeige wegen Volksverhetzung, weil der Film ein jahrhundertealtes Vorurteil gegen die Religionsgemeinschaft bediene. Gezeigt wird der Fall seitdem nicht mehr.

51 Tote in einer Folge - „muss das sein?“

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Mittlerweile aber kommt so gut wie nichts mehr in den Giftschrank. Was nicht bedeutet, dass es keine Aufregung mehr gibt. An schwule und lesbische Ermittler haben sich die Zuschauer 2016 längst gewöhnt, als aber der homosexuelle Berliner Kommissar Robert Karow (Mark Waschke) in der Folge „Wir, Ihr, Sie“ minutenlang beim Sex mit einem anderen Mann gezeigt wird, geht das vielen Zuschauern doch zu weit.

ommissar Felix Murot als LKA-Ermittler (Ulrich Tukur) in einer Szene der
ommissar Felix Murot als LKA-Ermittler (Ulrich Tukur) in einer Szene der "Tatort"-Folge "Im Schmerz geboren". 51 Tote gibt es an diesem Abend. © dpa | HR

Auch übertriebene Gewalt bleibt ein Thema. Klar, ein Mord oder zwei sollen schon sein, aber als im Oktober 2012 im mit Lobeshymnen überschütteten Hessen-Tatort „Im Schmerz geboren“ gleich 51 Menschen ihr Leben aushauchen, fragen sich manche Zuschauer: „Muss das sein?“

Dortmunder Oberbürgermeister sauer

Im Ruhrgebiet ist man all die Jahre immer wieder ums Image besorgt. Anfang 2019 erst wettert der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau nach Ausstrahlung der Folge „Zorn“, das Bild, das der Tatort von der Region zeichne, sei „an Klischeehaftigkeit nicht mehr zu überbieten“. „Es ist maximal lächerlich.“ Er werde künftig nicht mehr schauen. Im Herbst des gleichen Jahres aber versöhnt sich der OB wieder mit den Krimi-Machern – wie es im Revier nicht unüblich ist bei einem „lekker Pilsken“, das in diesem Fall Jörg Hartmann alias Kommissar Faber ausgegeben hat.

In den 1980er sind es die Duisburger Stadtväter, die in Sorge sind. Denn da beginnt Götz George alias Horst Schimanski in „Duisburg-Ruhrort“ zwischen ärmlichen Wohnungen und tristen Stadtvierteln zu ermitteln. Cholerisch, schmuddelig, ständig fluchend. Die Politik ist entsetzt und die Presse schlägt vor: „Sofort entlassen“, den Mann. Aber die Zuschauer, auch die in Duisburg, sind begeistert. Endlich mal ein Kommissar, der sagt, was Sache ist.

Eine Gasse für Schimanski in Duisburg

Forderungen nach Absetzung oder Entlassung werden dann auch immer leiser, verschwinden irgendwann völlig. Stattdessen widerfährt dem Ermittler aus dem Pott eine ganz besondere Ehre. Man benennt, wenn auch nicht gleich wie von vielen gefordert die ganze Universität, immerhin eine Straße nach „Schimmi“. Seit 2014 gibt es nah des Hafens die „Horst-Schimanski-Gasse“. In Duisburg-Ruhrort.