Der große Trunkenbold und Sexsüchtige der Literatur, ihr „Dirty Old Man“, stilisierte sich zum Außenseiter. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.
Dass Charles Bukowski, der immer noch unerreichte Meister der Sauf- und Sex-Gedichte, unversehens zu einem deutschen Autor wurde, lag am wenigsten an der Tatsache, dass er heute vor 100 Jahren in der Aktienstraße von Andernach am Rhein als Heinrich Karl Bukowski das Licht der Welt erblickte. Das war eher ein biografischer Zufall; sein Vater war als Soldat der US-Armee nach dem Ersten Weltkrieg dort stationiert und nahm Bukowskis deutsche Mutter Katharina Fett samt ihrem gemeinsamen Sohn zwei Jahre später mit zurück nach Los Angeles.
Zum deutschen Autor wurde Bukowski zum Glück auch nicht dadurch, dass er in den 30er-Jahren beim Journalismus-Studium in L.A. Nazi-Parolen aus dem Hitler-Reich nachplapperte – das sollte vielmehr Mitstudierende und Dozenten schocken und provozieren. Das Studium sollte Bukowski denn auch bald abbrechen. Er beharrte früh auf seinem Eigensinn, verweigerte auch den Wehrdienst, obwohl darauf eine Gefängnisstrafe stand, die allerdings nicht die letzte seines Lebens sein – die meisten saß er wegen Trunkenheit am Steuer ab.
Hemingway, das große Vorbild
Bukowski wurde Trinker wie sein Vater, der nach seiner Soldatenzeit seine Familie als Milchfahrer kaum über Wasser halten konnte. Auch Sohn Charles tat sich schwer damit, versuchte es 15 Jahre lang als Hafenarbeiter, Tankwart, Nachtportier, Traubenpflücker, Leichenwäscher, Handlanger, blieb selten länger als ein paar Monate am selben Ort, trieb sich oft in den Kneipen der Kriminellen und Huren herum, gewann ein bisschen Wettgeld an der Rennbahn und versoff es wieder mit anderen Gescheiterten, Erfolglosen, Versagern.
Und schon seine erste veröffentlichte Erzählung „Ein Ablehnungsschreiben und die Folgen“ handelte von Bukowskis häufigster Erfahrung, dass nämlich eine angesehene Literaturzeitschrift seine Story ablehnt mit der Begründung, es handele sich um „Material, das so voll ist von angehimmelten Prostituierten, Kotzszenen am Morgen danach, Hass auf die ganze Menschheit, Lob des Selbstmords usw., dass es sich für eine Zeitschrift von einiger Auflage nicht unbedingt eignet.“ Wohlgemerkt: Die Erzählung ist 1944 in dem angesehenen New Yorker Magazin „Story“ erschienen. Was zeigt, dass bei Bukowski nicht weniger mit einer gehörigen Portion Selbststilisierung zu rechnen ist als bei seinem großen, kaum zu verheimlichenden Vorbild Hemingway.
Rülpsen, kratzen, fluchen
Tatsächlich aber sollte Bukowski in der Folge weitestgehend in Untergrundzeitschriften veröffentlichen, hier ein Gedicht, dort eine Kurzgeschichte. Er jobbte 14 Jahre lang als Aushilfsbriefträger und Briefsortierer auf Nachtschicht, was er 1971 in dem Roman „Der Mann mit der Ledertasche“ trotz und wegen all der Trinkerei ernüchternd schilderte. Kult-Status bekamen in dieser Zeit seine Lesungen, zu denen ihn zunächst US-Universitäten einluden und bei denen ein biergefüllter Kühlschrank fest im Bühnenbild verankert war. Was Bukowski ablieferte, war erheblich wüster noch als das „Schausaufen mit Betonung“, das der Whiskyfreund Harry Rowohlt später veranstalten sollte. Allerdings war Bukowski vorher immer hochgradig nervös. Gegen allen Anschein eine Rampensau, schämte er sich anfangs immer noch wegen seines entstellten Gesichts (wegen seiner Akne musste er als Jugendlicher sogar ein Jahr lang in der Schule pausieren) und war zeitweise auch in psychiatrischer Behandlung.
„Barfly“ mit Mickey Rourke und Faye Dunaway
Bukowskis erste große Buchveröffentlichung hatte 1969 den programmatischen Titel „Aufzeichnungen eines Außenseiters“. Spätere Bücher wie „Fuck Machine“, „Schlechte Verlierer“, „Die Stripperinnen von Burbank“, „Das Liebesleben der Hyäne“ oder „Terpentin on the Rocks“ wurden Bestseller. Er formte Figuren nach eigenem Vorbild wie Hank, der Sein literarisches Alter Ego war „Hank“, schwulenfeindlich, langhaarig, versoffen und von eher mangelhafter Körperhygiene, der mit Rülpsern, ungeniertem Kratzen sowie hochgradig fluch- und und schimpfworthaltigen Bemerkungen auf sich aufmerksam zu machen pflegte. Oder mit schmutzigen Fingernägeln, regellos und versoffen, rülpsend, kratzend und furzend. Oder Henry Chinasky, der Held seines autobiografischen Romans „Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend“ und später auch in „Barfly“, jener kongenialen Verfilmung mit Mickey Rourke und Faye Dunaway in den Hauptrollen und Bukowski selbst als stillem Trinker.
Ein Außenseiter aber war der längst etablierte Schriftsteller immer weniger, er hatte nach 1985 seine langjährige Lebensgefährtin Linda Lee Beighle geheiratet, und ein hinreißendes Foto zeigt die beiden an ihrem Hochzeitstag auf einer nassen Straße, wo sie im Regen tanzen, lässig elegant gekleidet und hochverliebt. Je mehr Bukowski zum etablierten Schriftsteller wurde, desto mehr fehlten ihm allerdings die Erfahrungen der Straße, die seinen Stilisierungen Substanz gaben. Was er schrieb, geriet zunehmend zu Doppel- und Dreifachspiegelungen der eigenen Vergangenheit. Dass Bukowski angesichts seiner magendurchbruchfreundlichen Trinkgewohnheiten das 70. Lebensjahr überschritt, erstaunte so manchen Freund und Fan; aber 1994 starb er, während man ihn wegen Leukämie behandelte, schließlich doch an einer Lungenentzündung. Der Strom an Bukowski-Büchern ist seither kaum abgerissen, seine Witwe und seine Tochter stimmen immer neuen Sammelbänden zu.
Der unermüdliche Übersetzer Carl Weissner und der Maro-Verlag
Und zu einem deutschen Schriftsteller wurde Bukowski mit dem nibelungentreuen Übersetzer Carl Weissner, dem nicht minder Bukowski-begeisterten Maro-Verlag in Augsburg, dem legendären Zweitausendeins-Versand – aber vor allem mit der ‘68er-Generation ff., die in Bukowski einen Helden der Rebellion gegen das Establishment fand. Genau jenen Anti-Schriftsteller, der an die Stelle der totgesagten Literatur alten Zuschnitts treten konnte. Eine seltsame Verkehrung übrigens: in den USA waren es eher die akademischen Literaturfreunde an den Universitäten, die Bukowski den Weg in den Autoren-Olymp gebahnt hatten; in Deutschland hingegen hat die Literaturwissenschaft fein säuberlich Abstand gehalten, während die Fan-Gemeinde beim vergnügungsgeneigten Lesevolk ständig wuchs.
Im Maro Verlag ist jetzt auch ein Band mit großenteils unveröffentlichten Trink-Texten unter dem Titel „Ein Sixpack zum Frühstück“ (257 Seiten, 20 Euro) erschienen, im Original „On Drinking“.
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