Essen. In der Corona-Pandemie haben wir erlebt, wie Frauen in alte Rollenbilder zurückfielen. Die Krise legte Schieflagen offen. Das birgt auch Chancen.
In Woche vier des Lockdowns hat Kiane l’Azin etwas Unerhörtes getan: Die 31-Jährige hat NRW eine Rechnung geschickt. Weil Tagespflege und Grundschule zur Eindämmung der Pandemie geschlossen wurden, hat die freischaffende Künstlerin ihre Selbstständigkeit eingestellt und ihre zwei Kinder zu Hause betreut. Die Stunden rechnete l’Azin im Rahmen der Protestaktion „Corona-Eltern rechnen ab“ dem Land vor.
„Mir ging es nicht darum, bezahlt zu werden“, sagt die 31-Jährige. Ihr Mann sei berufstätig, deshalb ihre unbezahlte Auszeit möglich gewesen. „Mich hat aber gestört, dass es in der Öffentlichkeit kein Thema war, was die Familien und im Speziellen was die Mütter leisten.“
Sie wolle „Care Arbeit“ sichtbar machen, jene unbezahlte Betreuungsarbeit also, für die Frauen trotz vieler Schritte zur Gleichberechtigung auch heute mehrheitlich in den Familien verantwortlich sind. Durchschnittlich 87 Minuten mehr am Tag wenden Frauen im Vergleich zu Männern für die Fürsorge auf – in Corona-Zeiten habe sich das verschärft, beobachtete l’Azin. „Ich habe Frauen erlebt, die zusammengeklappt sind, weil uns wegen Corona alle Netze und Hilfe weggebrochen sind.“ Viele in ihrem Umfeld hätten beruflich zurückgesteckt, um Haushalt, Kinderbetreuung und Beschulung abzudecken.
Frauen haben in der Krise stärker beruflich zurückgesteckt als Männer
Mit ihren Beobachtungen steht l’Azin nicht alleine da: Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat Frauen und Männer zur Arbeitssituation in der Corona-Pandemie befragt. 27 Prozent der Frauen haben beim Job zurückgesteckt, um ihre Kinder zu betreuen – bei Männern waren es 16. Frauen haben sich häufiger freistellen lassen, häufiger krisenbedingt Urlaub genommen oder, wenn sie gearbeitet haben, mehrheitlich auch die Kinderbetreuung übernommen.
„Traditionelle Arbeitsteilungen haben sich durchaus verschärft“, resümiert Studienautorin Bettina Kohlrausch. Selbst unter Elternpaaren, die sich die Erziehungsarbeit zuvor ungefähr gleich aufgeteilt haben, hätten das in der Krise nur noch rund 62 Prozent beibehalten. Frauen hätten erstrittene Freiheiten aufgegeben: „Hier kann man tatsächlich von einer Rolle rückwärts sprechen“, sagt Kohlrausch.
Krisen betreffen Geschlechter unterschiedlich
Außergewöhnlich sind die Folgen der Corona-Krise nicht: Kriege und Katastrophen haben gesellschaftliche Rollen und Geschlechterbilder immer wieder geprägt und verändert. Vielzitiert sind die Trümmerfrauen, die nach Kriegsende selbstlos und tatkräftig zupackten. Auch wenn die Position der Trümmerfrauen inzwischen relativiert worden ist – andere Beispiele halten Stand: Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem Frauen stark zur Arbeit mobilisiert wurden, übten sie aus der Not heraus Erwerbstätigkeiten aus, die vorher Männern vorbehalten waren. Frauen traten bald stärker in die Öffentlichkeit, einige übernahmen zeitweise Führungspositionen.
Die Geschlechter waren oft unterschiedlich stark von Krisen getroffen, abhängig von ihrem sozialen Stand. Das hat sich zuletzt in der Finanzkrise 2008 gezeigt. In den USA etwa haben vor allem Frauen Jobs verloren. Sie waren vermehrt in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt, die ins Straucheln geratene Firmen schnell strichen.
Ähnlich ist es in der aktuellen Lage: Trotz vieler Verbesserungen für mehr Gleichberechtigung in Deutschland stehen Frauen im Vergleich zu Männern finanziell immer noch schlechter da. Der Lohnunterschied liegt bei rund 21 Prozent. Auch wenn inzwischen mehr Männer Erziehungs- und Fürsorge übernehmen, arbeiten Frauen weiterhin häufiger als Männer in Teilzeit, um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, und sie sind häufiger in den schlechter bezahlten sozialen Berufen tätig.
Frauen in der Corona-Krise: Mehr Fürsorge, weniger Lohn
Mit Folgen in der Pandemie: „Männer haben oft den besser bezahlten Job, den es nicht zu riskieren galt“, sagt Forscherin Kohlrausch. „Weil sich Ereignisse überschlugen, blieb wenig Raum für Verhandlungen in den Partnerschaften. Das ging zulasten der Frauen, die mehrheitlich zu Hause geblieben sind.“ Ein Nebeneffekt: Selbst aus der derzeit stark gefragten Wissenschaft kamen vor allem Männer zu Wort. Frauen waren weniger sichtbar.
Wo Frauen außer Haus arbeiteten, waren sie besonders gefährdet: als Erzieherinnen in Kita-Notgruppen, als Pflegekraft in Altenheimen, als Kassiererin in Supermärkten. „Frauen sind Verliererinnen dieser Krise“, so Kohlrausch. „Wenn die Krise die Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt schwächt, schwächt sie auch die Position der Frauen in ihren Familien. Das kann langfristig Nachteile haben.“
Was muss sich ändern? Corona hat viele Schieflagen offengelegt. Trotz aller Lippenbekenntnisse zugunsten sozialer Berufe spiegelt sich ihre wichtige gesellschaftliche Arbeit immer noch nicht in der Entlohnung wider – Änderungen hier würden Frauen finanziell besser stellen und damit ihre Position verstärken. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen fordern zudem, dass Konjunkturmittel explizit bei weiblichen Beschäftigten und bei von Frauen geführten Unternehmen ankommen müssten.
Frauenrat NRW sieht Chancen in der Krise
Patricia Aden, Vorsitzende des Frauenrats NRW, sieht sogar Chancen in der Corona-Krise: Dass sich die Rollenbilder verfestigen, glaubt Aden nicht. „Frauen können im Gegenteil als Gewinnerinnen der Krise hervorgehen, weil gewisse Berufsgruppen in der Wahrnehmung aufgewertet wurden.“ Sie glaubt, dass Corona Frauen auch einen Gefallen getan habe. Endlich sei mit der Mär aufgeräumt, dass man im Job arbeiten und gleichzeitig die Familienarbeit übernehmen könne: „Kinderbetreuung ist eine eigene Tätigkeit und Berufstätigkeit ist es auch, das sind zwei Dinge, die man auch keinem Mann zeitgleich zumutet.“ Dies müsse bei der Diskussion um eine Fortsetzung der Heimarbeit einfließen.
Aden hofft, dass Frauen aus der Krise gelernt haben, ihren Platz zu beanspruchen. Kiane l’Azin, die ihre Sorgearbeit öffentlich in Rechnung gestellt hatte, geht einen Schritt weiter: Sie hoffe, dass die Gesellschaft eine Antwort auf die Frage findet, wie sie künftig die Sorgearbeit verteilt.
Auf die Protestaktion im Netz habe es viele persönliche Anfeindungen gegeben. Trotzdem würde sie ihre Rechnung, über deren Summe l’Azin übrigens schweigt, wieder losschicken. Eine Antwort habe sie im Juni erhalten – damit hatte sie gar nicht gerechnet.