Essen. Insekten haben sie zur Kriegsführung eingesetzt. Hunde und Pferde zogen sie ein. Ein Buch zeigt das bizarre Verhältnis zwischen Nazis und Tieren.
Selbst Insekten wurden von den Nazis zur Kriegsführung eingesetzt. Hunde und Pferde zog man ein. Schweine waren systemrelevant. Ein bestialisches Kapitel deutscher Geschichte.
Wer Hitler nur mit Blondie in Verbindung bringt, der muss wissen: Der Hundeführer hatte nicht nur diesen einen Schäferhund, sondern im lauf der Zeit 13 Hunde – und gleich drei davon trugen den Namen Blondie. Drei weitere hießen Wolf. So ließ sich Hitler gerne selbst nennen, unterschrieb auch damit – und nannte seine Hauptquartiere etwa Wolfsschanze (Adolf bedeutet auf althochdeutsch: „der edle Wolf“).
Unter dieser stattlichen Schulterhöhe machte es der Reichskanzler ungern: Die beiden schwarzen Scotch-Terrier „Negus“ und „Stasi“ von Eva Braun bezeichnet Hitler als „Handfeger“. Seine Geliebte wiederum war regelrecht eifersüchtig auf Blondie III.
Dieses und folgendes erfahren wir in „Tiere im Nationalsozialismus“, einem besonderen Buch des in Herdecke geboren und in Bochum aufgewachsenen Autors Jan Mohnhaupt (36) über ein bisher kaum beleuchtetes Kapitel unserer Geschichte.
Nazis haben 200.000 Hunde zum Kriegsdienst eingezogen
So notierte auch Joseph Goebbels 1942 in seinem Tagebuch: „Dieser Hund darf sich im Bunker alles erlauben.“ Der Reichspropagandaminister hatte schon 1928 der politischen Konkurrenz gedroht: „Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“ Klingt fies vertraut nach Gaulands Gruß an Merkel 2017: „Wir werden sie jagen - und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“, sagte da der AfD-Spitzenkandidat.
Perfide: Auch wenn Hitler die Hunde des Gehorsams und der Folgsamkeit wegen so schätzte, war „Hund“ zugleich sein Lieblings-Schimpfwort…
1939 wurden sie sogar eingezogen zum Kriegsdienst – 200.000 Musterungsbefehle gingen an die Vierbeiner raus. In den Konzentrationslagern wurden die Hunde hungrig gehalten, man hetzte die tierischen Instrumente von Macht und Unterdrückung zuweilen auf die Häftlinge. Zerfleischen zum Zeitvertreib.
Nichtsdestotrotz löste der Deutsche Schäferhund – reinrassig musste er sein – Bismarcks Doggen und Kaiser Wilhelm II. Dackel als „Volkshund“ ab. Bis heute ist er am beliebtesten laut des Verbands für Deutsches Hundewesen.
Pferde wurden zwar verehrt, in der Kriegsnot aber gegessen
Mit „Kamerad Pferd“, so schreibt Mohnhaupt, hatten die Soldaten meist mehr Mitleid als mit den Menschen – um sie schlussendlich dann doch aufzuessen in der großen Not. „Der Hunger kennt kein Tabu“, heißt es in einer Bildunterschrift, wozu die Lyrikerin Inge Müller zitiert wird: „Sie mussten überm Essen / Das Pferdeschreien vergessen.“
Allein im Kessel von Stalingrad kamen 52.000 Pferde ums Leben. Insgesamt zogen im Zweiten Weltkrieg knapp drei Millionen Pferde, Esel und Maultiere für Deutschland in die Schlacht. Diese Opferbereitschaft, selbst bis zum Hals im Morast steckend die Karren aus dem Dreck zu ziehen, verehrten die Nazis, so zierte das Pferd viele Motive der NS-Kunst. Acht von zehn Tierärzten im Reich wurden gleich mit eingezogen, um Krankheiten wie Pferdemalaria im russischen Sumpf zu behandeln.
Die Schilderungen zum Umgang mit den Rössern sind schon beim Lesen schwer auszuhalten. Mohnhaupt: „Aber es herrscht Krieg – und wo Soldaten Tag für Tag ums Leben kommen, wird auf Pferde erst recht keine Rücksicht genommen.“ Dass es heute immer noch Ekel vor Pferdefleisch auf dem Teller gibt, wird hier mit den Bildern von Notschlachtungen im Kopf verständlich.
Raupen züchten, um Fallschirme zu produzieren
Als „Ungeziefer“ wurden die Juden von den Nazis verunglimpft, bis in die Literatur, bis in die Kinderbücher gar (wie „Der Pudelmopsdackelpinscher“ von Ernst Riemer, Chefredakteur der antisemitischen Wochenzeitung „Der Stürmer“, worin u.a. Juden mit Wanzen gleichgesetzt werden; in Propagandafilmen sind es Ratten), so dass es sich im Unterbewusstsein festsetzte: Parasiten! Wie der Philologe Victor Klemperer festhielt über die Sprache des Dritten Reiches: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“
Dabei fällt der italienische Auschwitz-Überlebende Primo Levi, den Mohnhaupt zitiert, ein freundliches Urteil über Läuse: „Sie mögen nicht sehr sympathische Tierchen sein, aber sie haben keine rassistischen Vorurteile“ – und bissen Freund und Feind…
Tatsächlich wurden sie auch zur biologischen Kriegsführung eingesetzt, die Insekten. Devise: „Mit Seidenraupen zum Sieg!“ Über 20.000 Schulen im Land folgten dem Aufruf, Maulbeerbäume anzupflanzen und aus der gewonnenen echten Seide der Raupen für die Wehrmacht Fallschirme herzustellen – feuerfest, dehnbar und doch reißfest wie keine künstliche Faser. Kurzum, die Rechnung ging nicht auf, wie Mohnhaupt beinahe zynisch festhält: „Für Leichentücher braucht es keine Seide.“
Hermann Göring liebte neben Hirschen besonders Raubkatzen
Göring, zweiter Mann im Dritten Reich, wird in einer Kapitelüberschrift „beleibt und beliebt“ genannt, ein US-Diplomat sollte nach einer Begegnung sogar sagen, er habe eine starke Ähnlichkeit „mit dem Hintern eines Elefanten“. Als Großwildjäger und oberster Reichsjägermeister hatte der es allerdings eher auf prächtige Hirsche abgesehen, erschloss eigene Staatsjagdreviere zum persönlichen Plaisir – von seiner Obsession zeugt noch heute ein Getränk namens „Jägermeister“.
Der Kräuterlikör (eigentlich sollte er „Hubertus-Bitter“ heißen) wurde auch „Göring-Schnaps“ genannt, ist seit 1935 im Handel. Auch der Kronenhirsch, in Görings Auftrag entworfen und gegossen, steht noch immer als Statue auf dem Sockel im Tierpark Berlin – „ohne Hinweis und historische Einordnung“, wie Mohnhaupt bemerkt.
Am allerliebsten aber umgab sich Hermann Göring mit einem anderen Großwild: Raubkatzen. Zitat: „Es gibt Tiere – und Löwen!“ Bis 1940 lebten insgesamt sieben der Jungtiere, denen er persönlich das Milchfläschchen gab, in seinem Haushalt. Immer, bis sie zu groß und gefährlich wurden für die Familie.
Im KZ Buchenwald gab es einen Zoo mit Bären
Prominente wie der König von Siam, Flugpionier Charles Lindbergh oder Diktator Benito Mussolini ließen sich mit ihnen ablichten. Raubkatzen wie „Tiger“ oder „Panther“ dienten auch als Namenspaten der Panzer, ebenfalls eine Erfindung der Nazis. Eine Tradition der Wehrmacht, die die Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem „Leopard“ beibehielt…
Zwei Jahre beschäftigte sich Jan Mohnhaupt mit dem Thema und sagt im Gespräch mit der Sonntagszeitung: „Besonders spannend ist für mich gewesen, wie Tiere ideologisch aufgeladen worden sind.“ So sei er im Zuge der Recherchen auf die Seidenraupen gestoßen. „Ein Zufallsfund, das hatte ich so selbst nicht auf dem Schirm.“
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Dass es, wie gleich in der ersten Passage beschrieben, im Konzentrationslager Buchenwald einen Zoo mit Bären gab, das sei „schon eine gruselige Vorstellung, nur 15 Meter vom Krematorium entfernt.“
Im Deutschen Reich hielten viele Menschen Hausschweine
Die eigene Oma wiederum hatte ihm einen entscheidenden Hinweis zur Bedeutung des Schweins im Nationalsozialismus gegeben, hatte sie doch mit ihrer Mutter in der damaligen Zechensiedlung selbst ein Schwein gehalten und es Mohnhaupt mal beiläufig beim Spaziergang erzählt.
Schweine sind wieder ein eigenes Kapitel, die hier übrigens nicht gerade wissenschaftlich wertvoll und historisch angemessen, dafür doch durchaus pointiert „Mahlverwandtschaften“, „Schweinereich“, „Das große Fettrüsten“ oder wie in einer Bildunterschrift „Frontschweine“ lauten. Von 18 Millionen Haushalten im Deutschen Reich halten mehr als fünf Millionen Hausschweine.
Doch letztlich lief das nationale Volksernährungskonzept, sich mit dem Schweinefett unabhängig von ausländischen Importen zu machen, ebenfalls ins Leere. Die geschilderten Mast-Maßnahmen, Küchenabfälle zu spenden („Kampf dem Verderb“), erforderten großen Aufwand und brachten kleinen bis keinen Ertrag. Viele gesammelte Abfälle verdarben einfach. Mohnhaupt: „Was schon meine Urgroßmutter erkennen musste, zeigt sich auch hier: Mit Abfällen allein kann man Schweine am Leben erhalten, aber eben nicht mästen.“
Hitler war überzeugt von vegetarischer Ernährung
Und Hitler selbst war sowieso Vegetarier, nannte selbst Fleischbrühe „einen Leichentee“ – allerdings eher nicht aus ethischen Gründen. Er war derart überzeugt, dass die fleischlose die bessere Ernährung sei, dass er sogar erwog, seine Schäferhündin an die vegetarische Kost zu gewöhnen.
Solche und mehr Geschichten hätte Jan Mohnhaupt noch einige zu erzählen, auch von anderen Tieren wie Hühnern und Falken. Allein: „Es tut einem nicht gut, sich so intensiv mit dieser Zeit zu beschäftigen.“ Denn auch wenn das Buch von Tieren handelt, so geht es doch um die Menschheit und ihre (Un-)Menschlichkeit.
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Der Sittenbildhauer
In „Der Zoo der Anderen“, das 2017 erschien und in mehrere Sprachen übersetzt wurde, beschäftigte sich Jan Mohnhaupt bereits schriftstellerisch mit Tieren. Es geht auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges um das Wettrüsten der Zoos im geteilten Berlin und somit ein Sittenbild des geteilten Deutschlands. Noch aus Zeiten als Sportjournalist stammt zwei Jahre zuvor sein Werk „Auf der Kippe“, eine bewegende Biografie über Michael Tönnies, den inzwischen verstorbenen Torjäger des MSV Duisburg . Der Lieblingsverein von Kurven-Stammgast Mohnhaupt wird, und da schließt sich der literarische Tierkreis, auch „die Zebras“ genannt
.Jan Mohnhaupt: Tiere im Nationalsozialismus“ (Hanser-Verlag / 22 Euro)