Remscheid. In der JVA Remscheid kümmern sich Häftlinge um Bienen. Die Imkerei beschäftigt sie sinnvoll – hat aber auch einen pädagogischen Effekt.

Es mag sich ein bisschen nach Freiheit anfühlen, hier draußen, zwischen bunten Blumen und holzgezimmertem Gartenmobiliar. Wäre das Wetter besser, dann würden die Bienen surrend durch die Luft fliegen, doch im Moment haben sich die meisten von ihnen in ihre Kästen zurückgezogen. Michael Schneider (54), in voller Imkermontur, nimmt vorsichtig ein Rähmchen aus dem Bienenkasten und schaut nach, ob bei seinen Schützlingen alles in Ordnung ist.

Eine idyllische Szene. Doch wir sind hier weder in einem Privatgarten noch auf einem Bauernhof oder an sonst einem beschaulichen Ort. Wir sind im Knast. Genauer gesagt, im gerade neu angelegten Bienengarten der JVA Remscheid. Schneider sitzt wegen eines Betrugsdeliktes ein und nimmt am Imkereiprojekt der JVA teil. Seit mittlerweile fünf Jahren können Häftlinge in Remscheid lernen, wie man richtig mit Bienen umgeht und Honig erzeugt.

Die Freiheit ist noch zwei Monate entfernt

Viel trennt Schneider nicht mehr von der Freiheit. In zwei Monaten kommt er raus, bereits jetzt ist er im offenen Vollzug und darf an den Wochenenden nach Hause fahren – nur deshalb darf er sich überhaupt im Bienengarten außerhalb der Gefängnismauer aufhalten. Wenn man erlebt, wie er mit den Justizvollzugsbeamten scherzt, kann man ihn fast für einen von ihnen halten. „Ich kontrolliere hier die Bienenkästen – und muss mich zum Beispiel darum kümmern, wenn einer der beiden einen umtritt“, sagt er lachend – und die beiden Angesprochenen, Jürgen Krämer (63) und Gabriel Stratmann-Ufer (40), stimmen in sein Lachen mit ein. Krämer ist Leiter der Arbeitsverwaltung in der JVA Remscheid und hat das Projekt 2015 in Leben gerufen – weil er an einem Bienenkasten vorbeikam und die Imkerei einfach interessant fand.

„Hier wird nicht auf einen gezeigt“

Den Häftlingen gibt die Arbeit mit den insgesamt etwa 25 Bienenvölkern in erster Linie eine Aufgabe – bei der sie nebenbei auch noch etwas für die Umwelt tun können. Sie kontrollieren die Kästen, stellen Honig her und reinigen die Rähmchen. Wer wie Schneider im offenen Vollzug sitzt, kümmert sich im Bienengarten zum Beispiel auch darum, die Pflanzen zu bewässern und die Umwelt der Bienen instand zu halten. Krämer ist sehr zufrieden mit „seinen“ Häftlingen: „Ich bin der Auffassung: Wenn man den Leuten im Arbeitseinsatz eine Chance gibt, dann enttäuschen sie einen in den meisten Fällen nicht.“

Es ist dieses vertrauensvolle Verhältnis, das Schneider an seiner Imker-Aufgabe besonders schätzt. „Hier wird nicht auf einen gezeigt und gesagt: Du bist der Häftling. Man ist einfach Teil der Truppe“, sagt er. Auch Stratmann-Ufer bestätigt: „Hier sind die Gespräche natürlich anders als im sonst im Haus.“ Bei der Arbeit mit den Bienen müsse man sich schließlich aufeinander verlassen können. Ein bisschen sei es wie in einer Firma: Einer ist der Meister, aber man vertraut sich gegenseitig.

Großer pädagogischer Effekt

Nicht zu unterschätzen ist laut den Beamten der pädagogische Effekt der Imkerei. „Hier kommen Typen an, die sich selbst für die Größten halten – die Bienen zeigen ihnen dann ganz schnell, dass das nicht so ist“, sagt Stratmann-Ufer. „Die schaffen, was mancher Jugendrichter in Jahren nicht schafft.“ Krämer pflichtet lachend bei: „Man lernt durch Schmerzen. Zerquetscht man eine Biene, dann gehen alle anderen auf einen los.“ Die Tiere merkten es außerdem sofort, wenn ein Häftling genervt oder hektisch sei. Ein weiterer Vorteil: „Viele Häftlinge, die beispielsweise aus der Türkei oder aus Marokko kommen, sind mit der Imkerei vertraut. Dort haben viele einen Bienstock im Garten“, erklärt Krämer. Gerade für sie biete das Projekt daher eine sinnvolle Beschäftigung.

Auch interessant

Mit ruhigen Bewegungen

Ortswechsel in den Innenhof der JVA. Zwischen den mächtigen Mauern der über 100 Jahre alten Anstalt steht Elias Schmidt (Name von der Redaktion geändert) mit dem „Smoker“ in der Hand über einen weiteren Bienenkasten gebeugt. Mit ruhigen Handbewegungen verteilt der 38-jährige Häftling Rauch über dem Kasten. Damit wird ein Brand simuliert, sodass die Bienen flugs in ihr Nest flüchten – und Schmidt das Gitter gefahrlos abnehmen und aufsetzen kann, ohne eine von ihnen zu zerquetschen. Es sieht eindrucksvoll aus, wie der 1,96 große JVA-Insasse mit Camouflage-gemusterter Jacke ganz vorsichtig die Wabenrähmchen herausnimmt, um zu kontrollieren, ob alles in Ordnung ist. So wird zum Beispiel regelmäßig geprüft, ob die Königin noch genug Eier legt.

Schmidt sitzt wegen Kfz-Diebstahls eine dreijährige Haftstrafe in der JVA Remscheid ab. Seit Februar 2020 ist er beim Imkereiprojekt dabei. „Das ist ein super Arbeitsplatz, wo man auch was lernt“, sagt der 38-Jährige, der gut gelaunt wirkt und während unseres Gespräches die meiste Zeit breit lächelt. Nicht zuletzt spielt auch eine Rolle, dass, die Bienen eine tagesfüllende Aufgabe sind. Oder, wie er es formuliert: „Man verschimmelt nicht in der Zelle.“

Zappelphilipp kommt nicht gut an

Was im Umgang mit den Tieren besonders wichtig ist? „Na ja“, sagt Schmidt lachend, „wenn man ein hibbeliger Zappelphilipp ist, kommt das nicht so gut.“ Es sei wichtig, Ruhe auszustrahlen und den Bienen mit Respekt zu begegnen – dann gäben sie einem auch einiges zurück: „Für mich ist das fast schon meditativ. Wenn man Stress hat, kommt man schnell runter.“

Krämer hofft, den Häftlingen durch das Projekt vielleicht sogar eine Perspektive für die Zeit nach ihrer Haft bieten zu können. Denn: „Wer aus dem Knast kommt und sein altes soziales Umfeld zurückkehrt, wird nicht selten rückfällig“, weiß er. Wer aber nach Haftende in einen Imkereiverein eintrete, könne sich durch das Hobby neue Kontakte knüpfen.

Auch interessant

Schmidt kann sich das auf jeden Fall vorstellen. Der 38-Jährige hat draußen eine Frau und eine Tochter. Wenn er wieder frei ist, will er sein Leben wieder in geordnete Bahnen bringen. „Ich hätte auf jeden Fall Bock, das selbst zu machen“, sagt er mit seinem üblichen breiten Lächeln. „Ist ja auch wichtig für die Natur. Und die Zukunft.“

Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG