Essen. Das Projekt „Meet a Jew“ vermittelt Einblicke in das jüdische Leben. Zwei Ehrenamtliche über die Begegnungen, Vorurteile und Antisemitismus.
Jüdisches Leben, was bedeutet das genau? Das erklären Jan aus Essen und Juliana aus Düsseldorf regelmäßig bei den Begegnungen des Projekts “Meet a Jew“ an Schulen und in anderen Einrichtungen. Mit ihren ganz persönlichen Einblicken wollen die beiden Ehrenamtlichen die Vielfalt des Judentums vermitteln – und Vorurteile abbauen.
Das Motto von „Meet A Jew“ lautet „Miteinander statt übereinander reden!“ Welchen Ansatz verfolgt das Projekt des Zentralrats der Juden in Deutschland?
Jan: Die Begegnungen sind ein Austausch auf Augenhöhe, die Jugendliche oder Erwachsene an Schulen und in anderen Gruppen führen. Wir zeigen, dass wir genauso Menschen sind wie sie. Dass es in menschlicher Hinsicht keinen Unterschied gibt zwischen uns und dass das Judentum eine Religion ist, kein Stempel. Mein Ziel ist es zu zeigen, dass das Judentum vielfältig ist.
Wie ist die Stimmung bei den Begegnungen, was wollen die Jugendlichen wissen?
Juliana: Die Fragen sind meistens sachlich. Es kommen oft spezifische Fragen zu den Traditionen des Judentums. Aber auch persönliche Fragen: „Wie bist du aufgewachsen?“ Man merkt schon, dass viele Schüler wenig Kenntnisse über das Judentum haben.
Jan: Ich erkläre gerne den Shabbat. Dann kommen Fragen dazu, was man am Ruhetag machen darf und was nicht. Ich persönlich halte ihn gerne ein, für mich ist es ein Detox-Tag vom Alltag und der Außenwelt. Die Familie trifft sich, wir singen und essen zusammen und gehen spazieren.
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Äußern Schülerinnen und Schüler bei den Begegnungen Vorurteile oder antisemitische Kommentare? Schließlich hören die Lehrer ja zu.
Juliana: In einer Klasse gab es ein, zwei Leute, da habe ich gemerkt, dass hinter ihren Fragen Vorurteile stecken. Ich habe auch erlebt, dass ein Mädchen mit Kopftuch gefragt hat: „Mein Onkel sagt, ihr hasst uns. Warum hassen uns die Juden so?“ Da war ich geschockt. Ich dachte, ich kenne dich nicht, ich hasse niemanden.
Jan: In den Klassen höre ich keine antisemitischen Vorurteile oder Verschwörungstheorien, aber auf der Straße. Die meisten Schüler sind neutral zum Judentum eingestellt, haben keine Meinung.
Wie begegnet Ihnen Antisemitismus im Alltag?
Jan: Wenn jemand „Du Jude“ als eine Beleidigung benutzt, dann trifft es mich trotzdem, auch wenn ich persönlich nicht damit gemeint bin. Auf der Straße erkennt man nicht, dass ich Jude bin. Ich trage keine Kippa.
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Bewusst nicht?
Jan: Ein bisschen zum Schutz.
Juliana: Ich habe nie geheim gehalten, dass ich Jüdin bin. Ich würde meine Kette mit Davidstern aber nicht überall tragen. Man sollte es nicht riskieren.
Meiden Sie also bestimmte Orte und Situationen?
Juliana: Eine gute Freundin wurde in der Bahn angespuckt und antisemitisch beleidigt. Ich brauche das nicht in meinem Leben. Dann zeige ich meine Kette lieber nicht. Man findet sich damit ab, dass es zu Konfrontationen kommen kann. Ich stelle mich auch schon auf bestimmte Argumente ein. Das ist schade, so sollte es nicht sein. Aber wir engagieren uns ja bei „Meet a Jew“, um genau das zu ändern.
Jan: Ich glaube schon, dass es Orte gibt, die für Juden gefährlich sein können. Ich würde einfach nicht in allen Stadtteilen eine Kippa tragen.
Juliana: Aber diese Orte gibt es überall, unabhängig wie ein Stadtteil geprägt ist, vor allem in Großstädten.
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Kennen Sie Juden, die Deutschland inzwischen aus Angst verlassen haben?
Juliana: Ich kenne Menschen, die solche Überlegungen haben, inklusive mir, aber auch Menschen, die aus einem Zugehörigkeitsgefühl nach Israel gegangen sind. Meine Schwestern leben heute in Israel. Dazu ist es wichtig zu sagen, dass Antisemitismus nicht nur ein jüdisches Problem ist, sondern für die gesamte Gesellschaft und Demokratie gefährlich ist, genauso wie Hass im Internet oder Rassismus. Deshalb ist es uns bei „Meet a Jew“ auch wichtig sich gegen Diskriminierung und Vorurteile jeglicher Art einzusetzen.
Jan: Ich habe Freunde, die es schätzen, dass man in Israel sein Judentum völlig normal ausleben kann. In Deutschland ist man als Jude manchmal in einer Exotenrolle.
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„Meet a Jew“ organisiert Begegnungen in Schulen, Universitäten und Sportvereinen. Wo gibt es sonst noch Handlungsbedarf in der Gesellschaft?
Juliana: In der Schule und über Bildung kann man schon viel erreichen. Denn wer nichts über das Judentum weiß, glaubt nur, was er von anderen hört. Reden ist das A und O. Im Fernsehen wird selten etwas über das Judentum gezeigt, dass nicht mit dem Holocaust zu tun hat. Da wünsche ich mir mehr Vielfalt der Bilder und Themen, damit die Menschen nicht als Erstes an Antisemitismus denken, wenn sie das Wort Jude hören.
Jan: Es geht ja nicht nur um Juden. Wir müssen uns einfach alle füreinander einsetzen, egal welche Religion, kulturellen Hintergrund oder Hautfarbe wir haben.
Was nehmen die Jugendlichen aus den Begegnungen mit?
Juliana: Die Schüler freuen sich immer über die Begegnungen. Sie lernen eine neue Welt kennen. Ein Schüler hat mir im Nachhinein eine lange Nachricht geschrieben, wie toll er findet, was ich mache. Das hat mich sehr gefreut und gezeigt, dass ich mit „Meet a Jew“ wirklich etwas zum Positiven bewirken kann.
Jan: Ich habe bislang sieben Begegnungen gehabt. Die Schüler sagen uns: „Ihr seid ja wie wir.“ Vor allem Muslime. Es gibt viele Parallelen zwischen den Religionen.
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