Mülheim. Auf der A40 fing es an: Der „Ruhrgebietsladen“ in Mülheim, größter und ältester Revier-Fanshop der Region, wird „10“. Was sich seither getan hat.
Es war einmal der dreckige Kohlenpott, es lebe das neue Ruhrgebiet. Mit seinen Halden und Aussichtspunkten wie Tetraeder, Geleucht und Himmelstreppe ist es funkelnder denn je. Wer heute eine Urlaubsbekanntschaft macht, muss nicht mehr erklären, wie grün das Revier ist. Statt schwatt.
Doch wer hätte gedacht, dat der einstige Malocher-Moloch so eine Nostalgie für diese Region zu Tage fördert. So eine Liebe. Ob Industriekultur bei der Extraschicht oder Kauenkorb und Grubenlampe für zu Hause, der Ruhrgebietler liebt seine Herkunft und das will er zeigen. Auf dem Heck vom Dreier genau wie neben dem salzgeteigten Namensschild an der Wohnungstür: ein gut gebrülltes Glückauf!
Mit dem großen Gefühl für die Heimat startete 2010 auch der Ruhrgebietsladen in Mülheim. Wo sonst als auf der A40, dem Straßenfest der Kulturhauptstadt? Beim Still-Leben vor nun ganz genau zehn Jahren hatten Inhaber Friedrich von der Höh und seine Frau Marion einen der Tische, die man mieten konnte, um die Alltagskultur zu zeigen, die einem wichtig war – im Rückblick ihr erster Stand mit Pott-Merchandise. Andenken zum Anschauen. Eigentlich... „Nach kurzer Zeit waren aber die Sachen weg. Die Leute haben die echt einfach mitgenommen“, erinnert sich Friedrich von der Höh. Da überlegte der heute 63-Jährige nicht lange und orderte aus dem Lager nach. „Woanders is auch scheiße“ stand auf den T-Shirts, die sie dann spontan verkauften, weil immer wieder Menschen kamen und genau diese und nur diese haben wollten. „Denen war sogar die Größe egal. Hauptsache sie hatten eines der Shirts.“ Wa(h)re Ruhrgebietsliebe.
Gleichzeitig lief auch die Kasse im eigenen Geschäft heiß, das damals noch die Dienstleistung-Handel-Logistik GmbH war. Hier, direkt an der Ausfahrt Heißen, war einer der nächsten Parkplätze, um zu Fuß auf die Autobahn zu kommen. Da bot sich der Souvenirkauf an. Und die Geschäftsgründung des Ruhrgebietsladen erst recht.
Bestellungen aus Minnesota
Das Revier ist längst ein Exportschlager geworden. Touristen kaufen Mitbringsel, ehemalige Malocher sichern sich Erinnerungen. Das weiteste Paket, das Friedrich von der Höh auf Reisen schickte, ging nach Minnesota. Ein ehemaliger Essener hatte im Internet Postkarten entdeckt mit Motiven aus dem Essen der 60er bedruckt. So hat er sich ein bisschen Home Sweet Home in die USA geholt.
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2010 hatte der Ruhrgebietsladen gerade mal 150 verschiedene Artikel, heute sind es 2500. Von der Badehose (19,95 Euro) bis Currywurst im Glas (4,95 Euro). Poster, Bücher, Magnete gibt’s in den meisten Buchhandlungen. Hier bekommt man echte Kauenkörbe, das Geschirrhandtuch aus Kumpelstoff und natürlich den Klassiker, die Grubenlampe – in der Edition als Trinkflasche mit Steigerlied-Melodie für 299 Euro. „Die Spieluhr ist aus der Schweiz“, lacht von der Höh. Auch das Halstuch für Vierbeiner lässt schmunzeln: „Grubenhund“ steht drauf (6,95 Euro).
Der Start des Ruhrgebietsladens erfuhr also auf Anhieb eine Initialzündung – aber wie es weitergehen würde, war nicht abzusehen. 2011 sagte der Lieferant, die Kulturhauptstadt wäre ja nun vorbei und er mache jetzt in Köln weiter, da gibt es mehr Touristen – ab dann haben die Von der Höhs ihre Produkte eben selbst hergestellt, schafften sich Maschinen an, bedruckten Tassen und T-Shirts und entwickelten neue Ideen. „Wir machen alles selbst bis auf Lebensmittel.“
„2013 hatten wir eine erste Ermüdungserscheinung“, erinnert sich Marion von der Höh. In dieser Zeit kamen viele auf den Trichter, mit Ruhrgebietsartikeln Geld zu machen. „Du musst das aber mit Herzblut machen, sonst wird das nichts. Und du musst immer einen Schritt schneller als die anderen sein.“ So entwickelte man als Erster Shirts, auf denen Bergmanns Latüchte im Dunklen leuchtet. Mit dieser Einstellung ging es in Mülheim weiter voran, auch die Söhne André und Dennis helfen mit, etwa beim Onlineauftritt. Via Facebook werden neue Produkte angetestet.
Der Erfolg lässt sich messen: Beim Zechenfest auf Zollverein in Essen begann der Ruhrgebietsladen 2010 mit einem drei Meter langen Tisch. Zuletzt sind die Von der Höhs auf einer Fläche von zwölf Metern auf dem Welterbeareal vertreten.
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Wie hat Friedrich von der Höh den Wandel durch Kultur selbst wahrgenommen? „Seit 2010 identifizieren sich die Menschen anders mit dem Ruhrgebiet. Der Pottler hier ist selbstbewusster geworden. Der schämt sich nicht mehr für seine Sprache, macht den Rücken gerade und haut jetzt einfach allet so raus wie et is. Und dat is nich verkehrt.“
Auch in der Tourismusbranche zeigen sich die positiven Vorstellungen, die die Menschen heute mit dem Ruhrgebiet verbinden. Nicht allein anhand stetig steigender Besucherzahlen. „Wir haben schon in vier Hotels ganze Zimmer eingerichtet. Echte Ruhrpott-Räume, die man so buchen kann. In Essen, Bottrop und Gelsenkirchen. Da ist dann zum Beispiel auch die schwarze Seife im Bad oder Klümpkes liegen auf dem Kopfkissen“, erzählt Friedrich von der Höh.
Die Säule des Reviers
Das Geschäft mit der Nostalgie, et fluppt. „Man darf es nicht verherrlichen. Früher war nicht alles besser, auch wenn man das jetzt gerne sagt. Es waren nicht alle Kumpels Kumpel. Aber neben Stahl, Glas und Leder ist und bleibt die Kohle nun mal eine Säule des Ruhrgebiets.“
Aktion: Am Jubiläumstag, Samstag 18. Juli, gibt es für zehn Jahre Kulturhauptstadt 10 Prozent auf alle Artikel im Ruhrgebietsladen in Mülheim-Heißen, Beekmanns Hof 3.
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