Duisburg. Kostet keinen Eintritt: Kunst-Weltstar Gerhard Richter ist in Duisburg im Untergrund zu bewundern – einer von vielen Farbklecksen der Stahlstadt.
Banale grande! So plumpenplatt wie dieser komische Vogel war, nee, das wollten die Duisburger 1991 nicht – heute ist das bunte Etwas Spielstätte, Fotomotiv und Treffpunkt Nummer Eins in der Stadt. „Viel mehr kann ein Kunstwerk nicht erreichen, als so gut angenommen zu werden“, erklärt Andreas Benedict. Und er erklärt gut. Der 56-Jährige ist nicht nur Sprecher des Lehmbruck Museums, der Kunsthistoriker hat auch lange selbst Führungen gegeben als eine Art Ruhrgebiets-Reiseleiter.
Phallisches Planschbecken
Zurück zum großen bunten Etwas auf der Königstraße. Ein Kunstwerk, auch wenn das viele vorher in Zweifel zogen, hinter dem mit Niki de Saint Phalle eine bekannte Künstlerin steckt. So bekannt, dass ihre plastischen Figuren nicht nur manche Anrichte en miniature zieren, sondern ganze Parks in Paris etwa oder Basel. „Das verleiht uns doch einen Hauch Internationalität“, findet Benedict. Und einen Touch Verruchtheit obendrein, denn eine sinnliche, nachgerade erotische Komponente spielt bei dem ungleichen Liebespaar – der fabelartigen Fantasiegestalt und dem kleinen klammernden Männchen – auch mit rein. Und direkt wieder raus – denn wohl zur Entschärfung hat man dem Wahrzeichen den Namen „Lifesaver“ gegeben. Ein Lebensretter also, was passt, denn in der Regel ist der Brunnen ein einziges Planschbecken für kleine Kinder. Zurzeit bleibt der Sprudelspaß aber aus. Corona. In der anonymen Architektur der Innenstadt setzt das Ding mithin den Farbklecks und beweist, dass Kunst sich nicht immer mit den ganz schweren Problemen der Welt auseinandersetzen muss, dass man sich viel lieber auch mal mit einem Eis auf der Hand auf den Beckenrundrand setzen kann.
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Fast schon selbsterklärend sind einen Fontänenspritzer weiter die Schiffsmasken von Thomas Virnich aus dem gleichen Jahr. Der größte Binnenhafen, klar. Und doch lohnt auch hier ein zweiter Blick. Die Klüse in der Bordwand, dort wo bei einem echten Kahn die Ankerkette durchrasselt, ähnelt einem Auge, das Ganze einem Kopf und das Oberdeck dem unweiten Drei-Giebel-Haus, älteste Adresse der Hafenstadt. Und Benedict kann noch einen draufsetzen. Oder drauflegen: „Wenn man nämlich die Masken ins Becken kippen würde, passt es wie ein Puzzleteil in dessen Negativform, inklusive des Gucklochs.“
Weiße Säulen, rostiges Gerippe
Von der Brunnenmeile immer noch fußläufig zum Stadttheater. Dort steht als spannender Kontrast zu dessen weißen Säulen ein rostiges Gerüst: Bernar Venets 5 Arcs X 5. Auch hier drängt sich eine Interpretation auf, die der Künstler übrigens gar nicht beabsichtigt hat, wenn man sich auf den schwebenden Gärten davor sinnierend niederlässt. Duisburg, marodierende Stahlstadt, nur noch ein Gerippe, die fetten Jahre sind vorbei… Nein, das muss nicht sein! Benedict assoziiert vielmehr ein musikalisches Motiv, betrachtet die Farbe wertfrei als warmes Braun. „Man sollte sich manchmal verabschieden von den Wahrnehmungsgewohnheiten.“
Wir nehmen die Rolltreppe abwärts und sind zwar nicht mehr unter freiem Himmel, dem Hosianna aber sehr nah. Oder hätten Sie vielleicht hier unten, in der U-Bahn, einen echten Richter vermutet. Gerhard Richter, der teuerst gehandelte Künstler der Welt, hat 1988 in der ärmsten Stadt der Welt (na ja) mit seiner damaligen Frau Isa Genzken, dreifache Documenta-Teilnehmerin, gleich mehrere Wände auf mehreren Etagen gestaltet. Als abstraktes Farbenfeld, mit rotierenden Kreisen inspiriert von den Planeten, das Spiel mit dem Spiegel – einer von fünf U-Bahnhöfen in Duisburg und nicht etwa in Moskau, was immer gern genannt wird als unterirdisches Kunstmuseum im Minutentakt für Pendler und Penner. Wussten Sie nicht, steht da auch nicht. Nirgends eine Plakette. Das nenne ich Understatement im Untergrund. Warum stehen nicht täglich Heerscharen von Japanern mit Fotoapparaten da, Herr Benedict? „Gute Frage“, sagt Herr Benedict – und weil wir es nicht auf die Postleitzahl schieben wollen, einigt man sich darauf: „Man könnte es vielleicht noch besser vermarkten.“
Wie frisch gepresst
Man könnte jetzt in die Bahn Richtung Ruhrort ein- und vor der Brücke aussteigen. Oder als Ende des Ruhrtal-Radweges ankommen, wo sich Rhein und Ruhr küssen: Die Rheinorange von Lutz Fritsch – bei Hafenrundfahrten nicken Sie noch dem schauerlichen Poseidon von Markus Lüpertz zu – ist ein Gigant. 25 Meter hoch, sieben breit. 1992 eine der ersten von vielen folgenden Landmarken. Wie hintersinnig, inspirierte die Rheinorange nicht nur eine gleichnamige Fruchteissorte (frisch gepresste Orangen und Trüffelaroma), sie ist auch in RAL2004 angemalt: der Farbton Reinorange.