Dortmund. Die Hauswand wird zur Leinwand: Streetart in Dortmund erstaunt und erzürnt. Von einem Banksy-Vorbild und einem anonymen Geister-Sprayer.
Wer an einer Hauswand eine Ratte entdeckt, erkennt meist einen der Großen unter den Streetart-Künstlern. Der Nager ist das Markenzeichen von Blek le Rat. Der Franzose gilt als einer der Streetartpioniere. In den 1980er Jahren hat er die Schablonen-Kunst etabliert. „An ihm hat sich Banksy orientiert“, sagt Daniela Bekemeier, Besitzerin der Streetart-Gallery in Dortmund.
Er habe die Technik aufgegriffen, sie adaptiert. Ein Banksy-Bild zur Corona-Krise ging kürzlich um die Welt: ein Junge, der nicht mit Super- oder Batman, sondern mit einer besonderen Heldenfigur in der Corona-Zeit spielt – einer Krankenschwester. Und nun veröffentlichte er über Instagram ein weiteres als Protest gegen Rassendiskriminierung in den USA: eine US-Flagge, die in Flammen aufgeht.
Ein Junge ist auch im Hauseingang zur Galerie an der Rheinischen Straße 16 zu sehen, er senkt den Blick, streckt die Hand aus zur stummen Bitte. Zu seinen Füßen: eine Ratte. Um die Ecke im Dortmunder Unionviertel ist ein weiteres Werk des Meisters. Allerdings hat der Hausherr es hinter Plexiglas gesetzt, was es weniger authentisch wirken lässt. Und dann wird der Blick auf die Ratte noch versperrt, von einem Stromkasten, der mit Graffiti übersät ist. Streetart ist vergänglicher als andere Kunst.
Gesprüht oder gemalt? Auf jeden Fall: Kunst!
Die Bilder, die Daniela Bekemeier zeigt, haben nichts mit mal eben gesprühter Schrift zu tun, über die sich Hausbesitzer ärgern. Es handelt sich um „kuratierte Kunst“. Aber eben nicht für Räume in einem Museum, sondern meist für Außenwände. Und dann fährt man zur Arbeit oder geht durch die Stadt und sieht plötzlich etwas Neues, das „irritiert, erfreut, erstaunt, im besten Fall eine Emotion beim Betrachter hervorruft“, erklärt die 51-Jährige den Effekt von Streetart.
So lässt der Mann, der mit großer Wut in den Hörer schreit, während seine Partnerin ein paar Meter weiter fast meditativ die Augen schließt, wohl kaum einen Vorbeigehenden kalt. Der Brasilianer Claudio Ethos hat das Bild auf die Wand gesprüht. Auf der Straßenseite gegenüber wird es grafisch – und da wird deutlich, dass bei der Streetart nicht nur gesprüht, sondern auch gemalt wird. Der Franzose Olivier Swiz hat die Farbfelder, geometrische Figuren wie Drei- und Vierecke, mit Acrylfarbe ausgefüllt.
Wie bunte Regentropfen an einer Fensterscheibe
Um die Ecke ist Alice Pasquini aus Rom auf die Leiter gestiegen, um eine Stadt am Wasser und ihre Menschen zu malen. Das Bild sei nicht spontan in ihrem Kopf entstanden, so Bekemeier. Die Künstlerin beobachte Menschen, skizziere sie, um sie dann später im Bild aufeinandertreffen zu lassen. Die Italienerin sprüht, sie malt – und lässt die Acrylfarbe absichtlich verlaufen. Wie bunte Regentropfen an einer Fensterscheibe.
In der Nähe des Eingangs zum Dortmunder U steht ein Haus: an einer Seite fensterlos, vom Boden bis zum Giebel. Die Hauswand wurde zur Leinwand für „The London Police“. Das britische Künstlerkollektiv, das sich in über 30 Ländern, aber vor allem in Amsterdam verewigte, lässt auch hier seine Comicfiguren grinsen.
Taube trifft Adler – Kunst vom Vogelmann
Ein haushohes Porträt ist nur wenige Schritte entfernt, bei einer Supermarkt-Zufahrt an der Ritterstraße zu sehen – ein Werk von Rodrigo Branco.
Davor: ein Gehsteig, über den eine echte Taube läuft, vorbei am Nachbarhaus, von dem zwei riesige Adler mit stechenden Augen schauen. Die Vögel hat „L Se7en Matrix“ gut versteckt – im Grau der Mauer sind sie nur angedeutet. Der Brasilianer ist der Vogelmann unter den Streetart-Künstlern. Pfau und Papagei, Eule und Eisvogel – er hat sie schon alle an Wänden fliegen lassen. Ob je eine Taube dabei war?
>> Das Corona-Gespenst geht in Dortmund um
In Dortmund sieht man es an vielen Häuserwänden: ein Wesen, das an einen Geist erinnert – meist mit einem Mundschutz. Blau für Jungs, Rosa für Mädchen. Und manchmal auch mit Schwestern-Häubchen auf dem Kopf. Mehrere Hundert solcher komischen Kreaturen gibt es mittlerweile in der Stadt. Das „Corona-Gespenst“ nennen es die Leute, die darüber schmunzeln oder sich über die Schmiererei ärgern. Schließlich sind Graffiti in der Regel illegal und gelten als Sachbeschädigung, wenn nicht jemand einen Künstler beauftragt, die Wände zu besprühen.
Der Mensch hinter den Geistern bleibt wahrscheinlich auch deshalb anonym. In einem schriftlichen Interview mit den Ruhr Nachrichten erklärte er, dass er die Geister-Kritiker verstehe: „Mein Eindruck ist aber, dass die Dortmunder generell offen dafür sind. Es gibt hier eine Menge Beton, dem ein bisschen Farbe sicher nicht schadet.“
Übersichtskarte für Dortmund, aber auch für z.B. Essen oder Düsseldorf: streetartcities.com. Führung in Dortmund im Rahmen von „Spaziergänge zur Kunst im öffentlichen Raum“ (6 €/ erm. 3 €) Tel: 0231 /50-26028, kunst-im-oeffentlichen-raum.dortmund.de