Essen. Der ewige Kampf gegen die Schutzgeldmafia. Erpressungen nehmen in NRW zu. Oft stecken Clans und Rocker dahinter. Der Gerichtsreporter berichtet!
Verstärkt beobachten Polizei und Staatsanwaltschaften seit einiger Zeit arabische Clans und Rocker-Organisationen. Gruppen der Organisierten Kriminalität (OK), die von Ermittlern immer wieder für Schutzgelderpressungen verantwortlich gemacht werden. Doch konkrete Zahlen über das Ausmaß dieser Kriminalitätsform gibt es trotz intensiver Ermittlungen weiter nicht. „Nach wie vor dürften Straftaten der Schutzgelderpressung ein hohes Dunkelfeld aufweisen“, räumt das Landeskriminalamt (LKA) auf Anfrage unserer Zeitung ein.
Es ist ein ewiger Kampf. Schon das Alte Testament beschreibt im ersten Buch Samuel, Kapitel 25, eine Schutzgelderpressung. König David, da war er allerdings noch nicht König, hatte ungefragt mit seinen Leuten die große Viehherde eines Bauern beschützt und dafür Lohn gefordert. Doch der Bauer wollte nicht zahlen. Da stellte David einen Trupp von 400 bewaffneten Männern zusammen, der nichts Gutes verhieß. Bauersfrau Abigail, laut Bibel „klug und von schöner Gestalt“, gelang es in letzter Minute, David mit 200 Broten, zwei Schläuchen Wein, fünf Schafen, 100 Kuchen aus getrockneten Trauben und anderen Delikatessen zu besänftigen.
Im Grunde hat sich an diesem Ablauf bis heute nichts geändert. Der Erpresser muss gar keine direkte Gewalt anwenden, die Drohung reicht schon.
Täter tauchten mehrfach bedrohlich auf
Erst kürzlich hatte ein Fall am Landgericht Essen an diese klassische Schutzgelderpressung erinnert. Angeklagt waren drei aus Albanien stammende Mülheimer, die einem Landsmann Schutz gegen Geld angeboten haben sollen. Er betreibt in Essen eine Pizzeria und eine Eisdiele. Mehrfach seien sie immer bedrohlicher in den Essener Lokalen aufgetaucht.
Zur Verurteilung reichte es nicht. Denn in der Verhandlung stellte sich heraus, dass die Aktion nicht gegen den Gastronomen, der die Polizei eingeschaltet hatte, gerichtet war, sondern gegen dessen Onkel. Und der räumte zum Schluss ein, dass die Mülheimer berechtigt Geld von ihm gefordert hatten. Aus welchem legalen oder illegalen Geschäft diese Gelder rührten, dazu wollte er aber nichts sagen.
Nur wenige Betroffene gehen zur Polizei
Immerhin hatte da mal ein Geschäftsmann die Polizei eingeschaltet. Denn die Zahl der Ermittlungsverfahren ist überschaubar. In NRW gab es laut LKA im Jahre 2018 gerade mal 16 Ermittlungsverfahren wegen Schutzgeld, 2019 mit 19 Fällen etwas mehr.
Aus derart wenigen Fällen lässt sich nicht viel ableiten. Auch die Wissenschaft hat nicht unbedingt mehr zu bieten. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat 1997 eine Studie veröffentlicht, die auf der anonymisierten Befragung von rund 8000 Geschäftsleuten bundesweit beruht. Christian Pfeiffer, der Leiter, nahm das zum Anlass, vor einer Dramatisierung zu warnen. Denn nur zwei bis sieben Prozent der Befragten, vorwiegend Betreiber von Gaststätten und Imbissstuben, seien nach eigenen Angaben Opfer geworden.
Bagatellisieren wollte er das Delikt damals aber auch nicht, schätzte das Dunkelfeld auf 25 bis 60 Prozent. Wegen der geringen Beteiligung gilt die Befragung aber nicht als repräsentativ. Interessant: Die Studie ergab auch, dass sich eine ähnliche Zahl an Gastronomen als Opfer von Korruption empfand, weil sich Mitarbeiter deutscher Behörden schmieren ließen.
Opfer haben Angst, sich zu wehren
Die Polizei klagt über das geringe Anzeigenaufkommen. Sie kennt die Gründe dafür, denn Schutzgelderpressungen wirken auf die meisten Opfer sehr bedrohlich. Laut LKA finden sie fast immer unter Landsleuten statt. Die Drohung mit Gewalt erstreckt sich dabei auch auf Angehörige in den Heimatländern. Die Polizei in Deutschland, so nehmen die Opfer an, habe keine Möglichkeiten, diese Übergriffe zu verhindern. Und die Polizei in der Heimat? „Da gibt es ein historisch begründetes Misstrauen gegen die Polizei“, glaubt das LKA in Düsseldorf.
Erkenntnisse über die Herkunft von Tätern und Opfern hat die Polizei nicht. Bei den Opfern wird sie nicht erfasst, auf der Täterseite überwiegt die deutsche Staatsangehörigkeit, ohne dass dies etwas über einen möglichen Migrationshintergrund sagt. Die Pfeiffer-Studie von 1997 hatte immerhin gezeigt, dass bei den Opfern die türkische Herkunft überwiegt.
Aber ganz ahnungslos ist die Polizei nicht. Seit 2015 hat sie in NRW 18 größere Ermittlungsverfahren gegen kriminelle Organisationen geführt, dabei hatte sie nach eigener Einschätzung auch konkrete Anhaltspunkte für Schutzgelderpressungen erhalten. Fazit: Sie dienen nicht nur dem finanziellen Gewinn, sondern auch zur Machtdemonstration im Milieu, wenn es um Verteilung und Expansion in den Bereichen Drogen, Rotlicht, Türsteher und Glücksspiel geht. Die kriminellen Akteure gehörten überwiegend illegalen Motorradclubs und anderen Rockergruppen an, aber auch italienischen und russischen Mafiagruppen sowie den Clans.
Bei den Rockern beobachtet das LKA einerseits das Geldeintreiben teils auch legaler Schulden durch massive Einschüchterung. So eine Armada von schweren Motorrädern, gefahren von kräftigen, grimmig blickenden Männern verfehlt ihre Wirkung selten.
Aber zur Schutzgelderpressung zählt auch das bekannte „Angebot, das man nicht ablehnen kann“. Das sind dann Dienstleistungen, die keiner bestellt hat, aber bezahlen soll. Da bekommt der Bordellbetreiber Prostituierte vermittelt und der Gastronom Glücksspielgeräte aufgestellt, ohne sich selbst im Markt über das beste Angebot informieren zu können.
Auch die italienischen Mafia-Gruppierungen haben sich längst auf „Dienstleistungen“ spezialisiert. Das LKA: „Da greift der Umstand, dass Italiener fast ausschließlich andere Italiener möglichst aus der gleichen Heimatregion erpressen. Viele haben Familien im Herkunftsland und wissen um den langen Arm der Erpresser.“
„Dienstleistungen“ von der Mafia
Die Dienstleistung besteht dann in der Lieferung von Olivenöl, Parmesan, Rotwein oder anderer Lebensmittel aus Italien. Dabei verweisen die Täter auf die angeblich gute Qualität. „Gepaart mit getarnten Drohungen kann dies offenbar ausreichen, das Opfer zur dauerhaften Abnahme zu bewegen“, vermutet das LKA. Wenn’s also mal nicht schmeckt beim Italiener, liegt’s nicht unbedingt an seinen Qualitäten beim Wareneinkauf.
Eingestellt haben die Kriminellen sich mittlerweile auch auf die digitale Welt. Firmencomputer werden durch Hackerangriffe gezielt ausgespäht oder blockiert. Wenn das Netzwerk plötzlich nicht mehr arbeitet, macht fast jede betroffene Firma finanzielle Verluste. Sie ist dann gerne bereit zu zahlen, damit der Computer wieder reibungslos funktioniert. Auch der Gastronom lässt es sich etwas kosten, wenn der kriminelle Hacker sein Reservierungssystem für Großveranstaltungen manipuliert oder gelöscht hat und dann Schutzgeld für das Ende des Datenangriffs fordert.
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In Coronazeiten dürfte die Aktivität der Schutzgelderpresser vielleicht etwas zurückgegangen sein, weil viele Geschäfte und Gastronomiebetriebe geschlossen haben. Die Kuh, die man dauerhaft melken will, sollte man auch in Krisenzeiten nicht schlachten. Aber vermutlich bringt nicht jeder Schutzgelderpresser diese Weitsicht auf.
Vor Gericht landen meist die Amateure
Vor Gericht trifft man immer wieder mal auf Schutzgelderpresser, hat aber oft den Eindruck, dass es eher Amateure, Gelegenheitstäter sind, die dort landen. Denn bei ihnen trauen sich die erpressten Geschäftsleute offenbar, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Das LKA will solche Einschätzungen eines Gerichtsreporters nicht bewerten: „Welche Täter ,Amateure‘ sein sollen und was einen ,richtigen‘ Täter auszeichnet, ist interpretationsfähig.“
Das Ende der Schutzgelderpressung sieht niemand kommen, auch wenn es in Deutschland immer mal Initiativen gab, mit Hilfe der Öffentlichkeit den Tätern das Handwerk zu legen. Etwa in Berlin die Organisation „Mafia – Nein, Danke“. Auch im sizilianischen Palermo wurden Versuche bekannt, das Gesetz des Schweigens zu brechen. Denn Öffentlichkeit vergraule die Erpresser, sagten die Initiatoren der Bewegung „Addiopizzo“, was sich hoffnungsvoll mit „Tschüss Schutzgeld“ übersetzen lässt. Aber angesichts der hohen Dunkelziffer des Deliktes lässt sich der Erfolg solcher Bewegungen kaum messen.
Schweigen ist feige
Schutzgelderpresser warnen ihre Opfer immer davor, die Polizei einzuschalten. Sie drohen mit schlimmsten Konsequenzen. Doch das Landeskriminalamt NRW hält von diesen Drohungen nichts, empfiehlt genau das Gegenteil.
Hier die Tipps des LKA für Opfer von Schutzgelderpressungen: Ziehen Sie umgehend die Polizei hinzu. Die Polizei verfügt über geschultes Personal zur Bearbeitung von Kriminalität und wird die nötigen Schritte zur Beweissicherung veranlassen.
In Absprache mit der Polizei sollten Sie, wenn Sie über das Internet erpresst werden, Ihren Provider informieren. Gut zu wissen: Namen von Geschädigten macht die Polizei nicht bekannt.
Sollten Sie über das Internet erpresst werden: IT-Sicherheit sieht man nicht. Sie ist aber zwingend notwendig und kostet leider Geld. Lassen Sie sich deshalb von Profis über geeignete Schutzmaßnahmen beraten. Informationen erhalten Sie beispielsweise beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und bei der Initiative „Deutschland Sicher im Netz e.V.“
Zahlen Sie auf keinen Fall! Auch wenn die Forderung im Verhältnis zum drohenden Schaden niedrig erscheint. Wer einmal zahlt, zahlt wieder.
Nutzen Sie in Fällen akuter Bedrohung/Erpressung die 110 oder das Notfallfax. Weitere Informationen erhalten Sie auch unter: polizei-beratung.de
Autor Stefan Wette ist DER GERICHTSREPORTER
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