Essen. Fremdgehen is’ nich’ in Coronazeiten: Kontaktverbot! Überstunden vortäuschen im Homeoffice? Blöd. Ein Betroffener berichtet, ein Experte erklärt.
Je näher der Abend kommt, desto größer wird das Unbehagen. Der Gedanke an das gemeinsame Zu-Bett-Gehen löst längst keine positive Anspannung mehr aus. Vorfreude? Julius (Name vorsichtshalber von der Redaktion geändert) müsste nachdenken, wann er sie zum letzten Mal gespürt hatte, als er daran dachte, mit seiner Freundin zu schlafen. Sein erotisches Verlangen befriedigt er außerhalb seiner Beziehung, ohne dass seine Partnerin es weiß. Julius geht fremd. Mal mit dieser Frau, mal mit jener. In den vergangenen Wochen überwiegend mit einer. Dann kam Corona, die Affäre mit seiner Geliebten liegt auf Eis. Und je näher der Abend rückt, desto mehr spürt er das Verlangen, sie zu sehen.
Sehnsucht nach dem Seitensprung
Julius ist 31 Jahre alt, ein Mann, heterosexuell, in einer Beziehung, zu deren Erfolg Monogamie beitragen sollte. Eigentlich. Doch er gehört zu den geschätzt 40 Prozent der Männer, die ihrer Partnerin oder ihrem Partner bereits untreu waren. 25 Prozent der Frauen sollen sich dann und wann einen Seitensprung erlaubt haben. Die Dunkelziffer mag bei beiden Geschlechtern höher liegen.
Dass ausgerechnet Julius in diesem Text über Empfindungen, Befürchtungen und Sehnsüchte spricht, hat einen einfachen Grund. Er war schlicht der einzige Mensch, der sich dazu bereiterklärt hat. Denn das Reden über Untreue ist schwierig. Zu Coronazeiten aber wird Untreue zu einer Herausforderung: Versteckmöglichkeiten und Gelegenheiten, sich zu treffen, bleiben aufgrund des Kontaktverbots aus.
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Ortswechsel. Jan Göritz ist Heilpraktiker für Psychotherapie und zählt Paar- und Familienberatung zu den Schwerpunktleistungen seiner Hamburger Praxis. Er zieht einen Quervergleich, der verdeutlicht, wie belastend es für eine Beziehung sein kann, in den eigenen vier Wänden eingesperrt zu sein. Schließlich sagt der Volksmund: Nach Ende der Coronakrise heiratet man, oder man trennt sich. „Wenn ich mir anschaue, wie die Scheidungszahlen in China in die Höhe geschossen sind, dann ist das ein Indiz für die Richtigkeit des zweiten Teils der Aussage“, sagt Göritz im Interview mit dieser Zeitung.
Der Lockdown als Belastungsprobe - doch was, wenn die oft als sexueller Ausgleich fungierende Affäre ruhen muss? „Stressige Zeiten erschweren es den Menschen, Fassaden aufrechtzuerhalten, seien es die persönlichen oder die zwischenmenschlichen“, betont Göritz. „Wenn eine Beziehung vorher schon Risse hat, ist die Chance, dass sich diese verschlimmern, sicherlich wahrscheinlicher, als dass eine Wiederannäherung stattfindet.“
Käme ein Zusammenfinden für Julius überhaupt infrage? „Ich mag meine Partnerin“, sagt er, kann aber nicht mehr erinnern, was zuerst da war. Die Affäre oder die nachlassende Attraktivität. Göritz hat eine Idee: „Die Frage, die man stellen muss, ist doch die, wie stabil die Beziehung ist, dass es überhaupt dazu kommen kann, dass einer der Partner sich einer Affäre zuwendet.“ Julius findet es spannend, seine Geliebte zu treffen. Mal in einem Hotel, mal bei ihr zuhause, mal im Auto - dieses Knistern gibt es in seiner Beziehung nicht.
Wie es weitergehen soll? Julius hofft auf Lockerungen. Er will sagen können, dass er abends noch in einem Meeting ist. Er will Treffen mit Freunden vorgeben. Er will nicht mit der Wahrheit konfrontiert werden. Und vor allem: Dass sein Handy 24 Stunden am Tag in der Wohnung ist und somit jederzeit ein Risiko für das Wahren des Geheimnisses darstellt, sei bedrückend. Therapeut Jan Göritz empfiehlt auch deshalb den Abbruch des Kontakts. „Kein WhatsApp, kein FaceTime oder ähnliches.“
Neue Dinge im Bett ausprobieren
Was nun? Konfrontation, Flucht, Eskalation? Göritz sieht zwei Möglichkeiten der Entwicklung, solange die Krise mit all’ ihren Einschränkungen andauert. Zum einen könne ein Gespräch helfen. „Vielleicht neue Dinge im Bett ausprobieren und sich so als Paar wieder näher kommen.“ Wesentlich düsterer jedoch klingt das zweite Szenario: „Auf der anderen Seite ist es sehr gut möglich, dass aufgestauter sexueller Frust sich in Aggressionen wandelt und zu Streits oder sogar Handgreiflichkeiten führt.“
Ratschläge, Empfehlungen und Handlungsweisen kann der Therapeut nicht pauschal geben. Den Kontakt zur Affäre abzubrechen, wie es Göritz empfiehlt, könne nicht nur helfen, das Geheimnis zu wahren. „Ansonsten würde die Sehnsucht nach der Affäre das Zusammenleben eher erschweren“, sagt der Therapeut.
Julius hat aber weiterhin Kontakt zu seiner Geliebten. „Der Gedanke, sie nicht sehen zu können, quält mich“, gibt er zu. Wann es das nächste Mal sein wird, weiß er nicht. Säße er vor Jan Göritz und würde um Hilfe bitten, erhielte er wohl auch diese Antwort: „ In so einer Zeit hat jeder mehr oder weniger große Ängste und Sorgen. Diese für sich zu behalten - und sei es, um den Partner nicht zu belasten - schafft eine gefährliche Distanz.“
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