Berlin. Susanne trifft heimlich Michael, Ralf entdeckt die Affären-SMS. Was passiert in dem Moment, wenn der Betrug auffliegt? Ist es das Aus?
Als Ralf* (58) die Nachrichten auf dem Handy seiner Frau entdeckte, veränderte sich sein Leben schlagartig. Damals, im Januar 2018, bestätigte sich, was er bereits Monate zuvor zu ahnen begann: Susanne* (55) hatte eine Affäre. Fast ein Jahr lang traf sie sich mit Michael*, ihrem zehn Jahre jüngeren Kollegen. Die liebevollen, vertrauten Nachrichten, die er da sah, ließen keinen Zweifel mehr.
Ralf stieg in sein Auto und fuhr stundenlang ziellos durch die Straßen. Er weinte und wusste, dass er das, was er gerade gelesen hatte, nie wieder vergessen würde. 24 Jahre Ehe, zwei gemeinsame Kinder, ein Haus, ein gemeinsames Leben – alles geriet ins Wanken.
Als Ralf wieder nach Hause kam, saß Susanne am Küchentisch. „Ich weiß es“, sagte er. Susanne sagte nichts. Wenn eine Affäre auffliegt, ist das für beide Partner eine Ausnahmesituation. Das, was passiert ist, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Der eine hat es getan, der andere hat es erlitten. Auch durch tage- und nächtelanges Diskutieren kann die Zeit nicht mehr zurückgedreht und das Vertrauen nicht einfach wiederhergestellt werden.
Affäre: Jeder Zweite hat sich bereits fremdverliebt
Fast die Hälfte aller Deutschen ist bereits fremd gegangen: Ob einmalig bei einem One-Night-Stand oder während einer langfristigen Affäre. Eine Studie der Onlinevermittlung ElitePartner zeigt, dass sich fast jeder Zweite bereits fremdverliebt hat. Paartherapeuten gehen davon aus, dass die meisten Menschen betrügen, weil sie mit ihrer Beziehung nicht vollständig zufrieden sind.
„Wenn unsere Ansprüche an eine Partnerschaft langfristig nicht erfüllt werden, suchen sich manche Menschen irgendwann Befriedigung bei Anderen“, sagt Beziehungspsychologe Wieland Stolzenburg. Das gelte nicht nur für sexuelle Bedürfnisse, sondern beispielsweise auch für den Wunsch nach Anerkennung oder emotionaler Unterstützung.
Auch die Ehe von Susanne und Ralf lief seit Jahren schlecht. Die beiden stritten häufig, hatten sich kaum mehr was zu sagen und schliefen in getrennten Betten. „Wir lebten nur noch nebeneinander her“, sagt Susanne. Das kommt in Langzeitbeziehungen häufig vor. Umso mehr freute sich die 55-Jährige über die Komplimente und Aufmerksamkeiten des jüngeren Kollegen.
Laut der ElitePartner-Studie bietet das berufliche Umfeld eine besonders große Versuchung: Mehr als jeder Fünfte hat sich trotz Beziehung schon einmal zu einer Kollegin oder einem Kollegen hingezogen gefühlt. Susanne genoss die Zeit mit dem jüngeren Mann während und nach der Arbeit. So wie Michael sie ansah, hatte Ralf sie jahrelang nicht mehr angesehen. So wie Michael sie berührte, hatte Ralf sie jahrelang nicht mehr berührt.
Sex: Unzufriedenheit in der Beziehung als Ursache für einen Seitensprung
Sexuelle Unzufriedenheit in der Partnerschaft ist die häufigste Ursache für einen Seitensprung. In einer Studie nannten 63 Prozent der Frauen und 55 Prozent der Männer sexuelle Motive als Grund für ihre Untreue. Esther Perel ist eine der erfolgreichsten Beziehungsexpertinnen der Welt. Die 61-jährige Belgierin ist die Autorin des Bestsellers „Die Macht der Affäre – Warum wir betrügen und was wir daraus lernen können“.
Mehr als 20 Millionen Menschen klicken ihre Videovorträge im Internet an. Sie sagt: „In meiner Erfahrung sind die Beziehungen am besten vor Affären geschützt, die noch lebendig sind, wo die Partner neugierig aufeinander sind, sich gegenseitig Aufmerksamkeit schenken, wo interagiert wird“.
Erst als Ralf weinend vor ihr stand, wurde seiner Frau das Ausmaß der Affäre bewusst. „Ich dachte, ihm sei unsere Ehe sowieso egal“, sagt Susanne. Das jedenfalls redete sie sich ein, wenn sie zu Michael fuhr, während Ralf dachte, sie sei auf einem Geschäftstermin. Die aufregenden Treffen mit ihrem Liebhaber taten Susanne gut, sie fühlte sich lebendig und endlich wieder geliebt. Doch als ihr Ehemann so verletzt vor ihr stand, wusste sie, dass sie eine Entscheidung treffen musste.
Krankheit: Betrogene stehen vor erheblichen psychischen Herausforderungen
Treue ist ein bedeutsamer Wert in unserer Gesellschaft. Eine Umfrage des Instituts Allensbach zeigt, dass Loyalität für rund 70 Prozent der Befragten die wichtigste Eigenschaft eines Partners ist. Forscher haben herausgefunden, dass die meisten der Betrogenen nach dem Auffliegen einer Affäre von Symptomen berichten, die denen einer Posttraumatischen Belastungsstörung ähneln. Die Mehrzahl der Paare, in denen einer der Partner untreu war, steht vor erheblichen psychischen Herausforderungen.
Ralf konnte anfangs weder schlafen, noch essen. Er wurde die Bilder in seinem Kopf einfach nicht los. Seine Frau in den Armen eines Anderen. Wo hatten sie sich getroffen? Wie lange ging das schon? Wie weit waren die beiden gegangen? „Ich fühlte mich wie ein Versager“, erinnert sich der Bürokaufmann.
„Unser Ego spielt eine große Rolle“, sagt Beziehungspsychologe Stolzenburg. „Wir vergleichen uns oft und fürchten, dass andere besser sind als wir selbst.“ Dieses unangenehme Gefühl zu unterdrücken, schaffen nur die wenigsten. Jeder Mensch verarbeitet Betrug auf andere Art und Weise.
„Ich habe Menschen gesehen, die ihrem Partner verzeihen konnten, dass er 15 Jahre eine Parallelleben mit einer andere Frau und Familie geführt hat. Und eine andere Patientin konnte nicht darüber hinwegkommen, dass ihr Partner ein einziges Mal einen erotischen Massagesalon besucht hat“, sagt Paartherapeutin Perel. „Wenn jemand zum Beispiel schon in der Kindheit verlassen wurde, also eine Vorerfahrung mit dem Thema hat, fällt es viel schwerer, über eine Affäre hinwegzukommen.“
Trennung: Nicht alle Paare beenden ihre Beziehung nach einer Affäre
In den ersten Wochen war Ralf fest entschlossen, sich zu trennen. Niemals, dachte er, könnte er das Geschehene verzeihen. Doch weil sein Sohn gerade Abitur machte und er gemeinsam mit Susanne entschieden hatte, die „heile Welt“ bis zum Ende der Prüfungen aufrecht zu erhalten, blieb ihm nichts anderes übrig, als im gemeinsamen Haus wohnen zu bleiben und immer wieder mit seiner Frau ins Gespräch zu kommen. „Im Nachhinein war das unser Glück“, sagt er heute.
In emotionalen Situationen ist es nahezu unmöglich, über so weitreichende Konsequenzen wie die einer Scheidung zu urteilen. B
eide Partner brauchen Zeit, bevor über Trennung oder Neubeginn geurteilt werden kann. Auch Susanne musste sich darüber klar werden, was sie will. „Ich hatte mit unserer Ehe eigentlich abgeschlossen“, sagt sie. Doch weil Ralf viel nachdachte und schnell verstand, dass auch er Fehler gemacht hatte, entschied er sich für die Beziehung zu kämpfen. Susanne beendete ihre Affäre.
Der Weg aus der Krise ist schwer. Immer und immer wieder erinnert sich Ralf an das Geschehene. Wut, Trauer und Verzweiflung überkommen ihn. Doch er ärgert sich auch darüber, dass er es so weit kommen ließ. „Ich liebe meine Frau und habe es ihr jahrelang nicht gezeigt“, sagt der 58-Jährige.
Betrug in der Beziehung: Die Partner müssen sich ihren Gefühlen stellen
In einer Paartherapie, die die Krankenkasse bezahlt, arbeitet das Paar die Vergangenheit auf. „Gefühle lösen sich nur, wenn wir sie fühlen“, sagt Beziehungsexperte und Autor Stolzenburg der im September das Buch „Beziehungsglücklich“ veröffentlich hat. Um Konflikte zu bewältigen, müssen sich beide Partner ihren Emotionen stellen. Dazu sind nicht alle bereit. In Stolzenburgs Augen ist das jedoch die einzige Chance, dass sich Gefühle auflösen können.
Vertrauen wieder aufzubauen ist mühsam. „Am Anfang kann das Paar zum Beispiel vereinbaren, dass der Betrogene das Handy oder die Kreditkartenabrechnungen checken darf“, sagt Stolzenburg. Wenn Susanne geschäftlich unterwegs ist, ruft sie Ralf nun regelmäßig an. „Mich nervt das manchmal, aber ich weiß, dass es ihm damit besser geht“, erklärt sie. Sie wisse auch, dass sie sich den Vertrauensvorschuss erst wieder erarbeiten muss.
Krise: Erst wenn sie da ist, fangen Paare an, über sich nachzudenken
Nicht alle Paare entscheiden sich dazu, nach einer aufgeflogenen Affäre zusammenzubleiben. Untreue ist der häufigste Trennungs- und Scheidungsgrund. Doch Krisen stellen immer auch Chancen dar. „Viele Paare setzen sich nach einer so schmerzhaften Erfahrung erstmals intensiv mit ihrer Beziehung auseinander“, berichtet Paartherapeut Stolzenburg. Sie stellen fest, was in den letzten Jahren falsch lief und können so gestärkt aus dem Erlebnis hervorgehen.
Dafür müssen sich allerdings beide Partner bewusst dazu entschließen, zusammen bleiben zu wollen und sich auf einen oft langwierigen und schmerzlichen Prozess einlassen. „Einer alleine kann die Partnerschaft nicht retten.“
Fast zwei Jahre ist es nun her, dass Ralf die Nachrichten auf dem Handy seiner Frau gefunden hat. In diesen zwei Jahren sind viele Tränen geflossen und unzählige Gespräche geführt worden. Doch das Paar hat aus früheren Fehlern gelernt. Sie sprechen über ihre Bedürfnisse, fahren gemeinsam in den Urlaub und sind sich auch körperlich wieder näher gekommen. „Es ist als hätten wir uns neu kennengelernt“, sagt Susanne. Beide wissen, dass noch viel Arbeit vor ihnen liegt. Doch sie glauben daran, dass sich die Mühe lohnt und würden es - wenn sie nochmal neu beginnen könnten - nie mehr so weit kommen lassen.
*Name geändert
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