Wuppertal. Auf Youtube zeigen Jugendliche in der Webserie „Corona Diaries“ ihr Leben bei Versammlungsverbot. Aus den Clips soll ein Film entstehen.
„Eine Packung Toast wollte ich auch mitnehmen, aber dann habe ich eine Familie gesehen, die um die Ecke kommt und nach Toast sucht“, erzählt Aris in die Kamera. „Da das die letzte Packung war, habe ich die denen gegeben.“ Solidarisch, würde man sagen. Ganz normal, meint Aris. Der 20- Jährige wohnt „am Arsch der Welt“, wie er selbst sagt. Der nächste Supermarkt ist nicht mal eben um die Ecke. Das alles erzählt Aris den Menschen auf Youtube. Allen, die die Corona Diaries (Corona-Tagebücher) des Medienprojekts Wuppertal anklicken.
Jugendliche wie Aris, Dalia, Nils, Fikria und viele, viele mehr erzählen im Videotagebuch, wie sie die aktuellen Geschehnisse wahrnehmen. Was sie tun, um sich abzulenken. Wie sie sich fühlen in einer Zeit, in der Treffen mit Freunden nur noch Erinnerungen sind und Schulaufgaben per Mail eintrudeln. Mit dem Handy aufgenommen. Ungeschönt, einfach drauf los.
„Die einzige Maßgabe ist Ehrlichkeit“, sagt Andreas von Hören, Geschäftsführer des Medienprojekts Wuppertal. Gemeinsam mit seinem Team hat er das Konzept für die Webvideo-Serie auf die Beine gestellt. „Was ist überhaupt noch möglich?“ Das hat Andreas von Hören seine Kollegen vor rund zwei Wochen bei einer Krisenkonferenz gefragt. An eine reguläre Produktion in der Jugendfilmwerkstatt ist seit den Corona-Schutzmaßnahmen nicht mehr zu denken. Selbst das Wort Schließung habe kurzzeitig im Raum gestanden.
Wieso also nicht das zum Thema machen, was ohnehin alle beschäftigt? „Unser Ziel ist es, den jungen Menschen eine Stimme zu geben“, erklärt Andreas von Hören. „Wir wollen vermitteln: ‚Guckt mal, das Leben geht trotzdem weiter‘.“ So wurden kurzerhand rund 30 Jugendliche für das Projekt Corona Diaries mobilisiert, der Großteil von ihnen aus Wuppertal und bereits im Medienprojekt engagiert.
So wie Nils. „Ich versuche, möglichst normal mit der Lage umzugehen und nicht auszuflippen“, erzählt der 16-Jährige in einem virtuellen Tagebucheintrag. Durch seine Erfahrung in der Jugendfilmwerkstatt kann er die Videoreihe auch abseits der Kamera unterstützen, beim Schneiden. „Ich sichte das Material und schneide es zusammen“, erklärt Nils. „Ganz grob, ohne Korrekturen beim Licht und Sound.“ So wie das echte Leben halt ist. Die Dreiminüter entstehen schnell, pro Tag gehen mindestens fünf Videotagebücher online. „Das ist kein Vergleich zu einer normalen Filmproduktion.“
Kein Vergleich zum Normalzustand ist auch das, was Dalia in dem Supermarkt erlebt, in dem sie jobbt. „Klar versucht man, sein Leben zu leben, aber es ist schwieriger geworden“, erzählt sie. Einige Regale, die sie abfilmt, sind leer. Sie wisse um die Panik der Leute, versuche aber, so normal wie möglich weiterzuarbeiten. Zumindest den Umständen entsprechend. „Abstand halten“ steht auf roten Stickern, die auf dem fleckigen Fußboden des Ladens haften. „Wir arbeiten jetzt mit Sicherheitsmaßnahmen, was ich auch besser finde.“
„Als ich erfahren habe, dass Basketball ausfallen muss, war ich psychisch kaputt“, erzählt Fikria. Trost habe sie durch einen Freund aus Italien bekommen, der auf noch viel mehr verzichten muss. „Ich möchte dankbar sein, dass wir hier noch nicht komplett gefangen sind und noch raus dürfen.“
„An diese Zeit werden wir alle noch zurückdenken“, sagt Organisator Andreas von Hören. Für die Zeit nach der Krise soll aus den ganzen kurzen Videos sozusagen ein großes entstehen, ein Film. Mit Premiere und allem, was dazugehört. „Der soll zeigen, was wir gemeinsam erlebt haben.“ Bis dahin geht es aber erstmal mit den kurzen Videotagebüchern weiter. „Mal schauen, wie lange“, sagt Andreas von Hören. „Es machen immer mehr Jugendliche mit und jeder hat eine andere, spannende Perspektive.“
So können Jugendliche mitmachen
· Wer einen Clip zu den Corona Diaries beitragen möchte, kann mit dem Smartphone im Querformat drauflos filmen. Auf der Homepage erklären die Organisatoren: „Filme deine Umgebung, wie sieht es aus, was ist anders? Interviewe deine Mitmenschen oder auch dich selbst: Wie war’s heute? Was vermisst du? Worauf freust du dich?“
· Interessierte Jugendliche können sich bei Fragen per Mail an das Team des Medienprojekts Wuppertal wenden: info@medienprojekt-wuppertal.de oder per WhatsApp-Nachricht an 0177-7391405. Jugendliche, die noch nicht volljährig sind, brauchen eine Einwilligung ihrer Erziehungsberechtigten. Weiterführende Informationen gibt es auf filmdeinfilm.de