Essen. In Zeiten leerer Supermarktregale bestellen immer mehr Menschen Lebensmittelkisten. Wie die Lieferanten versuchen, dem Andrang gerecht zu werden.
Um 3 Uhr morgens gehen derzeit bei der Flotten Karotte in Bochum auf dem ehemaligen Gelände der Zeche Holland die Lichter an, Bestellung um Bestellung wird abgearbeitet. Täglich wandern bis 22 Uhr, sofern noch vorrätig, Obst, Gemüse, Eier, Nudeln und natürlich das besonders gefragte Toilettenpapier in die grünen Kisten. „Wir packen im Zwei-Schichten-System“, erklärt Christian Goedt, Geschäftsführer des Biolebensmittel-Lieferanten. „Anders kommen wir nicht mehr hinterher.“
Das, was Goedt schmunzelnd als „spannende Zeit“ bezeichnet, erleben aktuell sämtliche Lebensmittellieferanten – einen kaum zu bewältigenden Ansturm. Seit die Corona-Krise in den Köpfen der Bevölkerung angekommen ist, ist die Einkaufswut ausgebrochen. Der Vorteil beim Lieferdienst-Einkauf: Eine bequeme, kontaktlose Warenlieferung bis an die Haustür. Dafür greifen die Stubenhocker auch gerne tiefer in die Tasche, besinnen sich auf Bio-Ware und Regionales.
„Bestandskunden haben Vorrang“
Anders als Supermärkte, die ihren Kunden leere Regale präsentieren müssen, können die Lieferdienste ‚Stopp‘ sagen. Sie müssen sogar. „Bestandskunden haben Vorrang“, erklärt etwa Sabine Anuth vom Hof zur Hellen in Velbert. Bis auf weiteres ist dort die Aufnahme von Neukunden ausgesetzt. Zusätzlich sind die Stammkunden angehalten, ihren Einkauf den Umständen anzupassen. „Der Platz in den Lieferfahrzeugen ist knapp, wir liefern doppelt so viele Kisten wie sonst aus.“ Nächste Woche wolle man eine erneute Neukundenaufnahme erwägen, abhängig vom Feedback der Auslieferungsfahrer.
Ein Problem scheinen alle Lebensmittelhändler zu teilen: Es mangelt nicht an Ware auf dem Markt, es mangelt an Kapazitäten. Zu wenige Mitarbeiter, zu wenige Fahrzeuge, zu viele Aufträge. „Es ist logistisch irre! So viel wie nachgefragt ist, können wir gar nicht leisten“, erzählt Simone Deiters vom Biolandhof Deiters in Schermbeck. Auch hier: Aufnahmestopp für Neukunden, trotz Dauerbetriebs im Zwei-Schichten-System. Die Stammkunden danken’s – „sie bestellen deutlich mehr als sonst“. Der Renner: Mehl, Reis und Hefe. Getränkekisten sind aus dem Sortiment geflogen, um die Auslieferungsfahrer zu entlasten und Platz in den Fahrzeugen zu schaffen.
Eine psychische Belastungsprobe
Simone Deiters gesteht: „Das ist psychisch schwierig für uns alle.“ Müßig, Kunden mehrfach am Tag erklären zu müssen, wieso keine Getränkekisten mehr geliefert werden. Aufreibend, nicht zu wissen, wie die Überstunden der Mitarbeiter abbezahlt werden sollen. Außenstehende gingen bestimmt von einem Bomben-Geschäft aus, aber „das ist gar nicht aufzuwiegen, diese Mehrbelastung“.
Christian Goedt von der Flotten Karotte in Bochum kann dem Ansturm trotzt allem Stress doch etwas Positives abgewinnen: „Die Hilfsbereitschaft ist wirklich genial.“ Es haben sich viele Menschen gemeldet, die nun Zeit haben und beim Packen der Kisten helfen könnten. Auch seien Lebensmittellieferanten aus der Gastronomie auf ihn zugekommen und haben ihre Waren angeboten. „Dafür bin ich wirklich dankbar.“ Diese Woche sei die stärkste Woche in rund 24 Jahren Betrieb bei der Flotten Karotte gewesen.
Viel Verständnis von den Kunden
Die inständige Hoffnung, die über dem Produktions- und Lieferwahnsinn schwebt: Niemand von den Mitarbeitern darf krank werden. „Deswegen haben wir unsere zusätzliche Packschicht räumlich getrennt“, erklärt Marc Schmitt-Weigand, Betriebsleiter bei dem Dortmunder Lieferdienst Abokiste24. Von Seiten der Kunden komme viel Verständnis – trotz Warteliste und Engpässen. „So viel Wertschätzung gab’s noch nie.“
Der Dortmunder Lebensmittelhandel läuft auf Hochtouren. 200 Neukunden wollen schließlich etwas vor ihrer Haustür sehen, im Schnitt 50 Prozent mehr Ware als sonst. Konsequenz: Es braucht mehr Packkräfte, Auslieferungsfahrer und Fahrzeuge. „Neue Leute anzulernen, kostet viel Zeit“, erklärt Schmitt-Weigand. Zeit, die er in den letzten drei Wochen immer seltener hat. „Letzte Woche sind die Bestellungen quasi explodiert!“ Da haben selbst die Server des Online-Shops vorübergehend klein beigeben müssen.
Der biologische Stoffwechsel ist Basis allen Lebens
In einem Schreiben (siehe Foto), das der Dortmunder Lebensmittelhändler diese Woche allen ausgelieferten Kisten beilegte, steht: „Wenn die aktuelle Entwicklung etwas Gutes hat, dann vielleicht, dass wir alle einmal daran erinnert werden, dass selbst in unserer hoch technisierten Gesellschaft immer noch der biologische Stoffwechsel Basis allen Lebens ist.“
Regionale Abokisten
· Hof zur Hellen (Velbert): hofzurhellen.de
· Bauerntüte (Köln): bauerntuete.de
· Veggihaus (Bochum): veggihaus.abo-kiste.com
· Abokiste24 (Dortmund) : abokiste24.de
· Flotte Karotte (Bochum): flottekarotte.de
· Dein Bioshop (Velbert): deinbioshop.de
· Naturkost Schniedershof (Wachtendonk): schniedershof.de
· Biohof Deiters (Schermbeck): biohofdeiters.de
Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG