Essen. Schmuck-Produkt gestaltet Ketten oder Krawattennadeln auf Zollverein. Dafür nehmen die Designerinnen auch mal eine Fahrradkette oder Kohle.
Bei Schmuck ist ja nicht nur das Aussehen wichtig, sondern auch, wie er sich trägt. So kann man sich auf den ersten Blick gar nicht vorstellen, dass dieses Stück passen soll: Die ungeschliffenen Swarovski-Kristalle liegen nicht auf dem Edelstahlring. Sie sind dort befestigt, wo Eheleute die Gravur tragen: im Inneren des Rings. Und doch passt dieser hervorragend. Insbesondere, wenn die Trägerin eine „schmale Taille“ hat.
Damit meint Schmuckdesignerin Julia Stotz nicht den Bauchumfang. Die 45-Jährige zeigt auf die Stelle am Ringfinger, wo das Schmuckstück sitzen soll. Um dorthin zu gelangen, muss der Ring erstmal über den Knöchel. Und der ist oft breiter als die „Taille“. Und dann schlackert der Ring am Finger herum. Die kleinen Steinchen sind die Lösung: „Man kriegt den Ring über den Finger“, sagt Julia Stotz, während sie ihn sich drehend aufsetzt. Und die Luft zwischen Finger und Ring werde durch die Kugeln hübsch ausgefüllt. Seitlich sieht man die Swarovski-Kristalle funkeln.
Da gab es noch kein Ruhr-Museum
Die Designerin gehört zu „Schmuck-Produkt“. Vor 22 Jahren gründete Annette Wackermann das Label zusammen mit drei Kolleginnen, mit denen sie an der Fachhochschule Düsseldorf Produktdesign studiert hat und die mittlerweile neue Wege gegangen sind.
Damals gab es auf Zollverein noch kein Ruhr Museum. Und auch noch nicht so viele Touristen, die nach einem Weltkulturerbe-Souvenir fragten. Das bieten Stotz und Wackermann heute an. Etwa einen Schlüsselanhänger oder eine Krawattennadel mit eingraviertem Förderturm.
Raffinierter: ein Collier aus kleinen Zollverein-Fotos. Ein Armreif, der an die Gleise auf dem Gelände des ehemaligen Bergwerks erinnert. Oder Ringe, Ohrstecker, Ketten (39 bis 59 €) mit einem Splitter Kohle. „Wir haben echte Zollverein-Kohle verarbeitet“, sagt Annette Wackermann. Und Julia Stotz fügt hinzu: „Die ist von einem Steiger, der hier mal gearbeitet hat.“
In der Schmuck-Produkt-Werkstatt stehen kleine Zangen und Pinzetten bereit. Aber die Arbeit der beiden Frauen ist nicht nur filigran. Da wird auch mal mit einem Hammer eine Platte für ein Medaillon ausgehauen und die Kurbel an der Walze so lange gedreht, bis das Stück 0,2 Millimeter winzig ist. „Das ist immer viel Muckibude“, sagt Julia Stotz lachend.
Dabei kommt niemals etwas weg. Selbst der kleinste Splitter Silber wird aufgefangen und zur Scheideanstalt gebracht, die nicht trennt, sondern das Material wieder vereint. So können die Designerinnen mit neu gegossenen Ringen weiterarbeiten.
Recyceltes Silber oder Gold
Kunden bringen auch schon mal alten Schmuck mit, den sie nicht mehr mögen. Daraus entsteht dann Neues. Das sei sowieso das Schöne an ihrer Arbeit im Gegensatz etwa zu der eines Bäckers, so Julia Stotz: „Wenn es nichts geworden ist, dann schmelze ich es wieder ein.“
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Viele Schmuckstücke sind aus recyceltem Silber oder Gold, das liegt den beiden Frauen am Herzen. Oder sie schauen genau nach, wie das Edelmetall abgebaut wurde, damit nicht noch mehr Böden oder Gewässer durch giftiges Quecksilber verunreinigt werden. So hat Annette Wackermann zum Beispiel Waschgold aus dem finnischen Lappland verarbeitet. „Das Gold wird dort noch mit einer Goldwaschpfanne ausgewaschen“, sagt die 53-Jährige.
Und noch mehr tun sie für die Umwelt: So haben sie zum Beispiel Ohrstecker im Programm, die mal Fahrradketten waren. Zudem stellen sie zurzeit Schmuck der Kollegin Christine Klomfaß aus. Die gelb-weißen Ohrhänger und Ketten erinnern an Muscheln. In Wirklichkeit waren sie mal Shampoo- oder Duschgelflaschen – eine Kritik an den Kunststoffkonsum.
Schmuck-Produkt geht spielerisch mit Techniken und Materialien um, graviert mit alter Ätztechnik das Bild von Pusteblumen-Schirmchen in silberne Anhänger oder lässt geflochtene Ringe in einem 3D-Drucker entstehen. Einen Alu-Ring gibt es schon für 4,50 Euro, viele Ketten kosten zwischen 150 und 200 Euro.
So wird aus einem Halbkaräter ein Einkaräter
Bei einem Ring hat Julia Stotz eine Lupe eingebaut, die die orangefarbenen Feueropale aus Äthiopien vergrößern. Das funktioniert natürlich auch mit Brillanten. „Da wird der Halbkaräter zum Einkaräter“, scherzt Stotz.
Dabei ist ihr Schmuck nicht zum Profilieren da, vielmehr soll die Trägerin damit an Profil gewinnen. Gibt es eigentlich eine Faustregel, wer welchen Schmuck tragen kann? „Nein“, sackt Wackermann. „Es kommt aufs Styling an, aufs Selbstbewusstsein. Auch kleine Frauen können großen Schmuck tragen.“
>> Mein Lieblingsteil
Schöner Schmuck muss nicht aus Edelsteinen sein. Julia Stotz liebster Anhänger ist aus Glas. Das Stück hat ihre Kollegin Christine Klomfaß auf der Halde Prosperstraße in Bottrop gefunden. „Es reflektiert das Licht, als ob es ein echter Stein wäre“, sagt Stotz. Dabei ist es Bauschutt.
„Ich finde das rau und ehrlich“, so die Designerin. Ihr gefällt dabei der Umweltgedanke. Schön gestalteter Schmuck brauche auch kein Edelmetall. So ist die Anhänger-Fassung nicht aus Silber: Sie war mal ein Autokennzeichen.
>> Mein Stylingtipp
Aus altem Schmuck können Designer neuen machen – oder man trägt ihn einfach mal anders. Eine Frau kann eine lange Kette auch zweireihig um den Hals legen.
Oder sie führt die Kette etwa durch ein Röhrchen hindurch, das das Geschmeide zusammenhält. So liegt die Kette nicht rund, sondern y-förmig im Dekolleté. „Schon hat man eine ausgehfähige Kette, die man vorher links liegen gelassen hat“, sagt Julia Stotz. „Oder man lässt sie beim Abendkleid neckischerweise am Rücken hinunterlaufen.“
Schmuck-Produkt, Zeche Zollverein, Halle 12, Schacht XII. Gelsenkirchener Str. 181, Essen, Mittwoch - Samstag, 12 - 18 Uhr, schmuckprodukt.de