Bottrop. Mit Adolf Winkelmann auf der Halde Prosperstraße in Bottrop, von wo man noch den freien Blick auf die ungestüme Industriekulisse einer Kokerei hat.
Bottrop-Batenbrock, sonntags kurz nach Sonnenaufgang. Adolf Winkelmann steht auf der Halde, das alte Ruhrgebiet im Sucher, den Strukturwandel im Rücken. Ein selten gewordener Anblick, der sich hier bietet: Eine gewaltige Wolke Wasserdampf quillt kraftvoll gen Firmament, vermeintlich fest wie explodierende, graue Zuckerwatte, riesenhaft am wolkigen Morgenhimmel – und doch in ein paar Minuten nur noch ein warmer Dunst in höheren Sphären.
„20 Tonnen Wasser alle zehn Minuten“, erklärt Regisseur Winkelmann den ewigen Rhythmus, der in der Kokerei Prosper die Arbeit bestimmt, Stunde für Stunde, Jahr für Jahr, gnadenlos und ohne Unterbrechung. 20 Tonnen Wasser, die sich alle zehn Minuten wie ein Wasserfall auf die glühenden Wagen mit dem frischen Koks ergießen, um augenblicklich zu verdampfen.
Ein Blick auf den Kontrollmonitor
Wer jetzt neugierig seinen Blick auf den Kontrollmonitor der Kamera wirft, sieht nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit: So wie sich hier die Türme, Rohre, Schlote und Schienen zu einem Moloch von Industrieanlage vereinen, so hat es hier schon vor fünfzig Jahren ausgesehen, in den 1960ern. Und davor auch schon. Dies sind die Details, die Winkelmann interessieren, nicht das viele Grün drumherum, nicht die rot bemalten Brücken, nicht die Landmarken des heutigen Reviers. Und nicht das Alpincenter, das sich hinter ihm die Halde hinabschlängelt und noch unter dem Restrausch des gestern Nacht dort gefeierten Oktoberfestes zu ächzen scheint.
Adolf Winkelmann dreht hier gerade noch Einstellungen für „Junges Licht“, die Verfilmung eines Romans von Ralf Rothmann, die Geschichte eines heranwachsenden Bergmannssohns in eben jenen 60er-Jahren. Das Ruhrgebiet, das der Autor mit seinen Worten wiederauferstehen lässt, findet man heute nur noch an sehr wenigen Ecken. „Weil es mittlerweile so wenige von den Originalmotiven gibt und sie überall verteilt sind, haben wir sie eben überall gesucht, in Bottrop, Bochum, Dortmund“, sagt Winkelmann. Was wir durch den Sucher sehen, ist der Ausblick vom Balkon der Bergmannsfamilie, um die es geht. „Ich war so glücklich, als ich das gefunden habe, weil ich da sagen konnte: Das ist jetzt das Bild. Es ist zwar nicht ganz naturalistisch, aber ich wollte eben, dass die Leute von ihrem Balkon aus über das Ruhrgebiet gucken. Es geht darum, verschiedene Bilder zusammenzuziehen zu einem großen Bild.“
Der Freizeitwert des industriellen Erbes
Wo Rothmanns Roman eigentlich spielt, in Oberhausen-Sterkrade, findet man eine solch unverstellte Ruhrgebietsperspektive heute gar nicht mehr. Und auch in Bottrop-Batenbrock muss man seinen Blick schon bewusst verengen, um zu übersehen, dass wir es hier nicht nur mit der wahrscheinlich längsten Indoor-Skipiste der Welt zu tun haben, sondern auch noch mit einem Hochseil-Kletterparcours, einer Sommerrodelbahn und einer Skydiving-Anlage. Hier zeigt sich der Strukturwandel in vollem Ausmaß – und der unbedingte Wille der Menschen an der Ruhr, aus dem industriellen Erbe heute den bestmöglichen Freizeitwert herauszukitzeln.
Ein Film mit Udo Lindenberg, HanneloreHoger und Tana Schanzara
Das war 1983 noch ganz anders. Damals drehte Winkelmann den Film „Super“ auf der Halde Brinkfortsheide in Marl, die da noch aussah wie eine tiefschwarze Vulkanlandschaft und ideal in die Endzeitstimmung der düsteren Schlepper-Dystopie passte. Im schmutzigen Schlamm, den der verregnete Sommer dem Drehteam hinterlassen hatte, standen auch Udo Lindenberg, Renan Demirkan, Hannelore Hoger, Tana Schanzara und Ulrich Wildgruber. Das ist 32 Jahre her – und auch die Halde hat, obwohl sie noch bis Ende des Jahres mit dem Abraum des Bergwerks Auguste Victoria geschüttet wird, ihr Gesicht heute begrünt. Und der Bergbau weicht nun langsam der Windenergie.
Fast scheint es, als müsse ein Filmemacher wie Adolf Winkelmann sich beeilen, seine Filme noch vor alter, vor authentischer Kulisse zu drehen, denn jene Stellen, an denen das montane Ruhrgebiet noch sichtbar sind, werden immer weniger. Längst sind viele von ihnen ein Fall fürs Museum – oder dienen als Industriedenkmal.
Winkelmann fühlt sichIm Ruhrgebiet zuhause
Dass Winkelmann mit seiner Ruhrgebietssaga diesem alten Ruhrgebiet selbst einige Denkmäler gesetzt hat, war zunächst keine Absicht. „Ich war ja im Ruhrgebiet zu Hause. Eigentlich geht man als Künstler dann irgendwann weg, nach Berlin. Aber das habe ich irgendwie verpasst. Erst später dann habe ich gemerkt, was das für eine tolle Gegend ist, gerade wenn man sich wie ich künstlerisch mit der Wirklichkeit auseinandersetzt. Weil man einfach nur die Haustüre aufmacht, schon steht man in dem drin, das die Geschichten produziert, die man erzählen möchte.“