Dortmund. Digitale Lösungen weichen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend auf. Das birgt große Chancen, aber auch Risiken, warnen Experten.
Ob fahrerlose Transportsysteme in der Logistik, Roboter in der Fertigung oder Videokonferenzen und Cloud-basiertes Datenmanagement im Büro: Längst hat die Digitalisierung Einzug gehalten in den Arbeitsalltag von Millionen von Menschen. Nicht wenige Arbeitsplätze, gerade im industriellen Sektor, hat sie seither schon überflüssig gemacht, dafür an anderer Stelle neue entstehen lassen.
Dass sich diese Entwicklung auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten fortsetzen, ja eher noch verstärken wird, ist kein Geheimnis. Digitale Technologien, so sind sich Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft einig, bergen für Arbeitnehmer große Chancen, aber ebenso Risiken, sie können Fluch und Segen zugleich sein.
Wie angenehm, wie sozialverträglich und gesundheitsfördernd sich unsere Arbeit indes künftig gestalten wird, hängt vor allem davon ab, wie und an welcher Stelle ebendiese Technologien zum Einsatz kommen. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Diskussionsveranstaltung zur Frage „Wie werden wir zukünftig arbeiten?“, zu dem das Dortmunder Leibniz-Institut für Arbeitsforschung, das Fraunhofer-Institut und die Sozialforschungsstelle der TU Dortmund in dieser Woche geladen hatten. Gut 50 Teilnehmer, darunter Studierende, Forscher, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nahmen an der Debatte teil.
Forscher: Experten-Berufe sind nicht in Gefahr
Wie unsere Arbeit in zehn, 20 oder gar 50 Jahren aussieht, sei zwar nur schwer vorhersehbar, „Umstrukturierungen im Arbeitsmarkt werden aber zwingend erforderlich sein“, so Gerhard Rinkenauer, Leiter des Zukunftslabors „Mensch-Technik-Interaktion“ am Dortmunder Leibniz-Institut. Denn: „Infolge der Digitalisierung verändern sich die Anforderungsprofile laufend, die Halbwertszeit von Wissen und Qualifikation wird immer kürzer.“ Gerade in der Ausbildung – egal ob schulisch, universitär oder betrieblich – gebe es deshalb schon jetzt viel Anpassungsbedarf, ebenso im sozialpolitischen Bereich.
Nahezu sämtliche Aufgaben, die „standardisierbar“ sind – und bisher noch von Menschenhand erledigt werden –, könnten schon bald von Maschinen beziehungsweise künstlicher Intelligenz (KI) übernommen werden. „Das sieht man ja heute bereits bei den Bankern: Kein Mensch geht noch zur Bankfiliale, um eine Überweisung zu tätigen“, so der Forscher. Der Trend werde sich künftig noch auf andere Bereiche ausweiten – eben überall dort, wo insbesondere repetitive Tätigkeiten anfallen. Helfer-Berufe sind demnach besonders betroffen, Experten-Berufe weniger.
Der Diplom-Informatiker Benedikt Mättig vom Fraunhofer-Institut wiederum bremst: „Technik kann beileibe nicht alles.“ Alle KI-basierten Systeme hätten gemein, dass sie auf strukturierte Umgebungen angewiesen seien. Bei Unregelmäßigkeiten komme deshalb auch in Zukunft der Mensch zum Einsatz. Die Folge sei eine Verschiebung der Verantwortlichkeiten.
Nur durch die Verbindung der Stärken von Mensch und Maschine könne die „Vereinbarkeit des scheinbar Unvereinbaren“ gelingen, ist Mättig sicher. Moderne Technologie gibt Empfehlungen, unterstützt und dient als Hilfsmittel – entscheiden jedoch müsse stets der Mensch. KI dürfe nicht bloß mit logistischer Intelligenz verglichen werden. Auch soziale und emotionale Intelligenz spielten eine erhebliche Rolle, gerade bei sozialen Berufen, etwa in der Pflege.
Streitthema Homeoffice: Fluch oder Segen?
Der Einsatz modernster Technik sei nicht nur bei großen Unternehmen denkbar, auch kleine und mittelständische Betriebe können profitieren. Jedoch müssten auch hier zunächst die entsprechenden Prozesse identifiziert und Ängste genommen werden. Denn: „Die Sorge vor dem Wegfall des Arbeitsplatzes ist noch immer stark in den Köpfen der Menschen verankert“, weiß der Dortmunder Sozialforscher Ralf Kopp – „die meisten Befürchtungen sind jedoch bis dato nicht eingetroffen“.
Zudem, so habe sich in der Vergangenheit gezeigt, könnten viele Jobs, die durch Automatisierung in der Produktion wegfallen, durch den wachsenden Dienstleistungssektor wieder aufgefangen werden. „Nicht alles, was substituiert werden kann, wird auch substituiert“, so Kopp weiter. Hier sei es an den Entscheidern in Politik und Wirtschaft, nicht nur auf die Rentabilität zu schauen, sondern auch mit moralischer Weitsicht zu handeln.
Diskussionsstoff bietet auch weiterhin das Thema Homeoffice: Wie nirgendwo sonst wird bei der Heimarbeit deutlich, dass die Digitalisierung Vor- und Nachteile gleichermaßen mit sich bringt. So könne die Arbeitszeit zu Hause zwar flexibler gestaltet und Job und Freizeit besser in Einklang gebracht werden, jedoch gebe es auch „eine ganze Reihe von unangenehmen Folgen“, wie Kopp weiß – dazu zählen eine hohe Kontrolldichte, permanente Erreichbarkeit und der Wegfall des Betriebs als Sozialort. „Hier müssen Systeme entwickelt werden“, so Kopp weiter, „die die Totalauflösung des betrieblichen Raums verhindern und der Flexibilisierung natürliche Grenzen setzen.“
Alles eine Frage der Gestaltung
Im Homeoffice, warnt auch Rinkenauer, bestehe die Gefahr, dass Arbeitnehmer lange gar nicht bemerken, dass sie sich immer weiter in Richtung Erschöpfung und Burnout bewegen. „Im Prinzip haben wir keine guten Sensoren dafür, wie psychisch erschöpft wir eigentlich sind“, so der Wissenschaftler.
Derweil werden in der Arbeitsforschung mehr und mehr Projekte initiiert, die sich mit dem „Tracken“, also dem Aufzeichnen der Arbeit beschäftigen – dies allerdings nicht im negativen, sondern im gesundheitsfördernden Sinne, wie Rinkenauer betont. „Es geht in erster Linie darum, herauszufinden: Wie hoch ist die Beanspruchung der Mitarbeiter?“ So könnten entsprechende Systeme zum Beispiel individuelle Pausen-Empfehlungen geben. Digitale Technologien ließen sich zum Schutz der Menschen verwenden, wenn auch in der Praxis bisweilen das Gegenteil der Fall ist – etwa zu Überwachungszwecken in manchen Logistik-Unternehmen.
Unter dem Strich, so Rinkenauer, „sind doch Werkzeuge und deren Entwicklung in der Menschheitsgeschichte nichts Neues“ – insofern sei eine Terminator-ähnliche Zukunft, wie Digitalisierungskritiker befürchten, ein Beherrschtwerden von Maschinen, auch in absehbarer Zukunft nicht zu befürchten. „Wie wir in Zukunft arbeiten“, so Kopp, sei „keine Frage der Technik, sondern vielmehr der Gestaltung.“
Sollte Informatik in der Schule zum Pflichtfach werden?
„In der Schule sollte Programmieren zum Pflichtfach werden“ – Diese These erhielt bei der Diskussionsrunde des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung viel Zustimmung. Auch wenn einigen Teilnehmern eine Pflicht zu pauschal erschien, werde die Wichtigkeit des Erlernens von Programmiersprache – gerade im Bereich Forschung und Entwicklung – bis heute unterschätzt. Den Schülern sollten zumindest für eine gewisse Zeit auch solche Bereiche aufgezeigt werden. Zudem bestehe somit die Chance, künftig auch mehr Frauen für den Beruf der Informatikerin zu begeistern.