Gelsenkirchen. Besuch eines der größten Trödelmärkte in NRW: Neben der Schalke-Arena in Gelsenkirchen treffen Hirschgeweihe auf Kohleromantik.
Celine van Lankveld hat die dicksten Eier Gelsenkirchens. Das zumindest behauptet ihre Kundschaft. Auf jeden Fall aber sind es die dicksten auf dem ganzen Markt. Als „größter Trödelmarkt in NRW“ wird die kuriose Veranstaltung zu Füßen der Schalker Arena bezeichnet. Vollmundig nennen die Veranstalter ihre Internetadresse „Gigantmarkt.de“. Da gehört es wohl zum guten Ton, auch Hühnereier anzubieten, die aussehen, als wollten sie mit denen von Straußen wetteifern. Mit stolzem Gesichtsausdruck nennt die Niederländerin van Lankveld das Geheimnis ihres Produkts: „Wir nehmen nur Doppeldotter von jungen Hennen.“
Fast jeden Dienstag lässt sich dieses Schauspiel miterleben, wenn zwischen 6 und 14 Uhr der Parkplatz an der Willy-Brandt-Allee zu kulturellem Schmelztiegel und Basar mutiert. Geruch von Antiquariatsstaub mischt sich hier mit dem Duft orientalischer Gewürze. Kohleromantik und Hirschgeweihe prallen auf das Morgenland. Gleich der erste Stand steht sinnbildlich dafür: Inmitten billiger Plastikketten hängen zwei Wimpel aus farbigen Glasperlen. Sie tragen die Embleme von Schalke 04 und Fenerbahçe Istanbul.
Spongebob und eine Ikone für zehn Euro
Doch es geht auch richtig abgedreht: Ein von Kinderhand gemalter Spongebob in Acryl bildet mit einer orthodoxen Ikone aus Öl ein bizarres Arrangement. Zehn Euro pro Bild, verrät ein mit Kugelschreiber bekritzelter Zettel. Beide Werke zusammen gibt es gar zum halben Preis.
Gerade die Schnäppchen haben heute mehrere hundert Besucher angelockt. Nafti Sabeda aus Wattenscheid ist eine von ihnen. Hier könne man noch Geschäfte machen. „Gebrauchte Kleidung oder Elektrogeräte; alles, was man eben braucht.“ Wie zum Beweis wurde gerade am Nachbarstand eine Mikrowelle für fünf Euro verscherbelt. „Vor allem komme ich wegen Obst, Gemüse und Lebensmitteln“, sagt Sabeda. Aus ihrer Einkaufstüte blitzen saftig-rote Äpfel, gekauft bei den van Lankvelds. „Auch wenn es billig sein soll, isst das Auge schließlich mit.“
Zu den Trödlern in Gelsenkirchen kämen sie schon 20 Jahre, sagt Celine van Lankveld. Zeit genug, um Freundschaften zu knüpfen. Mit Heike Lange etwa. Sie komme seit der ersten Stunde, sagt sie. „Nicht nur, weil das der beste Stand auf dem ganzen Markt ist, nein, ich komme auch so gerne, weil die van Lankvelds einfach nette Leute sind.“ Die Kundin erklärt, dass sie bei Regen immer erst bei der holländischen Familie anrufe, um sich zu vergewissern, ob sie auch wirklich kommen. „Sonst lohnt sich das nicht.“ Überhaupt scheint das Wetter eine wichtige Rolle beim Markttreiben zu spielen. Auf die Frage, ob die Geschäfte gingen, schaut Ghodra Rajinder nicht etwa zuerst in die Kasse, sondern in den Himmel. Der Inder, dessen roter Turban mit den quietschbunten Turnschuhen an seinem Stand harmoniert, lächelt milde. „Wetter gut, Verkauf gut“, fasst er zusammen und wiederholt es mantraartig. „Wetter gut, Verkauf gut.“
„Jede Hose ‘n Zehner!“, schreit es aus einem weißen Caddy, während wenige Schritte weiter eine noch lautere Stimme verkündet, dass jetzt alles verschenkt werde. Eine Gruppe von 25 Menschen schnellt wie ferngesteuert auf einen Stapel Kartons zu. Kisten, die einst für Bananen gedacht waren, offenbaren nun Nippes aller Art: Der Kochratgeber „Die besten Rezepte mit Hackfleisch“ liegt stilecht neben Heinrich Heine – Weltliteratur in verblassten Einbänden, die vielleicht nie wieder gelesen wird. Elvis und Deep Purple auf Vinyl könnten gleich im Ascheboden des Parkplatzes festgetreten werden und für immer verstummen. Oder heute noch einen Musikfan glücklich machen.
25 Euro Miete pro fünf Meter
Weniger glücklich wirkt dagegen Hans aus Bergheim. Während gelbe Flecken im Vollbart von einer langjährigen Liaison mit dem Nikotin zeugen, verraten müde Augen, dass sein Geschäft alles andere als rentabel ist. „Es kommt nicht viel rum“, klagt er. Wenn alles gut gehe, würde er heute höchstens 50 Euro bekommen. Bei 25 Euro Miete pro fünf Meter Standlänge ist leicht zu errechnen, was da übrig bleibt.
Allerdings drängt sich auch die Frage auf, wer den angebotenen Krempel überhaupt kaufen soll. Hans erklärt die wilde Auswahl mit der Wohnungsauflösung eines verstorbenen Sammlers und schüttelt dabei selbst etwas ratlos mit dem Kopf. Das kurioseste Duett im Angebot bildet wohl ein hüfthohes Emailleschild mit dem Volkswagen-Symbol neben einer Kupferplatte mit einem Relief von Konfuzius. Was würde der chinesische Lehrmeister der menschlichen Ordnung wohl über diesen wilden Markt mit seinen über 300 Ständen sagen?
Bedrohung für den Einzelhandel
Was NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) davon hält, ist klar: Nicht viel! Jüngst kündigte er ein neues Gesetz an, das den Neuwarenverkauf auf solchen Märkten einschränken soll. Denn kommunale Spitzenverbände gehen davon aus, dass auf Trödelmärkten inzwischen 60 Prozent des Sortiments Neuwaren sind und fürchten eine ernstzunehmende Bedrohung für den Einzelhandel. Importe, Restposten oder Insolvenzaufkäufe drücken die Preise. Und das eine oder andere Schnäppchen stammt sicher auch aus zweifelhafter Quelle. „Alles Garagenverkauf“, beteuert zwar ein Händler auf Nachfrage. 60 fabrikneue Ladekabel in seiner Auslage lassen allerdings eher an den Ausspruch „vom Lkw gefallen“ denken.
Die Polizei kämpft derweil noch mit anderen Problemen. „Teilweise chaotische Verkehrsverhältnisse“ stellten Beamte bereits im Dezember fest. Eine Hundertschaft hatte laut Polizeisprecher 22 Verwarngelder verhängt und acht Ordnungswidrigkeiten angezeigt. Freilich, das war am Wochenende. Dann kommen etwa doppelt so viele Händler wie unter der Woche und ziehen entsprechend Publikum an.
Trödel – Luxus oder Schrott
Auf die Frage, wie sie den Tag einschätzt, lächelt Celine van Lankveld. Es gebe einen großen Unterschied zwischen ihrem und vielen anderen Ständen: „Wir verkaufen Eier, Äpfel, Pilze. Lebensmittel halt.“ So etwas bräuchten die Leute. „Aber Trödel – das ist Luxus.“ Der Satz steht kurz in der Luft, bis sich ein älterer Herr einmischt, der ihn gehört hat: „Für mich ist das meiste einfach nur Schrott“, sagt er bissig.
Gegen 14 Uhr haben die meisten Händler abgebaut. Was bleibt, sind über den Platz verteilte Müllhaufen aus Verpackungen. Scherben, Splitter, Schrauben bedecken den Parkplatz. Was aber auch bleibt, ist die Gewissheit, dass am Samstag wieder Markttag ist. Dann mit noch mehr Kunden und vielleicht auch wieder gutem Wetter: „Wetter gut, Verkauf gut.“
Dieser Text entstand in einem Reportage-Seminar an der Medien-Akademie Ruhr