Essen. Hier geht es um ein Verb, das schon immer eine zweischneidige Angelegenheit war. Aber im Zeitalter von Facebook & Co. besitzt es eine neue Dimension.

„Sie sagte, sie habe mir immer wieder schreiben wollen. Sie sagte, sie habe dabei Missverständnisse befürchtet. Sie sagte, es sei besser, darüber zusammen zu reden. Sie sagte, wir müssen unsere Beziehung neu definieren. Es war ein freundliches Gespräch ohne Missverständnisse, aber dieses Wort neu definieren ist wie ein Block Eis in meiner Erinnerung. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr spüre ich die Kälte, die davon ausgeht. Plötzlich ist das, was zwischen uns war (ist) eine Beziehung, und so aufs Wort gebracht fürchterlich vernünftig, aber auch ziemlich klein und kalt.“

2015 hört sich das „ziemlich kleine und kalte“ Wort riesengroß und geradezu kuschelig warm an. Und Uwe Timms Roman „Kerbels Flucht“, in dem er Anfang der ­1980er Christian, seinem Ich-Erzähler, diese Sätze in die Feder diktierte, wirkt merkwürdig antiquiert. Heute würde Christian (29), der Ex-Student, der Taxi fährt, kein Tagebuch mehr schreiben, sondern in seinem Blog oder bei Facebook aller Welt mitteilen, wie sehr es ihn schmerzt, dass Karin ihn nicht mehr liebt. Er würde nicht auf einen Brief von ihr warten, der nie ankommt, sondern auf eine Mail. Oder auf eine SMS. Auf ein Gespräch mit ihr, nicht geskypt, sondern in echt, bräuchte er nicht zu hoffen. Weil sie ihre Beziehung zu ihm nicht erst persönlich „neu definieren“ müsste. Sie hätte es längst, ganz öffentlich, getan. Mit einer Profiländerung von „in einer Beziehung“ zu „Single“ auf ihrer sozialen Internet-Plattform. Um ihn gleichzeitig auch als Freund zu entfernen. Christian wäre gelöscht.

Feuerlöscher: Gut, wenn man einen hat. Besser, wenn man ihn nicht bentzen muss.
Feuerlöscher: Gut, wenn man einen hat. Besser, wenn man ihn nicht bentzen muss. © George Clerk/Getty Images

Das Verb „löschen“ war schon immer eine zweischneidige Angelegenheit. Sowohl positiv als auch negativ belegt, besitzt es im Zeitalter von Facebook & Co. eine ganz neue Dimension. Statt unliebsame Diskussionen in Kauf zu nehmen oder Freundschaften langsam, aber dafür konfliktarm, einschlafen zu lassen, kann man Menschen mit ein Paar Klicks ganz einfach aus seinem Leben tilgen. Soziale Netzwerke sind gleichbedeutend mit der Lizenz zum Löschen: Ich lösche, du löschst, wir werden gelöscht. Aber ist das wirklich so einfach, wie sich das anhört? Manchmal bleibt trotzdem etwas zurück. Auf beiden Seiten. Verletzte Gefühle, unbeantwortete Fragen oder auch die Gewissheit, dass es, anders, hätte besser laufen können. Wobei sich mitunter die Frage stellt, ob es nicht besser ist, gleich ganz aus dem virtuellen Beziehungsdschungel auszusteigen.

Der Boom der sozialen Netzwerke

Soziale Netzwerke, die mehr können (und wollen) als Chat-Rooms oder Internetforen gibt es seit Mitte der 1990er-Jahre. Einer der Pioniere war classmates.com, 1995 von US-amerikanischen Klassenkameraden ins Leben gerufen. LinkedIn folgte 2003, Myspace im Januar 2004 und Facebook einen Monat später. Heute hat Facebook rund 1,44 Milliarden Nutzer, über 25 Millionen davon in Deutschland. Im Durchschnitt hat jeder Facebooker 342 Freunde. Die dort Bilder, Texte oder Links miteinander teilen, die sie positiv bewerten können. Mitunter geht es aber auch sehr kontrovers zu.

Auslöschung des Rivalen: Ein Duell löschte allerdings meist nur die Meinungsverschiedenheiten.
Auslöschung des Rivalen: Ein Duell löschte allerdings meist nur die Meinungsverschiedenheiten.

Im 19. Jahrhundert wurden Meinungsverschiedenheiten in Deutschland noch sehr handfest ausgetragen. Und Beleidigungen sofort geahndet. Zumindest in einem Teil der Bevölkerung. Statt sich online zu bekriegen oder mit giftigen Kommentaren zu überbieten, forderten männliche Adlige einander, Auge in Auge, bar jeder Anonymität, zum Duell. Nach heutigen Schätzungen war ein Viertel dieser Gruppe zu jener Zeit mindestens einmal in einen solchen Zweikampf verwickelt. Einem komplizierten, feststehenden Regelwerk folgend, gingen Duelle mit Säbeln, Degen oder Pistolen vonstatten. Die Gefahr, dabei ernstlich zu Schaden oder sogar ums Leben zu kommen, war vergleichsweise gering: mutmaßlich endete nur jede sechste dieser Begegnungen mit schweren Blessuren und nur eine von 14 endete mit dem Tod eines Gegners – tatsächlich kam es also zur Auslöschung des Lebens seines Gegners. Meistens waren Duelle eine Frage der Absprache. Und war der Ehre erst Genüge getan, stand einem weiteren „Stayfriends“-Status unter Blaublütern nichts im Wege. So mancher Fall von Cybermobbing – das oft damit beginnt, dass die Betroffenen aus der virtuellen Gemeinschaft ausgeschlossen werden – ist da weniger gnädig. Seit 2007 tauchen immer wieder Berichte über Schülerinnen auf, die keinen anderen Ausweg mehr sahen, als den Tod. Und auch wer Opfer eines Shitstorms wurde, empfindet das mit Sicherheit als alles andere als fair. Und wünschte sich, dass es auch dafür Grenzen gäbe. Oder eine riesengroße Löschtaste.

Mehr als ein Tintenklecks

Löschen kann man Feuer. Wobei man das nicht unbedingt so angehen sollte, wie David Bowie, der 1981 im Stück „Putting Out Fire (Gasoline)“ behauptete, das mit Benzin getan zu haben. Löschen kann man Durst. Oder auch Tintenkleckse. Letztere allerdings nur dann, wenn man, statt der Tastatur, zum Schreiben eine Feder benutzt, und Löschpapier (schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt), das ja nur überflüssige Tinte aufsaugt, oder einen „Tintenkiller“ (1972 als Neuheit in Stiftform von der Firma Kreuzer auf den Markt gebracht, ein Vorläufer in flüssiger Form existierte schon vor 1900), sein eigen nennt.

Den Freundschaftslöscher auf der Spur 

Das Verb löschen, das sich von althochdeutsch „lescan“ über mittelhochdeutsch „leschen“ herleitet, ist durchaus doppeldeutig. Es kann für „aufhören zu brennen“ stehen oder für „aufhören zu leuchten“.

Eine Kerze, die ausgelöscht wird, verlischt. Sie spendet keine Helligkeit mehr. Aber sie kann danach auch nicht, weil sie umfällt und dabei unbeobachtet ist, einen Brand auslösen. Auslöschen gilt auch als ein Synonym für Sterben oder getötet werden. „Ihre Familie wurde ausgelöscht!“ titelte die Bunte online am 26. März 2015 und bezog sich damit auf eine Frau, die an Bord der Germanwings-Maschine war, die abstürzte. Verglichen damit mutet es harmlos an, wenn man, in sechs Schritten – anmelden, ins eigene Profil wechseln, die Freundesliste aufrufen, den zu löschenden Kontakt heraussuchen, die Schaltfläche „Freunde“ anklicken und dann in diesem Menü „Als FreundIn entfernen“ – einen aus der virtuellen Gefolgschaft entlässt.

Wenn Löscher verpetzt werden

© 9xklug

Zumal man diese Entscheidung auch in abgeschwächter Form treffen (der darf jetzt nicht mehr alles von mir sehen, der gehört jetzt nicht mehr zum engsten Kreis) oder sogar rückgängig machen kann. Erwischt die emotionale „Delete-Taste“ einen selbst, merkt man das womöglich zu Anfang gar nicht. Weil das Heer derer, die täglich, stündlich oder minütlich etwas teilen wollen, längst unüberschaubar geworden ist. Kontrollfreaks, die das, nach dem Motto „Löschst du mich, lösch’ ich dich!“, sofort ahnden wollen, verspricht die App „Who deleted me on Facebook“ Abhilfe. Sie läuft im Hintergrund und liefert regelmäßig Vergleiche von früheren und aktuellen Freundeslisten. Macht man sie auf, zeigt sie das Plus und das Minus an, auch wer sein Konto deaktiviert hat, wird erfasst, der Button „Show me who“ (Zeig’ mir, wer) entlarvt die Treulosen. Installieren kann man die „Petz-App“ für Android oder iOs, Erweiterungen für Browser sind verfügbar. Funktioniert aber erst ab der Installation. Frühere Freundschaftsabbrecher werden nicht erfasst.

Weniger Rücksicht im Netz

Doch wen löscht man eigentlich am schnellsten? Christopher Sibona, Doktorand im Bereich Computerwissenschaft und Wirtschaftsinformatik an der University of Colorado Denver Business School, hat das untersucht und kommt zu dem Schluss, dass es die am ehesten trifft, die am weitesten weg sind: Kontakte aus der Schulzeit, die sich überlebt haben oder Freunde von Freunden. Nachbarn oder Freunde, die man über die Kinder gewonnen hat, trifft es am wenigsten. Das klingt plausibel. Den Nachbarn begegnet man auch nach dem „Rauswurf“ tagtäglich auf der Treppe, der Straße oder im Supermarkt, und der Nachwuchs kann es verdammt übel nehmen, wenn man die von ihm Geschätzten plötzlich nicht mehr schätzt. In sozialen Netzwerken, so eine weitere Erkenntnis von Sibona, eskalieren viele Meinungsverschiedenheiten wesentlich schneller als im wirklichen Leben. Weil sie dort anonymer sind, als ein tatsächliches Gegenüber das sein würde, und man deswegen weniger Rücksicht nimmt. Oder glaubt, Rücksicht nehmen zu müssen.

Negative Auswirkungen aufs Selbstwertgefühl

Konsequenzen fürs „Real Life“ hat das dennoch. Die Bandbreite der Reaktionen nach einer Freundschaftskündigung reichte bei den Befragten von Belustigung und Überraschung bis hin zu Ärger und Traurigkeit. 40 Prozent gaben an, um ihren „Rauswerfer“ lieber einen Bogen machen zu wollen. So sie ihn tatsächlich kennen. Aber auch unbekannte „Freunde“ bergen Gefahren. Wie Grace Chou und Nicholas Edge von der Utah Valley University (USA) heraus gefunden haben, besteht bei Menschen, die häufig bei Facebook verweilen, die Gefahr, dass sie alles, was ihnen gepostet wird, für bare Münze halten. Und irgendwann glauben, das Leben der anderen bestünde nur aus tollen Urlauben, super Partys und fantastischen Beziehungen. Was sie bei ihren echten Freunden überprüfen könnten. Aber bei solchen Freunden, die sie noch nie im Leben gesehen haben, nicht. Je mehr dieser Kontakte bestanden, desto mehr gingen die Studenten, die Chou und Edge befragt hatten, davon aus, dass das Leben der anderen besser sei als das eigene Leben. Was sich negativ aufs Selbstwertgefühl auswirkt. Sollte man diese scheinbar immer so Glücklichen also nicht besser gleich links liegen lassen? Statt sie erst hinterher zu löschen?

Freude übers Gelöschtwerden

Wisch und weg? Mit Schuldnereinträgen geht das nicht so fix wie mit Kreide an der Tafel.
Wisch und weg? Mit Schuldnereinträgen geht das nicht so fix wie mit Kreide an der Tafel.

Gelöscht zu werden, kann aber durchaus auch positive Aspekte haben. Das wissen alle zu schätzen, die einen Eintrag bei der „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“ (besser bekannt als „Schufa“) haben, im Bundeszentralregister wegen einer Straftat auftauchen oder Punkte in Flensburg gesammelt haben. Einträge bei der Schufa müssen nach einer bestimmten Zeit eliminiert werden. Beispielsweise bei einem Kredit spätestens drei Jahre nachdem der getilgt ist. Das gilt auch für Daten aus Schuldnerverzeichnissen bei Amtsgerichten. Anfragen wegen eines Kredits verschwinden bereits nach einem Jahr, auch wer nachweisen kann, dass er fälschlich eingetragen wurde, kann das veranlassen. Einmal im Jahr hat man dazu die Möglichkeit, eine kostenlose Selbstauskunft anzufordern.

Auch die Straftilgung erfolgt nach festgelegten Fristen. Zum Beispiel nach fünf Jahren bei Verurteilung zu Geldstrafen von nicht mehr als 90 Tagessätzen, wenn keine Freiheitsstrafe, kein Strafarrest oder keine Jugendstrafe im Register steht. Fürs Führungszeugnis tritt das schon nach drei Jahren in Kraft. Je nach Vergehen ist das gestaffelt in Zeitabstände von bis zu 20 Jahren. Ausgenommen davon sind Verurteilungen zu lebenslanger Haft, die Anordnung der Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus oder dauernder Führerschein-Entzug. Sind die Vorstrafen verjährt, gilt derjenige als unbestraft.

Wenn die Punkte weniger werden

Seit Mai 2014 gelten geänderte Bußgeldregeln. Wer in Flensburg nach dem neuen System maximal fünf Punkte hat, darf einmal alle fünf Jahre an einer speziellen Schulung teilnehmen, das bringt einen Punkt Abzug. Früher konnte man dadurch bis zu vier Punkte wettmachen, eine verkehrspsychologische Beratung brachte zwei Punkte weniger. Auch hier gibt es generell wirksame Verjährungsfristen: ein Punkt wird automatisch nach zweieinhalb Jahren gelöscht, zwei Punkte verschwinden nach fünf Jahren, wer drei Punkte hat, muss sich zehn Jahre gedulden.

Punktekonten gibt es nicht überall – und Minuspunkte für Herzen, die im Internet gebrochen wurden, werden einstweilen noch nicht vergeben. Und selbst wenn es die gäbe, bleibt immer noch die Frage, wie man die wieder wettmachen sollte. Vielleicht ja mit einem echten Gespräch?

Das sagt der Berufslöscher: Gespräch mit einem Feuerwehrmann 

Immer dann, wenn bei seinem großen Bruder Thorsten der Funkmelder losging, spitzte Christoph Schöneborn die Ohren. Mit zwölf ist der Sprockhöveler dann selbst bei der Feuerwehr aktiv geworden, in der Jugendabteilung, versteht sich: „Heute darf man das schon ab zehn.“ Den Brandlöschern ist er bis heute treu geblieben, seit fünf Jahren als Landesgeschäftsführer der Feuerwehren in NRW: „Aber ehrenamtlich bin ich noch immer unterwegs“. Was schon seinen Großvater packte, packt auch den heute 40-Jährigen: „Da zu sein, wo Menschen in großer Not sind und Hilfe am nötigsten gebraucht wird.“ Manchmal, so räumt er schon ein, sei das auch belastend: „Aber rein von der Zahl her, sind die Fälle, wo man Menschen helfen kann, viel größer. Und das ist verdammt befriedigend.“

Respekt vor dem Feuer

Landesgeschäftsführer der Feuerwehren NRW: Christoph Schöneborn aus Sprockhövel.
Landesgeschäftsführer der Feuerwehren NRW: Christoph Schöneborn aus Sprockhövel.

Auch Angst gehört für ihn mit dazu: „Ich bin weit davon entfernt, zu sagen, ich hätte keine. Respekt vor dem Feuer ist Teil unserer Arbeit.“ Aber zu denen zu gehören, die in der Beliebtheitsskala der Berufsbilder regelmäßig ganz oben landen, „das ist schon eine schöne Sache.“ Ein Feuer, so weiß der Brandlöscher, ist „irgendwo klein entstanden – und hat dann große Auswirkungen.“ Wobei das immer vom Einzelfall abhängt: „Wenn ein Papierkorb an der Bushaltestelle brennt, dann ist die Herausforderung überschaubar. Geht es darum, Sachwerte zu retten? Oder Menschenleben? Und für die Kollegen, die ehrenamtlich in ländlichen Bereich tätig sind, habe ein Einsatz eine ganz andere Qualität, als bei den Hauptberuflern in den großen Städten: „Die müssen viel häufiger raus.“

Für manches reicht Wasser nicht aus

Zum Löschen bei der Feuerwehr ist Wasser immer noch der Klassiker: „Obwohl die Zahl der alternativen Löschmittel schon stark in den letzten Jahren gestiegen ist. Auch die Zahl der Gefahrgüter, die im Straßenverkehr transportiert werden, ist immer größer geworden. Und dafür reicht Wasser nicht mehr.“ Auch privat hat Schöneborn schon gelöscht. Natürlich bei Facebook: „Und das war ein Moment der großen Genugtuung, damit all diese ewigen Spiele-Anfragen los zu werden.“ Und selbst gelöscht worden? „Doch, ja. An einen Fall erinnere ich mich. Und habe mich gefragt: ,Warum?’ Eine Antwort darauf habe ich nie bekommen. Es ist ja auch eine Frage, wie man das handhabt. Ich kann niemand meinen Freund nennen, den ich nicht kenne. Auch auf Facebook nicht.“

Ein Durstlöscher namens Bier

Dass die Feuerwehr nach wie vor in den Ruf steht, auch gerne Durst zu löschen, ist Schöneborn durchaus bekannt: „Das ist ein großes Thema bei uns. Aber abgesehen davon, dass der Alkoholkonsum generell in den letzten zehn Jahren überall nachgelassen hat, ist es für uns wichtig, auch gesellig miteinander zu sein. Wir müssen miteinander vertraut werden. Nur dann weiß man um die besonderen Fähigkeiten und Grenzen des anderen. Inwieweit ist derjenige belastbar? In welcher besonderen Situation steckt er gerade?“ Und auch dafür, die Arbeit der Feuerwehr bekannt zu machen, sind Feste eine gute Gelegenheit.