Essen. Immer mehr Menschen bauen gemeinsam. Die einen wollen mit Freunden Tür an Tür wohnen, die anderen möchten nicht alleine alt werden. Wir haben uns ein paar Beispiele aus der Region angeschaut und erzählen von kleinen Planungs-Hürden und großen Lebens(t)räumen.
Baugemeinschaften boomen – nicht nur in Hamburg, Berlin und Freiburg schließen sich Menschen zusammen, um gemeinsam ihren Traum vom Wohnen zu verwirklichen. Auch im und um das Ruhrgebiet herum entstehen ungewöhnliche Projekte. Weil es sich gemeinsam schöner wohnen lässt, oft auch ökologischer und in begehrter Innenstadtlage, auf jeden Fall aber kostengünstiger.
Bis vor wenigen Tagen wohnte er gegenüber, in einer Mietwohnung. 25 Jahre blickte er aus seinen Fenstern auf dieses scheinbar vergessene Grundstück. Stadtnah gelegen ist es, aber auch von alten, ausladenden Bäumen gesäumt. Unweit von guten Restaurants und Kneipen, und trotzdem schön ruhig. Dass er selbst einmal hier bauen würde, hatte er nie gedacht. Nun tut Hans Georg Gerdes genau das. Vielmehr noch. Gemeinsam mit anderen, die sich in dieses Projekt verliebten, errichtete er etwas, was es in Dortmund bislang noch nicht gibt. Ein Energie-Plus-Haus, eines, das mehr Energie produziert als es selbst benötigt. Und chic ist es obendrein.
Mit ausladender Dachterrasse
Keine Frage, dieses Haus ist ein Hingucker. Ein Kubus über drei Ebenen, mit vielen, großen Fenstern ausgestattet und obendrauf ein Penthouse inklusive ausladender Dachterrasse. Das Ganze eingebettet in eine der schönsten innenstädtischen Straßen Dortmunds, der von Gründerzeit-Villen geprägten Prinz-Friedrich-Karl-Straße. In einer kleinen Baugruppe, zusammen mit neun Partnern, hat sich der 61-jährige Finanzbeamte Gerdes sein künftiges Zuhause erarbeitet. Über viele Jahre! Denn angefangen hat alles bereits 2008, als sich Gerdes um das städtische Grundstück bewarb.
Gekauft wurde es erst im vergangenen Jahr, längst hatte sich da um Gerdes eine kleine Gruppe von Leuten gebildet, „die alle heiß auf das Zusammenleben sind“. Sie sind zwischen 40 und 80 Jahre alt, Paare, Singles, zumeist Akademiker. Nicht alleine alt werden, nicht in einem großen, von den Kindern verwaisten Haus, darum geht es ihnen. „Ich bin jetzt 61“, sagt Hans Georg Gerdes, „das geht nun ratzfatz. Irgendwann bin ich froh, dass es im Haus einen Fahrstuhl gibt“.
Ein Leben in WGs
Und Birgit Pohlmann, die 56-jährige Architektin, kennt seit Studentenzeiten gar nichts anderes als in einer Gemeinschaft zu wohnen. Damals in WGs, in besetzten Häusern, später, als sie eine Familie gründete, in einem mit Freunden zu Wohnungen umgebauten Kindergarten. „Ich habe immer in Projekten gelebt!“, sagt Pohlmann, „man kann alles mitbestimmen. Den Garten, die Wohnungsgrößen, die Infrastruktur“.
Zu zehnt ziehen sie nun in sieben individuell geschnittene Wohnungen von 85 bis 150 Quadratmetern. Keine ist wie die andere. Jede verfügt über ausgesprochen große Terrassen und Balkone. In der Gruppe zu bauen, ist jedoch alles andere als ein Kinderspiel. Seit Jahren treffen sich die Dortmunder alle vierzehn Tage, um ihr Projekt zu planen. Wie groß? Wie teuer? Wer bekommt welche Wohnung? Wie stark muss der Schallschutz sein? Und über nichts wird so leidenschaftlich diskutiert wie über das Thema Energie. „Da wurde es geradezu religiös!“, sagt Birgit Pohlmann.
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„Ich komme aus der Ökoecke!“
Doch was am Ende herausgekommen ist, kann sich sehen lassen, ist beispielgebend. Ihr Stadthaus verfügt über ein eigenes Blockheizkraftwerk, Photovoltaik, Wärmerückgewinnung und über erhöhten Wärmeschutz. Für all das hat sich besonders Hans Georg Gerdes stark gemacht. „Ich komme aus der Ökoecke!“, sagt er und erklärt, dass dies alles natürlich das Bauen deutlich teurer macht als die klassische Energieversorgung. „Doch mittelfristig zahlt es sich aus“, so Gerdes. Denn wer mehr Energie produziert als er selbst benötigt, spart viele Nebenkosten.
3000 Euro pro Quadratmeter kostet ihr Projekt. „Hätten wir nicht in einer Gruppe gebaut, sondern wie üblich mit einem Bauunternehmer, hätten wir deutlich mehr bezahlen müssen“, sagt Birgit Pohlmann.
In diesem Winter ziehen sie nun alle nach und nach ein. Und Birgit Pohlmann setzt auf geöffnete Wohnungstüren, auf viel Miteinander. Dass es Ärger geben könnte durch all zu viel Nähe, damit rechnet sie nicht: „Wenn wir erst zusammenwohnen, gibt es längst nicht mehr so viele Konflikte wie in der Planungsphase. Man lernt sich dabei schon sehr gut kennen!“
Düsseldorf – Zusammenleben mit vielen Kindern
Erfahren im Zusammenleben sind auch sie: 48 Erwachsene und 43 Kinder leben im „Q Bus“-Projekt in Gerresheim, einem südlichen Düsseldorfer Stadtteil. Zehn der Familien wohnen bereits zum zweiten Mal zusammen. Beim ersten Mal als Mieter einer Wohnungsgesellschaft, die jungen Familien ein kinderfreundliches Angebot macht, jetzt als Eigentümer. „Uns war klar, dass wir als Mieter irgendwann Platz machen müssen für junge Familien mit kleinen Kindern. Wir wollten aber gerne mit unseren Freunden zusammenbleiben“, erklärt Martine Richli, die Mutter von drei Kindern ist.
Und sie blieben zusammen. Doch, was sie nicht erwartet hatten, es sollte neun Jahre dauern bis sie ihre Idee schließlich umsetzten konnten. Fünf davon gingen verloren für ein anderes Grundstück, „das uns ein privater Investor vor der Nase wegschnappte“, sagt die gebürtige Schweizerin Martine Richli. Am Ende war es die Stadt Düsseldorf, die der Baugemeinschaft Boden anbot. Danach ging alles relativ schnell. Im Juli 2010 gründeten die Bauwilligen die nötige GbR, eine Gesellschaft beschränkten Rechts, im Mai 2014 war ihr vierstöckiger Komplex bezugsfertig.
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Einmal in der Woche gibt es Yoga oder Rückenschule
27 Wohnungen sind das insgesamt, aufgeteilt in zwei Blöcke. Das dezente Beige der Fassade beleben neongrüne Einsprengsel, die ebenso leuchten wie die Gartenmöbel auf der großen Terrasse. Und mittendrin steht das 120 Quadratmeter große Gemeinschaftshaus mit Café und Allzweckraum, mit Sauna und Jugendkeller. Das Herz ihres Quartiers. Hier trifft sich die Baugemeinschaft auch nach dem Einzug regelmäßig. Hier wird gefeiert, ganz privat, mit der Familie, oder in großer Gruppe. Hier gibt es einmal pro Woche Yoga und Rückenschule, auch für Leute von außerhalb.
„Man muss für so ein Projekt schon viel Zeit und Toleranz mitbringen“, erklärt Richli. Einmal pro Woche saßen sie während der Bauphase zusammen, um sich zu beraten, zu entscheiden, auch natürlich um zu streiten. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts war ihre Grundlage, ein Finanzberater klärte mit jedem einzelnen von ihnen, ob er sich die Wohnung überhaupt leisten kann. Der war es dann auch, der letztendlich die Verhandlungen mit der Bank führte.
Planen mit der Hilfe eines Moderators
Wer gemeinsam baut, der spart Geld. Weil es keinen Unternehmer gibt, der seine Marge einrechnet, weil man en gros einkaufen kann. 2340 Euro pro Quadratmeter zahlten sie für ihre Wohnungen. Zuzüglich 6000 Euro pro Erwachsenen für das Gemeinschaftshaus und 5000 Euro für die Tiefgarage. Eine Rarität im ansonsten hochpreisigen Düsseldorf.
Und wie viele Baugemeinschaften planten auch sie mit der Hilfe eines Moderators. Im Falle der Düsseldorfer war es die Dortmunderin Birgit Pohlmann, die bereits viele ähnliche Projekte anleitete und bei Konflikten vermittelte. Denn die gibt es, manchmal sogar innerhalb der Familie. „Mein Mann ist Architektur-Fan und bestand auf bodentiefen Fenstern. Als klar war, dass es bei der Penthouse-Wohnung keine geben würde, wurde es schwierig. Mit Hilfe der Moderatorin fanden wir einen Kompromiss und zogen in eine Maisonette-Wohnung“, erklärt Richli.
Schwerte – Im Alter nicht allein wohnen
In der „Casa Nostra“ („Unser Haus“) in Schwerte feierten sie gerade Richtfest. Zogen den mit bunten Bändern geschmückten Kranz am Rohbau hoch, gruppierten sich darunter im Halbkreis und ließen sich fotografieren. Welch ein Moment! Der Regen pladderte, aber sie strahlten vor Glück unter ihren Regenschirmen. Nach acht Jahren des Planens scheint der Einzug zum Greifen nah. Nach all der Zeit, nach vielen Auf und Abs, und Leuten, die kamen und dann doch wieder gingen. Sie jedoch, sie blieben, sie hielten durch: vier Paare und vier Single-Frauen.
Sie kannten sich vorher gar nicht, doch ihnen gemeinsam war die Idee, im Alter nicht alleine zu wohnen. So etwa wie der frühere Bremer Bürgermeister Henning Scherf in seiner Alters-WG. Da ist die Hagenerin Karin Wolzenberg, die eigentlich nur etwas Geld investieren wollte: „Doch als ich die Pläne sah und ich euch kennen lernte, da dachte ich: Oh ja, da möchte ich mit einsteigen!“
"Casa Nostra" in Schwerte
Da ist Udo Bußmann, der Landesjugendpfarrer, der mit seiner Frau schon seit 16 Jahren in Schwerte wohnt, aber „nie richtig ankam, weil ich berufstätig bin“. Und nicht zuletzt Günter Berger, dessen Frau seit einiger Zeit auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Beide möchten nicht mehr „so isoliert in unserem Haus leben, nicht mehr auf drei Etagen“.
Ihre „Casa Nostra“ liegt zentral in Schwertes Innenstadt, mit kurzen Wegen zu Kneipen, Ärzten und Geschäften. Zwei gegenüberliegende Häuser sind das, zwölf barrierefreie Wohnungen, die über eine Galerie miteinander verbunden sind. Eine Galerie, auf der man sich zu einem Kaffee, zu einem Glas Wein zusammensetzen kann. Halb privat, halb öffentlich, ein Raum der Begegnung.
„Es ist ein Nachgeben und Aufeinanderzugehen“
Ihre Wohnungen sind 37 bis 166 Quadratmeter groß und so unterschiedlich wie ihre Bewohner selbst. Zusätzlich schufen sie sich sowohl einen Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss wie ein Gästeapartment. „Das kann jeder für seinen Besuch nutzen. Aber wer weiß, vielleicht brauchen wir es auch einmal für eine Pflegekraft“, sagt Bernd Kirchbrücher, der „Casa Nostra“-Mann der ersten Stunde.
Längst treffen auch sie sich einmal in der Woche, um über Bodenbeläge, Fliesen, Farben zu beraten. „Es ist ein Nachgeben und Aufeinanderzugehen“, sagt Anke Skubin, mit 51 Jahren die Jüngste der Bewohner. Man hat sich kennen, sich schätzen gelernt inmitten all des Stresses. „Gegenseitig pflegen werden wir uns aber nicht!“, sagt Kirchbrücher. Guckt Udo Bußmann an, lacht und korrigiert sich vorsichtig: „Obwohl, wahrscheinlich werde ich doch da sitzen und Dir die Hand halten!“