Mülheim. Die Auftragsbücher bei Siemens Energy in Mülheim sind wieder voll. Der Betriebsrat moniert, zuletzt seien zu viele Stellen abgebaut worden.

Bei Siemens in Mülheim haben sie leidvolle Erfahrungen mit den launischen Ausschlägen der Konjunktur und den Reaktionen des Managements darauf. Mehrfach war für das große Dampfturbinen- und Generatorenwerk schon das Totenglöckchen vernehmbar. Dass es bei Siemens Energy an der Ruhr nun wieder brummt, ist auch ein Verdienst des Betriebsrats. Und der stellt Forderungen. Denn nach Jahren des massiven Arbeitsplatzabbaus fehlen in Mülheim nun die Leute.

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Als Mitte der 2010-er Jahre der Weltmarkt für große Kohle- und Gaskraftwerke einbrach und die Wende zu erneuerbaren Energien eingeläutet wurde, waren die Auftragsbücher bei Siemens in Mülheim plötzlich leer. Niemand wollte die großen Dampfturbinen und Generatoren, die dort entwickelt und gebaut werden, bestellen. Der Konzern reagierte mit dem Abbau von 1600 auf 4100 Arbeitsplätze. Das vorerst letzte Streichprogramm wurde 2019 auf den Weg gebracht.

Wieder mehr neue Gas- und Atomkraftwerke

„Man hat sich im Jahr 2019 die Karten für 2025 gelegt. Das war aus meiner Sicht verfrüht“, sagt heute der Mülheimer Betriebsratsvorsitzende Jens Rotthäuser. Denn seither ist viel passiert. Weltweit werden wieder neue Gas- und Atomkraftwerke gebaut oder Kohleblöcke umweltfreundlich umgerüstet. „Die Tinte unter dem Interessenausgleich und Sozialplan war 2021 noch nicht trocken, da flatterten schon wieder die neuen Projekte ins Haus“, erinnert sich Rotthäuser, wenngleich er auch zugesteht: „Das Auf und Ab im Auftragseingang rund um die geopolitischen Spannungen konnte wirklich kaum jemand vorhersehen.“

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Der Verlust der Stellen ist in doppelter Hinsicht tragisch. Denn auch auf Druck von Betriebsrat und IG Metall hat sich Siemens Energy auf den Weg gemacht, bei der Energiewende mitzumachen. „Das Ruhrgebiet mit den großen Energieversorgern bietet ideale Voraussetzungen, um bei Siemens in Mülheim Speichertechnologien für eine dezentrale Energieversorgung zu entwickeln. Das Ruhrgebiet bietet sich als Experimentierstube geradezu an“, sagte im September 2019 Jürgen Kerner, Hauptkassierer der IG Metall und damals Vizeaufsichtsratschef bei Siemens, im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Vorstoß sollte glücken. Unlängst zeigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Botschaftern aus aller Welt das Mülheimer Siemens-Werk als leuchtendes Beispiel, wie ein Unternehmen, das für konventionellen Kraftwerksbau stand, nun ganz vorn bei der Energiewende mitspielt. An der Ruhr werden Wasserstoff-Elektrolyseure montiert, Netzstabilitäts- und Speichertechnologien entwickelt.

Jens Rotthäuser, Betriebsratsvorsitzender der Siemens Energy, kritisiert den Stellenabbau am Standort Mülheim.
Jens Rotthäuser, Betriebsratsvorsitzender der Siemens Energy, kritisiert den Stellenabbau am Standort Mülheim. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Doch nach der Rosskur fehlen dem Standort nun die Leute. „Durch das Abbauprogramm hat das Unternehmen viele gute Leute und damit auch Know-how verloren. Das rächt sich nun. Wir haben einen Arbeitnehmermarkt. Da buhlen alle um Fachkräfte“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Rotthäuser nüchtern. Werkleiter Nevzat Öczan hat im Gespräch mit unserer Redaktion zwar angekündigt, dass in Mülheim wieder Arbeitsplätze geschaffen werden. Das reicht dem Arbeitnehmervertreter aber nicht aus. „Das klassische Geschäft zieht deutlich an. Neue Geschäftsfelder werden erfolgreich etabliert. Dies mit der verbleibenden Mannschaft hinzubekommen, ist für uns ein Spagat“, sagt Rotthäuser und mahnt: „Es wäre ein Trugschluss, jetzt mit der Transformation aufzuhören. Da müssen wir weitermachen und dürfen die neuen Geschäftsfelder nicht aus dem Auge verlieren. Da haben wir als Betriebsrat den Finger in die Wunde gelegt.“

Unruhe wegen der Verluste bei Siemens Gamesa

Denn nicht überall bei Siemens Energy zeigt die Kurve nach oben. Aufgrund größerer Qualitätsmängel an den Windrädern fährt die spanische Tochter Siemens Gamesa Millionenverluste im hohen dreistelligen Bereich ein und belastet nicht nur die Bilanz des Mutterkonzerns. „Auf der Betriebsversammlung am Tag nach dem Besuch des Bundespräsidenten hatten die Kolleginnen und Kollegen natürlich viele Fragen zu Siemens Gamesa. Die erneute Gewinnwarnung verunsichert die Mitarbeitenden am Standort Mülheim“, sagt der Betriebsratschef. Inwieweit sich die Gamesa-Krise auf Mülheim auswirke, sei nicht abzuschätzen. „Wir können nur unsere Hausaufgaben machen und damit einen guten und wertvollen Beitrag für Siemens Energy leisten“, sagt Rotthäuser kämpferisch.

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Bei allem Lob für die Neuausrichtung des Mülheimer Werks weiß der Metaller, dass der Druck nicht nachlassen wird. „Die Welt ist natürlich nicht nur rosarot. Es geht immer auch um Kosten, weil wir uns natürlich im Wettbewerb befinden“, sagt er. Nach dem Aderlass beim Personal stehen für den Betriebsratsvorsitzenden der Erhalt und Aufbau von Kompetenz „absolut im Fokus“. Rotthäuser zeigt sich erleichtert, dass der Arbeitsplatzabbau vorzeitig abgebrochen worden sei und Siemens Energy in Mülheim wieder mehr in Ausbildung investiere. „Zum Glück steigt die Einstellzahl der Lernenden wieder deutlich an. Und endlich werden Auslernende unbefristet übernommen“, sagt der Betriebsratschef. „Da haben wir seit Jahren drum gekämpft.“