Essen. Erkrankungen der Atemwege und der Psyche nehmen im Ruhrgebiet zu. Arzt Christoph Johann erklärt, warum auch die Wirtschaftskrise ein Grund ist.

Im Ruhrgebiet haben die Beschäftigten besonders viele Fehlzeiten. Das ergab eine Untersuchung der Betriebskrankenkassen. Der Recklinghäuser Internist und Experte für psychosomatische Erkrankungen, Christoph Johann, erklärt, warum Atemwegserkrankungen, aber auch psychische Symptome stark zugenommen haben.

Herr Johann, die Zahl der Atemwegserkrankungen ist 2022 stark gestiegen. Welche Gründe hat das?

Christoph Johann: Hier sehe ich vor allem die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie als ursächlich. Durch weniger Kontakte und dadurch weniger Kontakt zu den uns sonst bekannten Erkältungsviren war unser Immunsystem nicht mehr so trainiert wie sonst. So haben Infekte, die normalerweise einen sehr milden Verlauf haben und sich mit vielleicht durch Schnupfen oder Halskratzen äußern, in diesem Winter deutlich mehr Symptome wie starkes Fieber, Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Luftnot gezeigt.

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Wer ist besonders gefährdet?

Johann: In den Hausarztpraxen haben wir hier das Gefühl, dass diese Infekte nachgeholt werden. Dies zeigte sich vor allem bei Kindern, bei denen das RS Virus eine Infektionswelle verursachte, die fast dreimal so hoch war wie sonst üblich.

Christoph Johann ist Facharzt für Innere Medizin und psychosomatische Grundversorgung in Recklinghausen und Lehrbeauftragter der Ruhr Universität Bochum.
Christoph Johann ist Facharzt für Innere Medizin und psychosomatische Grundversorgung in Recklinghausen und Lehrbeauftragter der Ruhr Universität Bochum. © Ruhr Universität Bochum | Ruhr Universität Bochum

Vor allem im Ruhrgebiet gab es mehr Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Ist das Leben hier „ungesünder“ als anderswo?

Johann: Ich denke nicht, dass das Leben im Ruhrgebiet ungesünder ist. Im Ruhrgebiet haben wir aber eine sehr hohe Bevölkerungsdichte. Durch diese können Infekte stärker und schneller weitergegeben werden, als es in ländlichen Regionen der Fall ist.

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Im vergangenen Winter war die Grippewelle besonders heftig. Sehen Sie in diesem Jahr womöglich einen weiteren Anstieg der Krankmeldungen?

Johann: Ich denke, durch den schon beschriebenen Nachholeffekt im vergangenen Winter werden wir dieses Jahr einen normalen Verlauf der Grippewelle haben. Genau vorhersagen kann man jedoch nie, wie stark sie ausfallen wird, da es bei der Influenza immer wieder zu Mutationen kommt. Hier können wir nur eindringlich an alle appellieren, die Möglichkeit der Grippeimpfung wahrzunehmen, um die Welle möglichst flach zu halten.

Auch psychische Störungen haben stark zugenommen. Ist das die Folge von Arbeitsverdichtung und Rund-um-die Uhr-Erreichbarkeit?

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Johann: Ich denke, das ist mit Sicherheit ein wichtiger Faktor. Der Trend ist mit Sicherheit aber auch der Coronakrise geschuldet. Damals kam es zu weniger sozialen Kontakten und bei vielen Leuten auch zu einem Bewegungsmangel. Beide Faktoren sind wichtig für die psychische Gesundheit. Leider kam es bei einer Vielzahl der Patienten nach Ende der Kontaktbeschränkungen während der Pandemie nicht zu einer Normalisierung der Begegnungen mit anderen Menschen. Aber auch die aktuelle politische Weltlage ist ein großer Faktor ist. So müssen viele Leute um ihren Job, um ihre Finanzierung des Hauses oder auch Wohlstandsverlust im Allgemeinen fürchten.